Jung: Nach dem Rücktritt:'s ist Krieg

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Wie man Minister Jung loswird, wusste man. Wie man aus dem Desaster Afghanistan kommt, weiß keiner. Dafür hat die Politik der Unwahrheit gezeigt: Deutschland führt Krieg.

Heribert Prantl

Franz Josef Jung war nicht zu halten. Dafür gab und gibt es drei Gründe - einen vordergründigen, einen hintergründigen und einen praktischen. Der vordergründige: Der Minister war untragbar, weil er die Informationen über die Folgen des katastrophalen Bombardements in Afghanistan verdrängt, verschleiert und vertuscht hatte.

Franz Josef Jung war als Arbeits- und Sozialminister nicht mehr zu halten. (Foto: Foto: Reuters)

Er war zweitens auch deswegen nicht zu halten, das ist der hintergründige Grund, weil die Zweifel der Bevölkerung an diesem Krieg am Hindukusch wachsen, weil das politische Gerede über die Demokratisierung Afghanistans immer hohler klingt und die Leute wissen wollen, wie das alles weitergehen soll - weil sie also nach Halt suchen.

Weil es diesen Halt und diese Orientierung nicht gibt, orientierte man sich ersatzweise an der Unzulänglichkeit und dem Versagen des Ministers Jung; der unhaltbare Minister gab und gibt vorübergehend negativen Halt; sein Rücktritt ist fast ein bisschen Frieden. Und der dritte, ganz praktische Grund für die Kündigung des Ministers: Er ist für die Statik des Kabinetts Merkel nicht wichtig, er ist leicht und gut ersetzbar.

Der Zorn hatte Ventil-Funktion

Wie man aus dem Desaster Afghanistan herauskommt, weiß keiner. Wie man Minister Jung loswird, wusste man gut. Jung hat den Rücktrittsforderungen nach kurzer Verstocktheit nachgegeben, bis zuletzt ohne Schuldeinsicht. Die Kanzlerin hat ihn nicht mehr gehalten, weil sie sich politische Vorteile von ihm nicht mehr versprechen konnte.

Die öffentliche Empörung über den Minister Jung war zu groß, seine Fehler waren zu offensichtlich, sein Ruf war zu lädiert. Und die Kanzlerin spürte: Im Aufruhr gegen Jung verbarg sich ein allgemeiner Ingrimm über den Afghanistan-Krieg, der bis vor kurzem offiziell nicht "Krieg" genannt wurde.

Der Zorn auf Jung hatte Ventil-Funktion. Die enttäuschte Hoffnung der Deutschen, bei einer guten Sache dabei zu sein, und die Frustration über die Verfahrenheit der Lage schaffen sich Luft. Die Rücktrittsforderungen waren daher auch eine Variation des Liedes von Matthias Claudius, das gerade 230 Jahre alt geworden ist: "'s ist Krieg!, 's ist Krieg - und ich begehre, nicht schuld daran zu sein." Die Schuld am Krieg und seinen Gräueln lässt sich vermeintlich gut auf Jung abwälzen.

Der Verteidigungsminister hatte im wichtigsten Moment seiner Amtszeit versagt. Er selbst hat so die Vorurteile, er sei dem Amt nicht gewachsen, bestätigt. Er wollte ein guter, fürsorglicher Vorgesetzter seiner Soldaten sein, war ihnen aber ein schlechter. Jung hat aus einem maßlosen Bombenangriff einen maßvollen zu machen versucht. All seine beschwichtigenden Erklärungen standen im Widerspruch zum Augenschein, zu den Fakten und zu den Berichten, die ihm vorlagen. Er hat, vorsätzlich oder fahrlässig, die Unwahrheit gesagt. Damit freilich hat er vielen die Augen dafür geöffnet, was ist: Krieg. Im Krieg stirbt auch die Wahrheit.

Jung hat, wie sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg auch, das kindermetzelnde Bombardement als "angemessen" verteidigt. Jung hat nicht zur Kenntnis genommen oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen, was dieser Bewertung widerspricht; Guttenberg bis vor wenigen Tagen auch nicht. Von einem Minister wird nicht unbedingt höhere Fachkunde erwartet, aber: Er soll Entscheidungen organisieren, er soll führen, er soll sein Amt im Griff haben, er muss die oberste Autorität des Ministeriums sein. Jung war das nicht.

