Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger im Interview:"Wir wollen Schwarz-Rot verhindern"

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Schwarz-Gelb hat Halbzeit - und den Gelben geht es schlecht. Kaum jemand bei der FDP dürfte unter den zwei Regierungsjahren so gelitten haben wie die stellvertretende Parteivorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die liberale Vorkämpferin für Bürgerrechte konnte nicht verhindern, dass ihre Partei mit Steuersenkungs-Parolen in die größte Krise ihrer Geschichte schlitterte. Ein Gespräch über die Fehler der Ära Westerwelle, die Gefahr des Staatstrojaners, die Aufgabe Europa - und die Furcht vor den Piraten.

Wolfgang Jaschensky

Spätestens mit ihrem Rücktritt als Justizministerin der Regierung Kohl nach der liberalen Befürwortung des Großen Lauschangriffs galt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als verlässliche Anwältin der Bürgerrechte. In ihrer zweiten Amtszeit als Ministerin muss sie mit ansehen, wie die Liberalen an der Seite der Wunschkoalitionspartner von CDU und CSU als Steuersenkungspartei in die tiefste Krise ihrer Geschichte stürzen. Zur Halbzeit der Krisenkoalition ein Gespräch mit der FDP-Vize-Chefin über die Fehler der Ära Westerwelle, die Gefahr des Staatstrojaners, die Aufgabe Europa - und die Furcht vor den Piraten.

"Koalitionsspekulationen würden die Bürger nur verwirren": FDP-Vize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will keine Gerüchte, aber eine liberale Partei, die sich nicht nur auf die Union konzentriert. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Frau Ministerin, haben Sie sich eigentlich darüber gefreut, dass der Chaos Computer Club den Staatstrojaner geknackt hat?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Gefreut? Nein. Mich haben die Verhandlungen zur Online-Durchsuchung vor dem Bundesverfassungsgericht sehr beschäftigt. Damals drehte sich alles um die Frage: Wie weit darf der Staat über das Internet in die Privatsphäre eindringen? Jetzt zu hören, dass es da möglicherweise berechtigte Kritik an der Arbeit der Behörden gibt, das besorgt mich doch sehr.

sueddeutsche.de: Aber ist das nicht eine wunderbare Möglichkeit für die FDP, sich zu profilieren: Hier kann Ihre Partei zeigen, dass sie nicht nur für Steuersenkungen steht.

Leutheusser-Schnarrenberger: Moment. Die Bilanz der FDP als Bürgerrechtspartei kann sich sehen lassen - gerade im Bezug auf das Internet. SPD und CDU haben die Internetsperren eingeführt, wir haben sie mit der CDU wieder abgeschafft. Das hätte doch nie jemand gedacht. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wäre ohne uns schon längst wieder eingeführt. Ich denke: Wir haben deutliche Spuren hinterlassen. Aber Sie haben recht, bei dem Thema Staatstrojaner geht es an die Grundfeste des Rechtsstaats. Es geht darum klarzumachen, dass die Technik unser Recht nicht außer Kraft setzen darf. Und es geht darum, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat unter keinen Umständen erschüttert werden darf.

sueddeutsche.de: Ihre Bilanz scheint die Mehrheit der Deutschen aber nicht sonderlich beeindruckt zu haben. In diesem Jahr hat die FDP sechs von sieben Landtagswahlen verloren. Und zur Halbzeit der schwarz-gelben Wunschkoalition liegen die Liberalen bei drei bis vier Prozent. Was ist schiefgelaufen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube, vor allem der Start der Koalition ist misslungen. Wir haben gezögert, wir haben Entscheidungen getroffen und dann wieder zerredet und zu grundlegenden Fragen zu lange debattiert. Dieser Fehlstart hatte gravierende Folgen. Die Menschen haben schnell an der Handlungsfähigkeit der Regierung gezweifelt und sich gefragt: Wo ist da eine Linie? Wo ist da eine Handschrift? Das hat uns in der Wahrnehmung geschadet und dadurch ist letztlich Glaubwürdigkeit verlorengegangen.

sueddeutsche.de: Können Sie konkreter werden?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben unsere Erfolge durch unnötige Diskussionen viel zu wenig herausstellen können. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass es sinnvoll ist, zwei Jahre lang über ein vereinfachtes Steuersystem zu debattieren. Da kann ich verstehen, dass die Bürger sagen: Entweder es kommt jetzt etwas oder ihr redet nicht mehr darüber. Auch die Diskussion über die Gesundheitsreform ist nicht gut verlaufen.

sueddeutsche.de: Die hatte der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler zu verantworten - der nach dieser Leistung FDP-Chef geworden ist.

