Kirche in Deutschland:Schwere Zeiten für die Ökumene

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Nicht weit auseinander, aber doch klar getrennt: Die katholische Pfarrkirche St. Jakobus (re.) und die evangelische Jakobus-Kirche im nordrhein-westfälischen Breckerfeld. (Foto: S. Ziese/Imago)

Die katholische und die evangelische Kirche verlieren weiter massenhaft Mitglieder. Sollten sich beide Konfessionen da nicht stärker zusammentun? Warum das nicht so einfach ist.

Von Annette Zoch

Die katholische Kirche in Deutschland hat jetzt weniger Mitglieder als der ADAC. Der Automobilclub meldete im Mai mehr als 21,4 Millionen Mitglieder, die katholische Kirche rutschte Ende Juni auf 20,9 Millionen. Noch schlechter sieht es bei der evangelischen Kirche aus, nur noch 19,15 Millionen gehören zu einer der evangelischen Landeskirchen.

Nimmt man beide Konfessionen zusammen, sind das allerdings immer noch 40 Millionen Christinnen und Christen in Deutschland. So viele Mitglieder hat keine Partei, keine Gewerkschaft, kein anderer Verein.

Wäre die logische Reaktion auf Schrumpfungsprozesse und Relevanzverlust deshalb nicht, sich stärker zusammenzutun? Das Verbindende der Konfessionen zu suchen und stärker gemeinsam für christliche Positionen einzutreten? Zeit, auf den Stand der Ökumene zu blicken. Kleiner Spoiler: Es ist kompliziert.

Bei manchen wichtigen Themen laufen die Positionen seit einiger Zeit auseinander

Es war Ende Juni, kurz vor der Veröffentlichung der dramatischen Austrittszahlen, da schreckte eine Nachricht die ohnehin schon gebeutelten katholischen Glaubensgeschwister auf: Die evangelische Kirche steigt bei der "Woche für das Leben" aus; dies habe der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschlossen.

"Wir sind traurig, dass eine der ältesten ökumenischen Initiativen in Deutschland, die sich seit fast 30 Jahren als wichtiger Beitrag zur Bewusstseinsbildung für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens einsetzt, für die EKD keine Relevanz mehr hat", sagte dazu der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Matthias Kopp.

Diese Initiative existiert seit 1994 in ökumenischer Form und hat sich dem Schutz des Lebens in allen Phasen verschrieben: Es geht um Abtreibungen, aber auch um Altern, Pflege und Sterben. Dass die Entscheidung der EKD wenige Tage vor der Bundestagsdebatte zum assistierten Suizid bekannt wurde, war mindestens schlechtes Timing.

"Die Themen rund um den Schutz des Lebens bleiben gesellschaftlich wie für die evangelische Kirche von höchster Bedeutung", erwiderte ein EKD-Sprecher auf die Kritik. Umso wichtiger sei es aber, Menschen "in zeitgemäßer Form" anzusprechen. Medial und gesellschaftlich habe das Format nur noch "partiell" Resonanz gefunden, deshalb wolle man andere Formen finden.

Tatsächlich kann man kaum von einem plötzlichen Bruch sprechen, die Positionen beider Konfessionen liefen gerade beim Thema Lebensschutz zuletzt eher auseinander. Während in Teilen der evangelischen Kirche assistierter Suizid schon länger ausdrücklich als Möglichkeit der Selbstbestimmung diskutiert wird, sind die katholischen Bischöfe strikt dagegen. Ähnlich sieht es beim Recht auf Abtreibung aus.

Will die EKD sich von der katholischen Kirche mit ihren Negativschlagzeilen distanzieren?

Beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg war zudem zu beobachten, dass nur ein einziger katholischer Bischof im Programm vertreten war, nämlich der Chef der Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Vor vier Jahren in Dortmund waren immerhin noch fünf katholische Bischöfe dabei. Erstmals scherte die EKD im Jahr 2022 außerdem aus der jahrelangen Praxis aus, die Austrittszahlen gemeinsam zu veröffentlichen. Sie preschte im März vor und überraschte damit die Katholiken.

Ist das ein Versuch der Distanzierung? Immerhin dominierte zuletzt vor allem die katholische Kirche die Negativschlagzeilen - etwa mit der Causa Woelki und den zahlreichen Missbrauchsgutachten. Auf eben jene wartet man in der evangelischen Kirche noch. Erste Ergebnisse einer Großstudie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche und Diakonie werden frühestens diesen Herbst erwartet.

Sprach kürzlich von einer "Stagnation in der Ökumene": EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus. (Foto: Friedrich Stark /epd/imago)

Von einer "Stagnation in der Ökumene" sprach im Oktober 2022 die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus in der Herder Korrespondenz. Die Krise der Kirchen zwinge beide Konfessionen dazu, sich "intensiv mit unseren eigenen Organisationen zu beschäftigen". Das gehe nicht ökumenisch, sagte Kurschus. Und der katholische Ökumene-Beauftragte, der Magdeburger Bischof Gerhard Feige, sagte vor der EKD-Synode im vergangenen November, er bedauere es zutiefst, "wie innerkatholische Entwicklungen und Spannungen auch das ökumenische Miteinander belasten".

