Kaiser Antoninus Pius:Der Herrscher, der Rom glücklich machte

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Keine Eroberungskriege, keine Palastmorde, nicht mal Orgien - die Nachwelt hält Antoninus Pius für einen Langweiler. Doch der Staatsmann, der heute vor 1881 Jahren den Thron bestieg, glänzte auf andere Weise.

Von Joachim Käppner

Das römische Kaiserreich hatte Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. schon so manchen Typus von Herrscher gesehen: gewaltige Imperatoren wie seinen Begründer Augustus, die es kühl und brutal errichteten und formten. Paranoide Tyrannen wie Nero, der vor seinem zitternden Hofstaat grässliche Lieder sang (unsterblich verkörpert von Peter Ustinov in "Quo vadis?").

Harte, aber effiziente Regenten wie Vespasian ( "Ein princeps muss stehend sterben"). Kriegsherren wie Trajan, der Dakien nördlich der Donau unterwarf und kurzzeitig sogar Mesopotamien eroberte. Einen schillernden, rastlos das Imperium bereisenden Intellektuellen, Baumeister und Gesetzgeber wie Hadrian. Er war es, der kurz vor seinem Tod 138 den aus schwerreicher Familie stammenden und schon 51 Jahre alten Senator namens Antoninus adoptierte und zum Nachfolger machte.

Aber einen Kaiser wie eben diesen Antoninus hatte es noch nicht gegeben: gebildet, milde im Herzen und fromm, ein Friedfertiger voll Gerechtigkeitssinn, dabei kein Utopist, sondern ein gelassener Pragmatiker der Macht.

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Als Prokonsul der Provinz Asia hatte Antoninus Pius so unbestechlich für das Wohl der Bürger gesorgt, dass er diesen selbst unheimlich war. Die "Historia Augusta", verfasst wohl um 400, schreibt hymnisch: "Seine persönliche Erscheinung war auffallend attraktiv, sein Talent brillant, sein Temperament freundlich; er war aristokratisch in seiner Haltung und von ruhiger Natur, gütig, großzügig und achtete die Rechte anderer."

Nostalgie und Wehmut sprechen aus dieser Idealisierung, denn als die "Historia" geschrieben wurden, da war Antoninus, das Vorbild des Idealherrschers, schon sehr lange tot und Rom im Niedergang. Über diesen besonderen Kaiser sind nun zwei neue Bücher erschienen, ein sehr wissenschaftlich-gründliches (Christoph Michels' Habilitationsschrift "Antoninus und die Rollenbilder des römischen Princeps", de Gruyter 2018) und ein nicht minder seriöses, aber knappes, lebendiges, an ein breites Publikum gerichtetes von Günter Aumann: "Antoninus Pius. Der vergessene Kaiser", Reichert Verlag 2019).

Aumann klingt fast so hingerissen wie die "Historia Augusta", wenn er schreibt: "Antoninus gehört zur kleinen Zahl der Herrscher, die sich trotz einer langen Regentschaft von den Privilegien des Amtes nicht korrumpieren ließen. Oder mit dem berühmten Wort Mark Aurels: Er 'verkaiserte' nicht."

Aus Geschichte und Gegenwart ist das Phänomen bekannt, dass viele Menschen die glücklichen Umstände, in denen sie leben, nicht zu schätzen wissen. Die EU hat Jahrzehnte des Friedens und Wohlstands erreicht, und doch laufen viele ihrer Bürger den Rechtspopulisten hinterher.

Die Römer in der Zeit des Antoninus schienen es besser zu wissen, glaubt man dem Historiker Cassius Dio, der eine Generation nach dem Kaiser lebte: "Alle hielten ihn für nobel und gut." Sie würdigten den Frieden, die Zuverlässigkeit der Verwaltung, den Rückgang der Korruption und das Fehlen jeder Neigung, gelegentlich lästige Senatoren köpfen zu lassen oder Killer auf die Suche nach wirklichen und eingebildeten Feinden zu entsenden. Freilich nannten sie den Kaiser wegen seines pedantischen Beharrens auf Gerechtigkeit in jeder Causa auch kyminopristes, den Kümmelspalter.

Vielen Historikern dagegen war seine lange Regierungszeit, die bis 161 dauerte, nur wenige Absätze wert. Und die fielen selten sehr positiv aus. Die "Historia Augusta" schreibt ihm den Satz zu: "Lieber würde er einen Bürger retten als tausend Feinde erschlagen."

Ungnädig urteilte ( laut Demandt) Theodor Mommsen, der Titan der deutschen Altertumskunde: "Sein vielgelobter Wahlspruch ist ja gut und schön, aber für den Herrscher eines Reichs wie des Römischen in solchen Zeiten doch herzlich wenig."

