Reaktionen auf Flugzeugabsturz:Selenskij: Ukraine in Absturz des Flugzeugs nicht involviert

Lesezeit: 3 min

Die Ukraine wolle sich nur mit der völligen Räumung der Halbinsel zufrieden geben, sagte Präsident Wolodimir Selenskij bei der Krim-Konferenz in Kiew. (Foto: Ukrainisches Präsidialamt/IMAGO/ZUMA Wire)

"Jeder weiß, wer etwas damit zu tun hat", sagt der ukrainische Präsident. Bundesaußenministerin Baerbock warnt vor Spekulationen. Die Reaktionen.

Der Tod von Söldnerführer Jewgenij Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz zwischen Moskau und Sankt Petersburg ist noch nicht offiziell bestätigt - Reaktionen gibt es aber schon viele. Zahlreiche Politiker betonen ihre geringe Überraschung. In Russland selbst war die Berichterstattung nach dem Absturz offenbar zurückhaltend, in den Nachrichten gab es Informationen erst spät und eher spärlich. Am ehesten sorgt der BBC zufolge für Aufsehen, wie schnell sich in diesem Fall die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija zu Wort gemeldet und Prigoschins Namen auf der Passagierliste bestätigt habe. Das geschah nur etwa eine Stunde nach dem Vorfall - ungewöhnlich zügig.

Getrauert wird unter Anhängern Prigoschins, also vor allem in der sogenannten Wagner-Gruppe. Im damit verbandelten Telegram-Kanal "Grey Zone" sind offenbar Bilder vom Hauptquartier in Sankt Petersburg zu sehen, die Beleuchtung im Hochhaus ergibt ein riesiges Kreuz als Zeichen der Trauer. In der Nähe legen Menschen Kränze ab und hängen Fahnen auf.

Blumen, Fahnen, Kränze: In der Nähe des Wagner-Hauptquartiers gedenken Menschen des mutmaßlich getöteten Söldnerchefs Prigoschin. (Foto: Stringer/Reuters)

Im Rest der Welt scheinen sich Trauer und Überraschung in Grenzen zu halten - ein Überblick:

Die Ukraine hat nach Angaben von Präsident Wolodimir Selenskij nichts mit dem mutmaßlichen Tod von Prigoschin zu tun. "Jeder weiß, wer etwas damit zu tun hat", sagt er vor Journalisten. Gleichzeitig nutze der Tod der Söldnerführung Kiew "im bestimmten Sinne" - wie genau, das führte er offenbar nicht aus.

Für den Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, war der gemeldete Tod seit Prigoschins Meuterei gegen den Kreml im Juni absehbar. "Der Absturz war ein Signal des Kreml", schreibt Podoljak auf X, bis vor Kurzem als Twitter bekannt. "Die demonstrative Eliminierung von Prigoschin und der Wagner-Führung genau zwei Monate nach dem Putschversuch ist ein Signal Putins an Russlands Eliten im Vorfeld der Wahlen im Jahr 2024: Nehmt euch in Acht, Illoyalität ist gleichbedeutend mit dem Tod." Der Bild-Zeitung sagte er außerdem: "Prigoschin hat in dem Moment, als er 200 Kilometer vor Moskau stehen blieb, sein eigenes Todesurteil unterschrieben."

Auch US-Präsident Joe Biden reagiert wenig überrascht auf den Absturz von Prigoschins Flugzeug. Auf die Frage von Reportern, ob seiner Ansicht nach Russlands Präsident Wladimir Putin hinter dem Absturz stecke, sagte Biden: "Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt." Er wisse aber nicht genug, um dies beantworten zu können.

Der ehemalige Leiter der Russlandabteilung des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, Christopher Steele, sagte der BBC, Prigoschins Ende sei wohl "unvermeidlich" gewesen. Es sei wahrscheinlich, dass der Flugzeugabsturz von jemandem hoch oben im Sicherheitsapparat organisiert oder angeordnet worden sei, "vielleicht mit Putins stillschweigender Zustimmung", so Steele. Seinen Informationen nach sollen sich auch hochrangige Vertreter der Geschäftswelt gegen Prigoschin gewandt haben. "Er hatte also viele Feinde und nur sehr wenige Verbündete innerhalb des Regimes."

Mutmaßlicher Tod von Prigoschin
:Was wir über den Flugzeugabsturz wissen - und was nicht

Lange hat Jewgenij Prigoschin finstere Kampfaufträge für den Kreml erfüllt. Dann meuterte er - und exakt zwei Monate später verliert ein Privatjet, in dem er sitzt, innerhalb von 30 Sekunden rapide an Höhe. Ein Überblick über die Faktenlage.

"Den Verbrecher Prigoschin wird in Belarus niemand vermissen", schreibt die im Exil lebende belarussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja bei X. Er sei "ein Mörder" gewesen und sollte "als solcher in Erinnerung bleiben". Zwar ist Prigoschins Tod noch nicht offiziell bestätigt worden, Tichanowskaja hoffe aber, dass sich "die Präsenz der Wagner-Gruppe in Belarus auflösen und sich die Bedrohung für unser Land und unsere Nachbarn verringern" werde.

Es sei zu befürchten, sagt Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zur Zukunft der Söldnergruppe, "dass Russland mit oder ohne Wagner mit seinem zynischen Spiel, nicht nur in der Ukraine, sondern vor allen Dingen in Afrika weitermacht". Prigoschin und Wagner seien für schreckliche Taten verantwortlich, sowohl "gegen das ukrainische Volk" als auch "in einem Land nach dem anderen in Afrika", so die Außenministerin. "Wo immer Wagner hingeht, folgen Tod und Zerstörung und Ausbeutung."

Bei dem Flugzeugabsturz warnt die Außenministerin vor Spekulationen und schnellen Schlüssen. "Noch immer ist unklar, was genau passiert ist", sagt Baerbock mittags in Berlin. Auf russische Verlautbarungen sei "kein Verlass". Klar sei aber, die russische Regierung sei ein "diktatorisches Machtsystem", das auf Gewalt gebaut sei, und deshalb nach innen wie nach außen nur Gewalt kenne.

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt: "Dass Prigoschin seinen Angriff auf Putin mit dem Leben bezahlen wird, davon war auszugehen: Ein Teufel, der sich mit dem Teufel einlässt." Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland weiter: "Es zeigt aber auch, dass offensichtlich große Nervosität bei Putin und seinen Schergen im Kreml herrscht."

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sieht Präsident Putin nach dem Tod Prigoschins geschwächt. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Röttgen: "Ob die von Putin enthauptete Wagner-Gruppe sich nun erst recht zur Rebellion formiert oder sich führungslos fügt, ist eine offene Frage. Das Machtsystem Putins aber hat Risse bekommen, und das kann er nicht mehr stoppen."

© SZ/dpa/reuters/infu/saul - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusZukunft der Wagnertruppen
:Wie es mit den Wagner-Truppen jetzt weitergeht

Nach dem wahrscheinlichen Tod ihres Anführers Prigoschin blicken die Kämpfer an vielen Orten in eine ungewisse Zukunft. Wird der Kreml die Söldner weiter nutzen können?

Von Tomas Avenarius und Arne Perras

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: