Großbritannien:"Ein sehr geselliger Mensch"

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Boris Johnson, damals Londons Bürgermeister (rechts), im November 2009 mit Evgeny Lebedev bei einem Empfang im Royal Opera House. (Foto: Dave M. Benett/Getty Images)

Die Opposition fordert die britische Regierung auf, die Berufung des russischen Milliardärs Evgeny Lebedev ins Oberhaus durch Boris Johnson zu untersuchen. Der Premier ist allerdings gerade nicht zu Hause.

Von Michael Neudecker, London

Es ist nicht bekannt, wie es Boris gerade geht, das letzte veröffentlichte Foto ist schon etwas älter. Es wurde im Januar 2017 gedruckt, in der Zeitschrift Architectural Digest, es zeigt Boris, wie er brav an der Leine neben seinem Herrchen sitzt, das Fell tadellos. Das Foto von Evgeny Lebedev und seinem Wolfshund Boris wird dieser Tage wieder auf allen möglichen Kanälen gepostet und geteilt, aus aktuellem Anlass.

Es geht in Westminster in diesen Tagen wie in den meisten Parlamentsvierteln der Welt darum, wie man mit der furchtbaren Situation in der Ukraine umgehen sollte, am Dienstag etwa verkündete die britische Regierung weitere Sanktionen, unter anderem werden die Vermögenswerte von 51 weiteren Oligarchen eingefroren. Allerdings rutschen auch immer wieder Themen auf die Agenda, die eigentlich schon vergessen waren, zumindest abgehakt. Die Deutschen reden wieder über ihre Atomkraftwerke, die Schweizer über ihre Neutralität, und die Briten reden über die Freundschaften ihres Premierministers.

Explizit eine Freundschaft beschäftigt London derzeit: die des sehr reichen britischen Russen Evgeny Lebedev zum Namensvetter seines Hundes, Boris Johnson. Auch am Mittwoch, bei der wöchentlichen Fragerunde an den Premierminister im Unterhaus, ging es wieder darum, wobei es sich dieses Mal um die Fragerunde an den stellvertretenden Premierminister Dominic Raab handelte, denn der Chef ist gerade auf Dienstreise.

Evgeny Lebedev ist der Sohn und Erbe des früheren KGB-Agenten Alexander Lebedev. Von seinem Vater übernahm er unter anderem die einst für ein Pfund erworbenen Zeitungen The Independent und Evening Standard. Lebedev, 41, und Johnson kennen sich seit Jahren, Lebedevs Blätter unterstützten Johnson nicht nur bei der Wahl zum Londoner Bürgermeister, sondern auch im Wahlkampf für das Amt des Premierministers, was in Großbritannien allerdings nicht unüblich ist. Johnson verbrachte regelmäßig seinen Urlaub in Lebedevs Anwesen in Italien, auch, als er schon Außenminister war.

Sein Titel: "Baron Lebedev of Hampton in the London Borough of Richmond upon Thames and of Siberia in the Russian Federation"

Johnson habe, recherchierte nun die Times, praktisch unverzüglich nach seinem Antritt als Premierminister im Juli 2019 darauf gedrängt, Lebedev zum Mitglied des House of Lords zu ernennen. Die Lords, allesamt auf Lebenszeit ernannt, sind Teil der Legislative: Gesetze werden vom Unterhaus vorgelegt, müssen aber vom Oberhaus abgesegnet werden. Lebedev wurde nach seiner Nominierung durch Johnson von der dafür zuständigen Kommission untersucht, die Kommission äußerte Bedenken, der Kandidat könne ein Sicherheitsrisiko darstellen.

Bald darauf aber bekam Lebedev den selbst gewählten und immer wieder erwähnenswerten Titel "Baron Lebedev of Hampton in the London Borough of Richmond upon Thames and of Siberia in the Russian Federation" verliehen. Die stellvertretende Labour-Chefin Angela Rayner kürzte den Titel am Mittwoch ein wenig ab, verwendete ihn aber mehrfach genüsslich, wobei sie vor allem "Sibeee-ria" betonte. Ihre Kolleginnen und Kollegen auf den Oppositionsbänken hinter ihr brachen jedes Mal in Gelächter aus.

Rayner, die mit ihrem roten Haar, den hohen Absätzen und ihrem mit lauter Stimme vorgetragenen Manchester-Akzent so ziemlich das Gegenteil des braven Juristen Dominic Raab aus Buckinghamshire ist, wies dabei vor allem auf die zeitliche Abfolge der Ereignisse hin. Nach der Nominierung und den durch die Kommission vorgebrachten Zweifeln dauerte es nur ein paar Monate bis zur Ernennung. Dazwischen gab es ein privates Treffen zwischen Johnson und Lebedev. "Was passierte also dazwischen?", fragte Rayner.

Man ist eben für alles offen

Die mittwöchlichen Fragen werden selten konkret beantwortet, auch Raab ging kaum auf Rayners Punkt ein. Eher nicht hilfreich dürfte sein, dass von Raabs Versuchen, seinen Chef zu verteidigen, vor allem eine Antwort hängen blieb: Auf die polemische Frage eines Labour-Abgeordneten, was genau es sei, weswegen sich Johnson zu russischen Milliardären hingezogen fühle, antwortete Raab, der Premierminister sei "ein sehr geselliger Mensch" und wolle, dass das Land "offen" sei. Ein Ende dieser Geschichte ist nicht in Sicht, die Opposition forderte die Regierung diese Woche schriftlich auf, Lebedevs Mitgliedschaft im Oberhaus noch einmal gründlich zu untersuchen.

Johnson kam derweil in Saudi-Arabien an. Er wolle die saudischen Machthaber darum bitten, die Ölproduktion zu steigern, um die hochschießenden Energiepreise im Westen abzufangen, teilte Downing Street mit. Dass Saudi-Arabien wegen seiner fragwürdigen Haltung zu Menschenrechten ein eher problematischer Handelspartner ist, das sei selbstverständlich klar: Der Premierminister werde im Zuge des Besuchs durchaus auch seine Bedenken darüber vortragen, dass Saudi-Arabien am Wochenende 81 Männer hinrichtete.

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