Ukraine:Was es mit dem Drohnenangriff auf Kiew auf sich hat

Lesezeit: 2 Min.

Eine der Drohnen, die am frühen Montagmorgen über Kiew auftauchten. (Foto: Sergei Supinsky/AFP)

In der ukrainischen Hauptstadt explodieren am Montag Sprengsätze, die von unbemannten Flugkörpern transportiert wurden. Strategisch eröffnet der Einsatz von Drohnen den russischen Streitkräften neue Möglichkeiten.

Von Nicolas Freund

Am Montagmorgen ist die ukrainische Hauptstadt wieder das Ziel von Luftangriffen geworden. Videos in sozialen Netzwerken, gefilmt unter anderem von einem Kamerateam des ZDF, zeigen über Kiew kreisende Flugobjekte, die nach kurzer Zeit im Sturzflug auf die Stadt niedergehen und explodieren. Andrij Jermak, der Stabschef des ukrainischen Präsidenten, postete auf dem Nachrichtendienst Telegram ein Video von Rettungsarbeiten und schrieb von einem "Kamikaze-Drohnenangriff". Mindestens vier Menschen sollen dabei getötet worden sein.

Vermutlich handelt es sich bei den Objekten in den Videos um iranische Drohnen vom Typ Schahed 136, auch bekannt unter der russischen Bezeichnung Geran-2. Der britische Militärgeheimdienst teilte in seinem täglichen Briefing bereits Mitte September mit, dass die russischen Streitkräfte Drohnen dieses Typs eingesetzt haben, nachdem eine Schahed 136 in der Nähe von Kupjansk von der ukrainischen Armee abgeschossen worden war. Der Geheimdienst vermutete damals schon, dass Russland von Iran und Nordkorea Waffen kauft. Die iranische Regierung streitet dies ab. "Wir haben keines der im Krieg befindlichen Länder mit Waffen versorgt", sagte Nasser Kanaani, der Sprecher des iranischen Außenministeriums.

Woher auch immer sie kommen: Strategisch eröffnet der Einsatz solcher Drohnen für die russischen Streitkräfte neue Möglichkeiten. Die Schahed 136 ist ein vergleichsweise billiges und primitives, aber trotzdem effektives Waffensystem. Eine Drohne dieses Typs kostet nur etwa 20 000 Dollar - sie sind also sehr günstig im Vergleich zu den Raketen, die Russland bisher für Angriffe eingesetzt hat und die, je nach Typ, mehrere Millionen Dollar pro Stück kosten. Trotzdem kann die Schahed 136 mit einem Gefechtskopf bestückt werden, der stark genug sein soll, um auch einen Panzer zu zerstören. Die Drohnen sollen schon gegen ukrainische Artilleriestellungen zum Einsatz gekommen sein.

Im Gegensatz zu Marschflugkörpern sind diese Drohnen mit einer vermuteten Maximalgeschwindigkeit von 180 Kilometern pro Stunde vergleichsweise langsam und können deshalb theoretisch auch mit Handfeuerwaffen bekämpft werden. Außerdem sollen sie sehr laut und deshalb leicht zu orten sein. So teilte die ukrainische Armee mit, seit Sonntagabend 37 russische Drohnen abgeschossen zu haben, was 85 Prozent der von Russland für den Angriff verwendeten Drohnen entspräche. Das bedeutet aber auch, dass mindestens sechs Drohnen nicht von der ukrainischen Flugabwehr zerstört werden konnten. Solche Verluste sind beim Einsatz der billigen Schahed 136 einkalkuliert: Wegen der geringen Kosten werden sie oft in ganzen Schwärmen eingesetzt, um die Flugabwehr des Gegners zu überfordern. So können von speziellen Startvorrichtungen gleich fünf Drohnen kurz nacheinander gestartet werden - und eine davon wird dann schon durchkommen, so das Kalkül der Angreifer.

Neben den geringen Kosten ist aber auch die Größe von nur etwa dreieinhalb Metern sowie die Manövrierfähigkeit der Drohnen ein Vorteil gegenüber den meisten Raketen, die etwa doppelt so groß sind und meist nicht manövrieren können, um zum Beispiel der Flugabwehr auszuweichen. Die Schahed 136 sollen außerdem autonom fliegen und angreifen können. Es wird vermutet, dass sie eine Reichweite von bis zu 2500 Kilometern haben könnte.

Feuerwehrleute versuchen am Montag, nach einem Drohnenangriff auf ein Gebäude ein Feuer zu löschen. (Foto: Efrem Lukatsky/dpa)

Die Drohnen, die beim Angriff auf Kiew am Montag eingesetzt wurden, sind wahrscheinlich von der Krim oder der von Russland besetzten Region um Cherson gestartet worden. Der Einsatz dieser billigen Drohnen schont auch das wohl inzwischen stark dezimierte Raketenarsenal. Nach Schätzungen soll die russische Armee im Krieg in der Ukraine bereits mehr als die Hälfte ihrer Raketen verschossen haben.

Etwas irreführend ist für diese Art von Waffen die Bezeichnung "Kamikaze-" oder "Selbstmorddrohnen", da bei ihrem Einsatz ja kein Pilot sein Leben opfert. Wie alle Drohnen sind auch die Schahed 136 unbemannt. Sie funktionieren in dieser Hinsicht eher wie Raketen als wie Flugzeuge. Diese Drohnen sind auch nicht die einzigen Waffensysteme dieser Art, die im Krieg in der Ukraine zum Einsatz kommen: Die USA versorgten bereits die ukrainischen Streitkräfte mit noch kleineren "Einwegdrohnen" vom Typ Switchblade.

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