Großbritannien:John Bercow muss um seine Würde kämpfen

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John Bercow auf seinem mittlerweile ehemaligen Arbeitsplatz während einer Brexit-Debatte im Januar 2019. (Foto: AFP)
  • John Bercow, der ehemalige Sprecher des britischen Unterhauses, hat seine Autobiografie geschrieben.
  • Darin rechnet er hart mit ehemaligen Weggefährten ab.
  • Auf Kritik an ihm reagiert Bercow im Buch und in Wirklichkeit gereizt.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die Katze, die mit John Bercow und seiner Familie die pompöse Dienstwohnung im Westminster-Palast teilte, heißt Order, wie sonst. Mit seinen durchdringenden "Orrderrrr"-Rufen und seiner unkonventionellen Auslegung von Regeln war der einstige Parlamentssprecher während des Streits um den Brexit berühmt geworden. Order, die Katze, wurde zu einer anderen Familie gegeben, als die Bercows nach seinem Rücktritt im Oktober auszogen; er mochte sie nicht besonders.

Wie es erscheint, hegt Bercow auch sonst viele Antipathien. In seiner Autobiografie, die am Donnerstag erschien, mähe er vor allem konservative Kollegen mit dem "verbalen Maschinengewehr nieder", schreibt die Times. Ex-Premier David Cameron ist laut Bercow ein "24-Karat-Snob", Minister Michael Gove "ölig und aufgeblasen", andere Ex-Kollegen sind "kalt", "gemein", "böse", bigott". Im Kapitel "Alliierte und Gegner" erregt sich Bercow ausgiebig darüber, dass die Tories seine Frau Sally "ordinär" gefunden hätten.

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"Unspeakable", was man mit unaussprechlich oder unsäglich übersetzen kann, heißt das Werk, und die ersten Kritiken sind desaströs. Der Times-Rezensent schreibt, er habe sich nach der Lektüre "schmutzig" gefühlt. Tatsächlich muss man lange suchen, bis man so etwas wie Selbstkritik findet. Der Sohn eines Taxifahrers und Enkel rumänischer Immigranten fühlte sich offenbar von der britischen Elite nie für voll genommen. Er zitiert ein Gespräch, in dem Ex-Premier Cameron einen Labour-Mann, der bei der Sprecherwahl für ihn stimmen wollte, anpflaumte: "Bercow? Der zählt nicht."

Nun will die Regierung ihm auch noch die für Ex-Speaker übliche Erhebung in den Adelsstand verweigern. Deshalb schlug Labour-Chef Jeremy Corbyn den Tory Bercow für das House of Lords vor. Doch es sieht so aus, als habe das seiner Sache eher geschadet. Außerdem sind derzeit viele Menschen wütend auf Bercow: Im Unterhaus wird beklagt, dass dieser in seinen Memoiren die Namen früherer Mitarbeiter genannt habe, ohne deren Genehmigung einzuholen. Außerdem, und das wiegt schwerer, stehen Mobbingvorwürfe im Raum. Schon während seiner Amtszeit gab es Berichte, Bercow habe Personal schlecht behandelt; zahlreiche Mitarbeiter hätten seinetwegen gekündigt. Nun gibt es neue Beschwerden - diesmal von hochrangigen früheren Beamten. Sie sagen, Bercow habe Vorwürfe wegen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen ignoriert.

Der reagiert - im Buch und in der Wirklichkeit - gereizt. Das sei "absoluter Unsinn". Bercow, der sein Geld mittlerweile mit Reden und Auftritten verdient, sitzt drei Monate nach seinem Rücktritt zwischen allen Stühlen. Sein aufbrausender Charakter machte ihn zum Star in einer Welt der Traditionen, aber nun steht er sich damit selbst im Weg. Seine Rolle als Sprecher der Abgeordneten in einer historischen Umbruchphase war ihm auf den Leib geschneidert. Nun, ohne die Funktion, die ihn schützte und groß machte, muss er um seine Würde kämpfen.

Immer noch rufen ihm Passanten "Order" nach, wenn sie ihn auf der Straße sehen. Er genießt es sehr. Aber auch das wird aufhören.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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