Joschka Fischer zum Nahen Osten:Starker Mann am Bosporus

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Ohne Not hat Europa den Türken den EU-Beitritt verwehrt - nun suchen sie eine neue Rolle als Regionalmacht. Mit diesem Anspruch reißen sie womöglich neue Konflikte auf, mit Iran, mit Israel, mit den Palästinensern. Dem Nahen Osten stehen entscheidende Tage und Wochen bevor.

Joschka Fischer

Zwar ist es noch viel zu früh, um nach dem "arabischen Erwachen" den "Neuen Nahen Osten" beschreiben zu können, aber eine fundamentale Veränderung steht schon heute fest: Gleich, ob die Demokratisierung gelingt oder am Ende sich doch wieder das Militär und autoritäre Regierungsformen durchsetzen werden, sie alle werden nicht mehr ohne Rücksicht auf die Mehrheitsstimmungen in den beteiligten Völkern regieren können.

Mit dem "arabischen Erwachen" wird sich auch der Nahostkonflikt verändern, und zwar in seinen beiden Dimensionen als israelisch-palästinensischer und israelisch-arabischer Konflikt. (Foto: REUTERS)

Damit wird sich aber auch der Nahostkonflikt verändern, und zwar in seinen beiden Dimensionen als israelisch-palästinensischer und israelisch-arabischer Konflikt. Die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien und die Oslo-Vereinbarung mit den Palästinensern haben sich über Jahrzehnte hinweg, trotz mehrerer Kriege im Libanon und in Gaza und dreier Intifadas in den besetzten Gebieten, als erstaunlich stabil erwiesen. Das wird sich jetzt ändern.

Der Auslöser dieser nahöstlichen Plattentektonik war das arabische Erwachen, aber die Akteure sind mitnichten auf die arabische Welt oder den engeren Raum des Nahostkonflikts beschränkt: Die USA, Europa, die Türkei und in einem gewissen Sinne auch Iran spielen dabei direkt oder indirekt ihre Rollen.

Fangen wir mit der EU an, die gegenwärtig ja im Wesentlichen mit ihrer eigenen Krise beschäftigt ist. Die Europäer, angeführt von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, haben in den vergangenen Jahren der Türkei faktisch die europäische Beitrittstür vor der Nase zugeschlagen, sodass sich diese neu orientierte. Für die "neo-osmanische" Außenpolitik Ankaras nimmt der arabische Raum, noch vor dem Kaukasus, Zentralasien und dem Balkan, die zentrale Rolle ein.

Aber auch jenseits davon bleibt Ankara gar nichts anderes übrig, als sich intensiv um seine südliche Nachbarschaft zu kümmern. Es muss versuchen zu verhindern, dass sich Chaos ausbreitet. Eine europäisch eingebundene Türkei hätte zwar dieselben Risiken zu gewärtigen, aber ihre Prioritäten wären völlig andere. Aber diese Milch haben die Europäer verschüttet.

Die USA haben mit der Kairoer Rede von Präsident Obama und seiner Positionierung im Nahostkonflikt große Erwartungen geweckt und wenig bis gar nichts davon gehalten. So ließ Washington ein Vakuum entstehen, das durch die Politik der Null-Bewegung der Regierung Netanjahu noch entscheidend verstärkt wurde. Dieses Vakuum wurde dann durch das "arabische Erwachen" ausgefüllt.

Die Türkei und Israel
:Eine Beziehung ohne Liebe

Nach dem israelischen Angriff auf den Hilfskonvoi für den Gaza-Streifen ist das ohnehin schon angespannte Verhältnis Israels zur Türkei an einem Tiefpunkt angelangt. Die einst guten Beziehungen litten schon seit längerer Zeit unter diplomatischen Verwerfungen.

Die Türkei hat sich, dank der Kurzsichtigkeit Europas, faktisch für die Perspektive einer nahöstlichen Regionalmacht und gegen eine EU-Mitgliedschaft entschieden. Das ist das Rational hinter ihrer neo-osmanisch genannten Wende. Sie verbindet darin Interesse mit Ideologie. Einerseits möchte das Land regionale Vormacht auf dem Weg zu einer globalen Rolle werden, andererseits sieht es sich als Vorbild für eine gelungene Modernisierung des Nahen Ostens auf islamisch-demokratischer Grundlage.