Leutheusser-Schnarrenberger: Philipp Rösler hat hervorragende Vorschläge gemacht, doch gerade beim Thema Gesundheit hat unser Koalitionspartner dafür gesorgt, dass davon nicht viel übrig blieb. In der Öffentlichkeit ist dieses Gezerre mehr zu Lasten der FDP gegangen als zu Lasten der Union.

sueddeutsche.de: Falls die Koalition hält, kann Schwarz-Gelb noch zwei Jahre in Berlin regieren. Reicht der FDP diese Zeit, um aus der Krise zu kommen und nicht 2013 aus dem Bundestag zu fliegen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Davon bin ich fest überzeugt.

sueddeutsche.de: Mit welchen Themen soll der Umschwung gelingen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich geht es für die FDP um Bürgerrechte. Zum Beispiel beim Thema Internet. Da haben wir Liberalen einen anderen Zugang als die anderen etablierten Parteien. Wir fragen nicht: Wie können wir möglichst viel regulieren? Sondern: Wie können wir möglichst viele Chancen wahrnehmen? Natürlich muss auch die Wirtschaftskompetenz deutlich werden, die FDP muss als zuverlässiger Partner für Haushaltssolidität wahrgenommen werden. Das große Thema aber wird Europa sein. Da brauchen wir einen klaren Kurs.

sueddeutsche.de: Wie sieht der aus?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sind in der Regierung und in der Fraktion mit überwältigender Mehrheit für einen dauerhaften Stabilisierungsmechanismus und für eine Stabilitätsunion. Wir brauchen eine stärkere Gläubigerbeteiligung. Wir brauchen mehr Kontrolle und mehr Einfluss auf Euro-Länder, die sich nicht an die Regeln halten. Das müssen wir auch in der Partei in einem sehr fairen Diskussionsprozess deutlich machen. Philipp Rösler als Wirtschaftsminister ist ja in seiner Einschätzung der Situation Griechenlands bestätigt worden. Er hat den Blick auf die Realität gelenkt, nämlich, dass Griechenland zahlungsunfähig werden kann. Das wird inzwischen von vielen so gesehen und auch ausgesprochen.

sueddeutsche.de: In der Öffentlichkeit ist da ein anderer Eindruck entstanden. Viele haben Röslers Vorstoß als kläglichen Versuch verstanden, der FDP vor der Wahl in Berlin mit Populismus und Europa-Ressentiments den Einzug ins Abgeordnetenhaus zu sichern.

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist doch völlig klar, dass mit Themen, die in der Öffentlichkeit hoch umstritten sind, in letzter Minute keine Landtagswahl gewonnen werden kann. Natürlich haben mir auch einzelne Berliner Zwischentöne nicht gefallen. Philipp Rösler aber hat hier als Wirtschaftsminister und nicht als Wahlkämpfer gehandelt - und in der Sache ja auch recht behalten.

sueddeutsche.de: Zwei Jahre Schwarz-Gelb waren für die FDP auch eine Zeit großer personeller Veränderungen. Die Ära Guido Westerwelle wurde beendet. Neben Parteichef Rösler stehen Generalsekretär Christian Lindner und Gesundheitsminister Daniel Bahr für die jüngste FDP aller Zeiten. Sind die Liberalen richtig aufgestellt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist richtig, dass jetzt andere Persönlichkeiten an der Spitze der Partei stehen. Wir setzen aber nicht nur auf die Jungen, sondern auf eine gute Mischung. Denken Sie nur an Rainer Brüderle, der als Fraktionschef ja eine ganz zentrale Rolle in unserer Führungsriege einnimmt.

sueddeutsche.de: Das heißt: Keine neuen Experimente bis zum Ende der Legislaturperiode?

Leutheusser-Schnarrenberger: Genau, ich denke, dass diese Personalkonstellation hält.

sueddeutsche.de: Obwohl die FDP so junge Gesichter an der Spitze hat, haben die Liberalen gerade bei jungen Wählern verloren. Und jetzt kommt auch noch Konkurrenz, die in dieser Altersgruppe überaus erfolgreich ist. Haben Sie Angst vor den Piraten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich fürchte die Piratenpartei nicht, ich nehme sie aber ernst. Sie ist ein Mitbewerber, auch für die anderen Parteien. Sie zieht sehr viele Nichtwähler an, die vom Politikbetrieb abgeschreckt sind. Ich denke aber, dass die FDP in diesem Wettbewerb gut dasteht. Das Thema Internet ist bei den Liberalen mehr als etwas, was bei einem Minister verortet ist.

sueddeutsche.de: Der Abschied von der Guido-Westerwelle-FDP könnte auch der Abschied von der Fixierung auf die Union sein. Wird Ihre Partei in zwei Jahren offen sein für bunte Koalitionen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Zunächst wollen wir, dass die bestehende Koalition in den verbleibenden zwei Jahren überzeugt. Heute ist es zu früh, zu sagen, welche Konstellationen sich ergeben. Man muss aber erkennen: Feste Zweierblöcke gehören eher der Vergangenheit an. Dass Rot-Grün nicht mehr so einfach funktioniert, hat man nicht erst in Berlin sehen können. Die FDP muss sich vor allem an Inhalten orientieren. Was das dann konkret heißt, das müssen wir Liberale 2013 entscheiden. Es bringt überhaupt nichts, jetzt mit wilden Koalitionsspekulationen zu beginnen. Eins will auch die FDP verhindern: schwarz-rote Koalitionen.

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