Antoninus, der Erbsenzähler, Langweiler, Visionslose - das ist das Bild, das die beiden Bücher nun gründlich korrigieren. Seine Regierungszeit der best practice ist nicht der Stoff, aus dem man historische Dramen webt. Aber Antoninus bleibt ein zeitloses Beispiel dafür, dass die moralische Kraft der Regierenden Voraussetzung für jedes gute Regieren und Führen ist.

Niemals hatte in den Ländern dieses gewaltigen Reichs ein solcher Frieden geherrscht wie unter Antoninus Pius.

"Sei in allem ein Schüler des Antoninus", empfahl Mark Aurel

Das ist umso bemerkenswerter, da Roms Kaiser einen Großteil ihrer Legitimation daraus zogen, die Macht des Imperiums über die Barbaren zu demonstrieren. "Trotz der jedem Römer bewussten Militärgrenzen hat die römische Staatsideologie das Imperium Romanum mit dem Erdkreis gleichgesetzt", schreibt der Althistoriker Alexander Demandt in seiner glänzenden Biografie von Pius' Adoptivsohn und Nachfolger, dem Philosophenkaiser und Feldherren Mark Aurel (161-180). Wie Michels beschreibt, galt dies auch für Antoninus, der keineswegs Pazifist im heutigen Sinne war.

Bis Trajan, der 117 starb, war Roms Ideologie ein Imperativ zur Offensive gewesen. Auch Pius hat, wohl seufzend, den gewaltigen Militärapparat Roms in Gang gesetzt: In Britannien ließ er die Grenze vom Hadrianswall weit nach Norden vorschieben und dort eine weitere Abwehrlinie gegen die Barbaren errichten.

Die Legionäre warfen einen Aufstand der Daker nieder, schlugen Germanen, bauten den Limes aus und warfen in Nordafrika eine Invasion von Nomaden zurück, die das reiche Land der Römer lockte. Eine Inschrift lautet: "Die Germanen und Mauren hast du im Krieg bezwungen, Antoninus, der du wegen deines Wesens Pius genannt wirst."

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Er hat diese Kriege, anders als später Mark Aurel, jedoch nie selbst geführt. Der Kaiser blieb in Rom oder auf seinen kampanischen Gütern und vertraute loyalen Heerführern. Bei aller Siegesrhetorik seiner Höflinge leitete Antoninus einen fundamentalen außenpolitischen Wandel ein: vom Imperialismus zur Defensive. Der - zumindest nach den Maßstäben seiner Epoche - gute Mensch von Rom widmete sich lieber der Gesellschaft und ihrer Verbesserung.

Für Sklaven befahl er gerechte Behandlung. Er schränkte die Folter ein, verbesserte das Gerichtswesen und reformierte das Familienrecht, insbesondere für Frauen und Kinder. Natürlich: "Es wäre absurd", schreibt Aumann, "Antoninus Pius zum Frauenrechtler zu machen", - doch setzte er sich stets für jene ein, "die sich in einer schwachen Rolle befanden".

Bei aller offizieller Vergöttlichung blieb er ein nahbarer Herrscher. Er behielt seine alten Freunde und begegnete den Menschen, so die "Historia Augusta", mit höchster Leutseligkeit. Sein Freund und philosophischer Erzieher Fronto berichtete, dass der Mann, "den ich liebe und schätze wie die Sonne, den Tag, das Leben", gern "den Ringplatz besuchte, den Angelhaken bestückte und über Spaßmacher lachte".

Seine letzte Partnerin war eine freigelassene Sklavin

Schon 140 war Antoninus' Frau Faustina gestorben. Das Erbfolgeproblem verbot es ihm, ein weiteres Mal zu heiraten. Über seine spätere Gefährtin, Lysistrate, weiß man nur, dass sie eine freigelassene Sklavin war; sie blieb, offenbar in einer wenig standesgemäßen, aber glücklichen Verbindung, an seiner Seite.

161 starb Antoninus Pius hochbetagt. Mit ihm verschwand das glückliche Zeitalter, es kam niemals zurück. Bald nach seinem Tod wurde das Imperium an vielen Fronten attackiert, vor allem von den Germanen.

Doch er hatte Mark Aurel ein Reich hinterlassen, das gefestigt und stark genug war, diesen ersten Sturm abzuwehren. Mark Aurels historische Bedeutung als Denker und Lenker überstieg die des Vorgängers zwar erheblich, auch dank seiner berühmten "Selbstbetrachtungen", in denen er das Ideal des humanen Menschseins entwirft.

Darin aber setzt er (nach der Neuausgabe von Reclam 2019 und der feinen Übersetzung von Gernot Krapinger) dem Adoptivvater und Vorbild einen schönen Epitaph: "Sei in allem ein Schüler des Antoninus: beharrlich wie er bei vernünftigen Taten, ausgeglichen in allem, ebenso fromm und heiter in deiner Miene, freundlich, von Dünkel frei."

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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