Joschka Fischer (Grüne), 63, war von 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler in der Regierung Schröder. (Foto: dpa)

Der Anspruch der regionalen Vormacht wird die Türkei früher oder später in schwere Interessenkonflikte mit Iran führen. Denn Iran und die Radikalen in der Region werden auf der Seite der Verlierer dastehen, wenn sich die türkische Linie durchsetzt. Und Teheran weiß dies. Zwar versucht die Regierung Erdogan gute Beziehungen mit dem Nachbarn Iran aufrechtzuerhalten, aber sowohl in Irak als auch in Syrien und in Palästina werden die Ambitionen der sunnitischen Führungsmacht Türkei über kurz oder lang den Einfluss der Schiiten aus Teheran eindämmen oder gar zurückdrängen müssen. Und das heißt: Konflikt.

Die dramatische Verschlechterung der türkischen Beziehungen zu Israel hängt von dieser sich abzeichnenden iranisch-türkischen Rivalität im Nahen Osten ab, was für Israel durchaus auch positive (Schwächung Teherans und der Radikalen) und nicht nur negative Elemente beinhaltet. Allerdings wird eine mit Teheran rivalisierende regionale Führungsmacht Türkei die Interessen der Palästinenser wichtiger nehmen als seine Beziehungen zu Israel. Dies gilt noch mehr angesichts der revolutionären Veränderungen in der arabischen Welt. Tatsächlich hat Erdogan einen klassischen "Wechsel der Koalitionen" vorgenommen.

Israel befindet sich angesichts dieser Verschiebungen in einer immer schwieriger werdenden Lage, die eigentlich seine strategische Neuorientierung unverzichtbar macht, wenn es sich nicht international weiter isolieren will. Dies ist in einer sich sehr schnell und dramatisch verändernden Weltordnung nicht ohne erhebliche Risiken. Die israelische Antwort könnte nur ein ernst gemeintes Verhandlungsangebot an die Regierung Abbas mit dem Ziel eines Friedensvertrages sein, der nichts aus- und nichts offen lässt.

Das Sicherheitsargument, das sehr ernst zu nehmen ist, wirkt zudem immer weniger, da zwischen dem Abschluss eines Friedensvertrags mit den Palästinensern und dessen voller Implementierung ein genügend großer Zeitraum eröffnet werden kann, um diese im Einvernehmen zu lösen. Israels gegenwärtige Passivität und deren Folgen dürften aber so lange anhalten, wie für seine Regierung das Überleben ihrer Koalition wichtiger ist als eine entschlossene Friedensinitiative.

Die Palästinenser entwickeln sich unter dem Druck der arabischen Revolution zu einem dynamischen Faktor. Zuerst Hamas: Mit der Krise in Syrien und dem drohenden Sturz von Assad und unter dem Druck der ägyptischen Revolution und der neuen Rolle des Islamismus in der postrevolutionären Phase der Region wird das Bündnis der Hamas mit Teheran immer problematischer. Es bleibt abzuwarten, ob sich am Ende die "türkische Linie" gegen die Radikalen durchsetzen wird oder nicht. Auf jeden Fall steht die Hamas vor sehr risikoreichen Entscheidungen.

Dies wird umso mehr gelten, je erfolgreicher die diplomatische Offensive der palästinensischen Regierung in den UN verläuft. Obama hatte einen palästinensischen Staat nach Ablauf eines Jahres versprochen, und darauf bezieht sich jetzt Präsident Abbas. Entscheidend dabei wird sein, was am Tage danach geschieht. Gelingt es Abbas, die Dynamik in den Bahnen der Diplomatie zu halten oder wird sie sich wieder in Gewalt entladen und so erneut ins Desaster führen? Und wie sieht der palästinensische Weg zum Frieden nach New York aus? Der Nahe Osten steht vor entscheidenden Tagen und Wochen.

© SZ vom 10.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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