Er ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Er konnte nicht dadurch rehabilitiert werden, dass er ein anderes Ministerium leitet. Das Arbeits- und Sozialministerium ist keine Wiederaufarbeitungsanlage für gescheiterte Verteidigungsminister.

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Guttenberg hat als Reaktion auf das Abwiegelungsdesaster einen Staatssekretär und den Generalinspekteur in den Ruhestand versetzt. Es ist dies der Versuch eines Befreiungsschlages. Guttenberg will vergessen machen, dass er in den ersten Wochen seiner Amtszeit das desaströse Bombardement genauso beschwichtigend dargestellt hat wie sein Vorgänger. Guttenberg ist ein jüngerer Jung, auch er trägt die politische Verantwortung. Die bestand gewiss nicht darin, die falschen Antworten des Vorgängers ungeprüft zu wiederholen.

Es ist Teil der politischen Verantwortung, die Haftung für Fehler von Untergebenen zu übernehmen. In der Frühzeit der Republik, vor 56 Jahren, hat dies Reinhold Maier, damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg, so begründet: "Zu den obersten ungeschriebenen Gesetzen zählt der Grundsatz, dass in der Demokratie Männer ohne die herkömmlichen Laufbahnen unter Überspringung aller Zwischenstationen in das höchste Staatsamt, das Ministeramt, berufen werden, dass dafür aber die schwere Verantwortung für alle Vorgänge in ihren Ressorts übernommen wird, die Last der vollen Verantwortung auch ohne eigenes persönliches Verschulden." Antiquiert daran ist nur die Sprache und die Tatsache, dass der Mann nur von Männern spricht.

Viele Rücktritte, wenige ehrenvoll

Eine Kultur des Rücktritts hat sich seitdem leider nicht entwickelt. Es gibt zwar eine Geschichte der Vertuschung von Skandalen, zu der etwa der berüchtigte Satz des Bundesinnenministers Friedrich Zimmermann nach der Tschernobyl-Katastrophe gehört, es existiere eine Gefährdung "nur im Umkreis von 30 bis 50 Kilometern". Es gibt auch eine lange Geschichte der politischen Lüge; herausragend der dreiste Satz des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß im Spiegel-Skandal ("Ich habe mit der Sache nichts zu tun!") und die frivole Unwahrhaftigkeit Roland Kochs bei der Erfindung jüdischer Vermächtnisse. Aber: Eine Kultur freiwilliger politischer Selbstkontrolle fehlt.

Von vielen Dutzend Bundesminister-Demissionen sind es genau fünf in 60 Jahren, die Grund für Bewunderung sein können: die Rücktritte von Gustav Heinemann, Erhard Eppler, Christian Schwarz-Schilling, Rudolf Seiters und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Heinemann trat 1950 als Bundesinnenminister aus Protest gegen die Wiederbewaffnung zurück. Eppler 1974 als Entwicklungshilfeminister, weil er den geschrumpften Etat nicht verantworten wollte; Postminister Schwarz-Schilling 1992, weil ihn das untätige Zuschauen der deutschen Politik im bosnischen Bürgerkrieg empörte; Innenminister Seiters 1993, weil er die Verantwortung für das Desaster von Bad Kleinen übernahm. Leutheusser 1995, weil sie als Justizministerin den Lauschangriff ablehnte.

Von diesen ehrenvoll-freiwilligen Rücktritten abgesehen: Ob ein Minister zurücktreten muss, hängt nicht nur davon ab, ob er untragbar geworden ist - sondern vor allem davon, ob sein politische Ende seiner Partei gelegen kommt. Jungs Rücktritt passte der Kanzlerin. Er verschafft dem stolpernden Kabinett Merkel, früher als erwartet, auch eine Atempause.

Selbst im unruhigen ersten Kabinett Gerhard Schröders hatte es fünf Monate gedauert, bis der erste Minister (es war Oskar Lafontaine) zurücktrat. Binnen drei Jahren folgten damals sieben weitere. Schöne Aussichten.

© SZ vom 28.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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