Afghanistan:Bundeswehr setzt Hubschrauber zur Rettung ein

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Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) bei einer Übung mit dem Hubschrauber vom Typ H145M. Diese Helikopter sollen jetzt auch in Kabul eingesetzt werden, um einzelne Schutzbedürftige in der Stadt aufzunehmen. (Foto: Björn Trotzki/Imago)

Weil es viele Schutzsuchende nicht bis zum Flughafen in Kabul schaffen, will die Bundeswehr Menschen mit Hubschraubern aus der Stadt holen

Von Björn Finke und Mike Szymanski, Berlin/Brüssel

Die Bundeswehr bereitet sich darauf vor, ihre Evakuierungsmission in Afghanistan vom Flughafen auf das Kabuler Stadtgebiet auszuweiten. Am Freitag, spätestens Samstagfrüh, sollen zwei kleinere Hubschrauber und Spezialkräfte an den Kabuler Flughafen verlegt werden, um von dort aus deutsche Staatsbürger und Schutzbedürftige aus dem Stadtgebiet zu holen.

Brigadegeneral Jens Arlt, der die Rettungsmission der Bundeswehr in Kabul leitet, hatte die Helikopter nach Rücksprache mit den Amerikanern angefordert. Etliche Schutzsuchende hätten geschildert, es gar nicht erst in die Nähe des Flughafens zu schaffen. Arlt berichtete von verstopften Straßen, Kontrollen durch die Taliban, die mit Checkpoints einen Ring um den Flughafen gebildet hätten, und von Chaos am Flughafen. Die Hubschrauber, die die USA bereits im Einsatz haben, sind für Operationen mitten in der Stadt schlechter geeignet als die leichteren und kleineren Modelle der Bundeswehr.

Eberhard Zorn, Generalinspekteur der Bundeswehr und ranghöchster Soldat, sagte am Freitag, es gehe um "Einzelfälle", um Personen in "isolierten Situationen", die schnellstmöglich herausgebracht werden müssten. Im Blick habe das Militär deutsche Staatsbürger, aber auch afghanische Ortskräfte und andere Schutzbedürftige. Zorn zufolge sind die Maschinen von Samstag an einsatzbereit. Sie würden von amerikanischen Hubschraubern bei ihren Missionen begleitet. "Das ist eine Luftoperation. Es ist kein Taxi-Service", führte Zorn aus.

Am Donnerstagabend hatte der CDU-Außen- und Sicherheitspolitiker Johann Wadephul in der ZDF-Talkrunde bei Maybrit Illner entsprechende Pläne öffentlich gemacht.

Wie gefährlich die Lage in Kabul inzwischen ist, zeigte sich am Freitag. Nach Angaben der Bundesregierung sei ein deutscher Zivilist auf dem Weg zum Flughafen angeschossen worden. "Er wird medizinisch versorgt, es besteht aber keine Lebensgefahr", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer.

In dem Hubschrauber haben maximal neun Passagiere Platz

Trotz der Gefahr hielt der Ansturm von Menschen, die auf das Flughafengelände gelangen wollen, den fünften Tag in Folge an. Taliban-Kämpfer feuerten am Eingang zum zivilen Teil des Flughafens in die Luft und schlugen mit Peitschen, um die Leute zu vertreiben, wie ein Augenzeuge der Deutschen Presse-Agentur berichtete. Am Flughafen gibt es einen zivilen und einen militärischen Bereich. Die Menge am Zugang zum militärischen Teil sei groß und unberechenbar, berichtete ein Reporter des US-Senders CNN. Bilder zeigten, wie US-Soldaten in die Luft schossen, damit die Menschenmenge von den Außenmauern zurückweicht.

Sollten die Hubschrauber vom Typ H145M zum Einsatz kommen, können sie nur einzelne Personen, aber keine größeren Gruppen aus der Stadt ausfliegen. An Bord haben maximal neun Passagiere Platz. Neben den beiden Piloten fliegen bei solchen Einsätzen vier vollausgerüstete Spezialkräfte-Soldaten mit. Sie können sich aus der Luft abseilen. Der Hubschrauber ist für den Einsatz in Städten geeignet. Er kann auf Dächern landen, verfügt über einen vergleichsweise geringen Rotordurchmesser und ist leiser als andere Hubschrauber. Gegen Beschuss mit Handwaffen ist er geschützt.

Die Operation bleibe auf das Kabuler Stadtgebiet beschränkt, erklärte Generalinspekteur Zorn. Es werde nicht möglich sein, Personen etwa aus Masar-i-Scharif abzuholen, dort, wo die Bundeswehr bis Ende Juni ihren letzten Stützpunkt hatte und wo ebenfalls afghanische Helfer für deutsche Institutionen tätig waren, die auf eine Ausreise hoffen.

Damit die Lage nicht weiter eskaliert, müssten solche Rettungsflüge von den Taliban, die die Stadt faktisch beherrschen, geduldet werden. Aus Bundeswehrkreisen hieß es: "Im Moment lassen die Taliban zu, dass evakuiert wird." Aber das Zeitfenster drohe sich zu schließen, deshalb müsse rasch gehandelt werden. In einer Unterrichtung für die Verteidigungspolitiker des Bundestages hieß es: "Der Einsatz erfolgt nach einer taktischen Risikobewertung und wird vor Ort mit allen relevanten Akteuren koordiniert." Generalinspekteur Zorn erklärte, die Taliban würden keine Luftverteidigungssysteme einsetzen und die ausländischen Truppen "frei gewähren lassen". "Das ist der Rahmen."

Die Nato warnt die Taliban, Terroristen aufzunehmen

Die Bundeswehr hat bei ihrem größten Evakuierungseinsatz bislang mehr als 1700 Menschen aus Afghanistan in Sicherheit gebracht. Drei bis viermal am Tag versucht die Bundeswehr Kabul anzufliegen.

Bei einer Unterredung der Nato-Außenminister am Freitag forderten einige Teilnehmer, die Evakuierungen über den 31. August hinaus fortzusetzen. Das sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der Konferenz. Die USA wollen ihren Einsatz in dem Land bis zu dem Tag beenden. Allerdings hat Präsident Joe Biden bereits angekündigt, Soldaten länger vor Ort zu lassen, wenn bis dahin nicht alle US-Bürger ausgeflogen sind. Nach Angaben von Stoltenberg sind auch 800 zivile Mitarbeiter der Nato am Flughafen im Einsatz, um den Betrieb aufrechtzuerhalten - etwa Fluglotsen. Die Außenminister warnten die Taliban, nicht Terroristen Unterschlupf zu bieten: Die Nato werde es nicht zulassen, "dass Terroristen uns wieder von afghanischem Boden aus angreifen", sagte Stoltenberg.

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