Kambodscha: Prozess gegen Rote Khmer:Brüder auf der Anklagebank

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30 Jahre nach dem Ende ihrer unvorstellbar grausamen Tyrannei beginnt in Kambodscha der Prozess gegen die vier höchsten noch lebenden Vertreter der Roten Khmer. Doch das Tribunal ist umstritten.

Tobias Matern

Ihre grausige Herrschaft währte keine vier Jahre. Aber es dauerte mehr als 30 Jahre, bis nun die zentralen Verantwortlichen des Regimes auf der Anklagebank sitzen. An diesem Montag beginnt in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh der Prozess gegen die vier höchsten noch lebenden Vertreter der Roten Khmer. Während der Herrschaft der maoistischen Bewegung starben in der Zeit von 1975 bis 1979 etwa zwei Millionen Menschen bei beispiellosen Vernichtungsaktionen.

Ein Mönch betrachtet im Tuol-Slang-Museum, dem früheren Gefängnis der Roten Khmer, Bilder der Opfer, die hier festgehalten und gefoltert wurden. (Foto: REUTERS)

Ihr Anführer Saloth Sar, besser bekannt als Pol Pot und "Bruder Nummer 1", starb bereits 1998. Beim ersten Rote-Khmer-Prozess, der im vergangenen Juli beendet worden war, hatte Kaing Guek Eav, Chef des berüchtigten Foltergefängnisses S-21, ein Geständnis abgelegt. Der Mann, der als "Genosse Duch" schaurige Berühmtheit erlangt hatte, erhielt eine 35-jährige Gefängnisstrafe, die bald darauf reduziert wurde. Er hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Beobachter rechnen damit, dass sich die nun anstehenden Verfahren deutlich schwieriger gestalten werden als im Falle von Duch. Es könnten Jahre bis zu einer Urteilsverkündung vergehen. Schließlich machen die Angeklagten bislang keine Anstalten, umfangreiche Geständnisse abzulegen.

Vor Gericht steht nun unter anderem "Bruder Nummer 2" in der Hierarchie der Roten Khmer: Nuon Chea. Der heute 84-Jährige war Chefideologe der Guerilla-Bewegung, deren Kampf sich ursprünglich gegen die von den USA unterstützte Regierung gerichtet hatte. Viele Menschen in Kambodscha fürchten, Chea werde ebenso wie seine Mitangeklagten das Urteil nicht mehr erleben, falls sich der Prozess zu lange hinziehen sollte. Es geht um Verbrechen, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen, entsprechend aufwendig ist es, die Beweise zusammenzufügen.

Gnadenloser Eifer

Als die Roten Khmer 1975 an die Macht kamen, begrüßte die Bevölkerung in Kambodscha den Regimewechsel zunächst, nur um im Laufe der folgenden Monate mit der Grausamkeit der neuen Herrscher konfrontiert zu werden: Mit gnadenlosem Eifer machten sich die Roten Khmer daran, ihre ultrakommunistische Ideologie umzusetzen. Sie zwangen die Menschen, von den Städten auf das Land zu ziehen, um die Agrarrevolution voranzutreiben, und verdonnerten sie zu Zwangsarbeit. Es gab aus ihrer Sicht nur Unterstützer oder Gegner - wer zu letzterer Gruppe zählte, landete im Gefängnis. Viele Menschen starben an Hunger und Krankheiten. Das Regime schreckte auch vor Massenmorden nicht zurück.

Er sei "ein einfacher Mann" gewesen, der nur die "Pflicht für sein Land" erfüllen wollte. So hat es der unter den Roten Khmer amtierende Staatschef Khieu Samphan ausgedrückt. Er ist auch als "Bruder Nummer 5" bekannt. Nun muss er sich - genau wie der damalige Außenminister Ieng Sary - vor dem von den Vereinten Nationen eingesetzten Gericht verantworten. Zudem sitzt eine Frau auf der Anklagebank: die frühere Sozialministern Ieng Thirith. Die Anklage bezichtigt die einstigen Mitglieder des Regimes, sich wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermords schuldig gemacht zu haben.

Schon vor Jahrzehnten hätte es zu diesem Prozess kommen müssen, aber nun würden die Anführer der Roten Khmer endlich zur Rechenschaft gezogen, sagt Brad Adams von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Trotz der Verzögerung sei dies eine erfreuliche Entwicklung. Die Menschen in Kambodscha dürften endlich erleben, wie sich diejenigen, die "so viel Leid verursacht haben, der Anklage stellen müssen". Regierungschef Hun Sen, einst selbst ein Kommandeur der Roten Khmer, der später die Seiten wechselte, will nach diesem Verfahren keine weiteren ehemaligen Gesinnungsgenossen mehr auf der Anklagebank sehen.

Schon früher hatte der Regierungschef ein ums andere Mal seine Skepsis durchblicken lassen: Die Menschen in Kambodscha sollten "ein Loch buddeln und die Vergangenheit begraben", sagte er schon, lange bevor das Sondertribunal eingerichtet worden war.

Letztlich beugte sich der Premier aber dem Willen der meisten seiner Landsleute. Vor allem die Hinterbliebenen in Kambodscha verfolgen jetzt die Aktivitäten des Gerichts überaus aufmerksam. Die anstehende Verhandlung und die juristische Aufarbeitung wird als Fall 002 bezeichnet. Der Prozess folgt auf Fall 001 gegen den Chef des Foltergefängnisses im vergangenen Jahr.

Nach Ansicht des britischen Ko-Anklägers Andrew Cayley ist der Fall 002 in seiner Komplexität mit den Nazi-Prozessen von Nürnberg 1945 zu vergleichen, wie er es in Interviews vor der Verhandlung ausdrückte. Indes ist vor Beginn des Prozesses ein Streit entbrannt: Gegen das von kambodschanischen und internationalen Mitarbeitern besetzte Gericht wird der Vorwurf erhoben, es habe sich politischem Einfluss gebeugt, als es im April bekanntgab, die Ermittlungen im Fall 003 nicht voranzutreiben. Dieser hätte sich wohl gegen zwei führende Militär-Kommandeure der Roten Khmer gerichtet, offiziell wurde dies nicht bestätigt.

Nicht nur Menschenrechtsorganisationen kritisierten den Schritt; auch gerichtsintern löste er eine Kontroverse aus. Ankläger Cayley sagte, die beiden Ermittlungsrichter hätten nicht ausreichend recherchiert, was diese entschieden zurückweisen. Auch die Vereinten Nationen teilten offiziell mit, die Juristen seien in ihrer Arbeit frei von äußeren Einflüssen. Am Gericht legten einige Mitarbeiter aus Protest die Arbeit nieder, unter ihnen der anerkannte Historiker Stephen Heder.

In einem Brief, der an die Presse durchsickerte, hielt er den Richtern vor, ihre Arbeit im Fall 003 viel zu früh beendet zu haben. Die Atmosphäre am Gericht sei vergiftet, hieß es. Die Richter wiederum teilten mit, sie begrüßten es, wenn illoyale Mitarbeiter ihre Arbeit beendeten.

© SZ vom 27.06.2011/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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