Mit innerkatholischen Spannungen sind wohl auch die Reformdebatten des "Synodalen Wegs" gemeint - die von einer Minderheit katholischer Bischöfe in Deutschland und von einer Mehrheit der römischen Kurie bis hoch zum Papst sehr skeptisch gesehen werden. Brüsk hatte Rom zahlreiche deutsche Reformvorschläge abgeschmettert.

Manche sind skeptisch, ob der katholischen Kirche der Reformprozess gelingt

Dorothea Sattler engagiert sich auch beim "Synodalen Weg" und hat deshalb Erfahrung mit römischer Zurückweisung. Diese habe durchaus Auswirkungen auf die Ökumene in Deutschland, sagt die Professorin für Ökumenische Theologie an der Universität Münster: "Ich habe den Eindruck, dass in evangelischen Kreisen - durchaus auch auf Leitungsebenen - vereinzelt Skepsis herrscht, ob der Reformprozess der römisch-katholischen Kirche in Deutschland gelingt und ob auf weltkirchlicher Ebene die notwendigen Schritte gegangen werden."

Angesichts der "Geschwindigkeit" in Rom nehme sie bei manchen Protestanten eine gewisse Ungeduld wahr - "was vielleicht dazu führt, lieber verstärkt eigene Akzente zu setzen".

Auf der Bremse steht der Vatikan auch bei zentralen ökumenischen Themen wie zum Beispiel der gemeinsamen Mahlfeier. Sattler ist auch Mitglied im Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK), der 2019 das Papier "Gemeinsam am Tisch des Herrn" vorlegte. Darin sprach sich der ÖAK dafür aus, dass evangelische und katholische Christen wechselseitig an Eucharistie und Abendmahl teilnehmen können.

Tritt gerne auf die Bremse: Der Vatikan unter Papst Franziskus. (Foto: Evandro Inetti/Imago)

Als "Pionierarbeit" bezeichnet Friederike Nüssel das Papier, sie ist Professorin für Evangelische Theologie und Direktorin des Ökumenischen Instituts der Universität Heidelberg und ebenfalls im ÖAK. Doch die theologischen Argumente beeindruckten den Vatikan nicht.

Dabei war das Verhältnis zwischen evangelischer und katholischer Kirche in Deutschland sogar schon mal schlechter. Die Beziehungen seien eigentlich "wirklich gut und von Verlässlichkeit geprägt, die wir nach der ökumenischen Eiszeit Anfang der 2000er Jahre wiedergewonnen haben", sagt Nüssel.

Beide Kirchen haben derzeit mit eigenen Gestaltungsprozessen zu kämpfen

Damals, im Jahr 2000, hatten Papst Johannes Paul II. und sein oberster Glaubenshüter Kardinal Joseph Ratzinger der evangelischen Kirche im Papier "Dominus Jesus" mal so eben ihr Kirche-Sein abgesprochen. Kurz darauf wurde ein gehässiges internes Papier eines leitenden EKD-Kirchenbeamten öffentlich, der die katholische Kirche mit einem "angeschlagenen Boxer" verglich, Empörung und Krisentreffen folgten.

Doch spätestens bis 2017, dem Jahr des Reformationsjubiläums, näherten sich beide Konfessionen wieder an. "Besonders befördert haben das vor allem Bischof Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx, die sich ja auch persönlich gut verstanden und vertrauensvoll zusammengearbeitet haben", sagt Friederike Nüssel. Beide reisten gemeinsam ins Heilige Land, setzten Akzente in der Flüchtlingspolitik.

Die Zusammenarbeit zwischen Bischof Bätzing und Präses Kurschus sei nicht schlechter, nur nicht in der gleichen Weise sichtbar: "Beide Kirchen haben derzeit eben auch stark mit jeweiligen innerkirchlichen Gestaltungsprozessen zu kämpfen, so dass für die Ökumene vielleicht ein bisschen weniger Energie frei ist."

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In vielen politischen Bereichen sprächen die beiden Kirchen aber immer noch mit einer Stimme, sagt Dorothea Sattler: "In Fragen der Schöpfungsverantwortung, in der Migrations- und Asylpolitik, in der Flüchtlingshilfe." Und: "Wir stehen alle gleichermaßen vor der Frage, wie wir mit dem enormen Mitgliederschwund umgehen und damit, dass der christliche Glaube in der Gesellschaft an Boden verliert", so Friederike Nüssel.

Unter Druck könnten beide Konfessionen zusammenwachsen, glaubt Sattler: "Es wird irgendwann Gegenden geben, wo sich beide Konfessionen eine Kirche und einen Pfarrsaal teilen." Und das kann vielleicht auch eine Chance sein.

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