Japan:Die Zeit läuft gegen den Premier

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Seine Umfragewerte sind schlecht, selbst in der eigenen Partei ist er umstritten: Fumio Kishida, seit gut zwei Jahren Japans Regierungschef. (Foto: Kiyoshi Ota/Reuters)

Fumio Kishida steht mehr denn je wegen widersprüchlicher Politik und Turbulenzen in seiner Regierungsmannschaft in der Kritik . Da hilft nur Aussitzen.

Von Thomas Hahn, Tokio

In Japans Politik kursieren wieder Spekulationen über Neuwahlen. Sie sind in diesem Jahr ein hartnäckiger Begleiter des Premierministers Fumio Kishida von der rechtskonservativen LDP, denn in der Demokratie des Inselstaates ist die vorgezogene Parlamentsneuwahl keine Ausnahme, zu der sich das neutrale Staatsoberhaupt nur aus besonderen Gründen entscheidet wie in Deutschland. Sie ist ein Standard. In der Nachkriegszeit dauerte kaum eine Legislaturperiode die vorgesehenen vier Jahre. Nach dem japanischen Gesetz kann der parteiische Regierungschef mit Zustimmung seines Kabinetts das Unterhaus während der Sitzungsperiode praktisch jederzeit durch den Kaiser auflösen lassen - zum Beispiel weil er das Gefühl hat, eine Wahl würde seine Position stärken.

Dieses Gefühl hat Fumio Kishida, 66, seit Oktober 2021 Regierungschef, dieser Tage allerdings nicht. Erst am vergangenen Donnerstag wurde er wieder gefragt, ob er demnächst Neuwahlen ausrufe. Kishida antwortete sinngemäß, er müsse erst mal die Wirtschaft in Gang bringen und denke "an nichts anderes". In den aktuellen außerordentlichen Parlamentssitzungen bis 13. Dezember will er seinen Nachtragshaushalt durchbringen, der die rund 17 Billionen Yen, umgerechnet 104,8 Milliarden Euro, für sein neuestes Wirtschaftshilfepaket finanzieren soll. Nach Wahlen 2023 sieht es also nicht aus.

Eigentlich wollte Kishida mit einem "neuen Kapitalismus" die Stimmung aufhellen

Kishida steckt in einer Krise. Seine Umfragewerte sind schlecht. Die Rechten in seiner LDP, die nach der Ermordung von Ex-Premier Shinzo Abe im Juli 2022 immer noch nach einer neuen Identifikationsfigur suchen, halten wenig von seinem gemäßigten Stil und seinem Versprechen eines "neuen Kapitalismus". Und seine jüngsten Maßnahmen gegen Geburtenrückgang und hohe Preise wirken bisher vor allem teuer. Mit dem neuen Stimulus-Paket wollte Kishida die Stimmung aufhellen, immerhin enthält es auch Steuererleichterungen und Barauszahlungen für Haushalte, die unter der Inflation leiden.

Aber der Plan passte nicht gut zu Japans riesigem Schuldengebirge. Finanzminister Shunichi Suzuki musste zuletzt einräumen, Kishidas Vorhaben sei nur mit neuen Schulden zu stemmen. Außerdem: Hatte Kishida Japans teure neue Verteidigungsstrategie nicht mit Steuerhöhungen bezahlen wollen?

Dazu kommen Turbulenzen in Kishidas Kabinett. Erst im September hatte der Premier es umgebaut, um seine Regierung "mit neuen Farben" zu versehen. Aber seither geht es eindeutig zu bunt zu: Binnen zwei Monaten mussten gleich drei seiner Leute ihre Posten räumen. Diesen Montag trat der Vize-Finanzminister Kenji Kanda zurück. Grund: Das Wochenmagazin Shukan Bunshun hatte enthüllt, dass ausgerechnet Kandas Firma, eine Steuerberatung, zwischen 2013 und 2022 vier Verfahren zur Zwangsvollstreckung ausgelöst hatte, weil Steuern nicht bezahlt waren. Kanda musste alles einräumen. Peinlich.

Ein stellvertretender Finanzminister, der eine Steuerberatungsfirma hat, die Steuern nicht bezahlt: Kenji Kanda, wenige Tage vor seinem Rücktritt. (Foto: AFP)

Ende Oktober verursachte eine andere Shukan-Bunshun-Enthüllung den Abtritt und kleinlaute Entschuldigungen des parlamentarischen Staatssekretärs Taro Yamada aus dem Bildungsministerium. Der verheiratete Yamada, 56, hatte sich eine Affäre mit einer jungen Frau geleistet. Wenig später reagierte Vize-Justizminister Mito Kakizawa auf einen Bericht der Zeitung Asahi. Kakizawa hatte einer Kandidatin für das Bürgermeisteramt im Tokioter Bezirk Koto geraten, ihren Wahlkampf mit bezahlter Internetwerbung aufzuwerten. Er habe nicht gewusst, dass Japans Wahlrecht bezahlte Internetwerbung verbietet, sagte Kakizawa. Auch er trat zurück.

Japans Politikverdrossenheit ist unter Kishida nicht besser geworden

Einen Eindruck davon, dass seine LDP gerade keine Selbstläuferin ist, bekam Kishida am 23. Oktober bei zwei Nachwahlen für je einen Sitz im Unter- und Oberhaus. Den Unterhaussitz im Wahlkreis Nagasaki 4 verteidigte die LDP, aber in Tokushima-Kochi siegte der unabhängige Oberhauskandidat mit Unterstützung der zentristischen Oppositionspartei CDP. Die Wahlbeteiligung von 42,19 beziehungsweise 32,16 Prozent brach jeweils Minusrekorde. Japans Politikverdrossenheit ist unter Fumio Kishida nicht besser geworden.

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Seine Politik zur Wahl zu stellen, ist demnach gerade keine gute Idee. Früher im Jahr wäre es günstiger gewesen. Kishidas Zustimmungswerte in der Heimat stiegen, als er im März in die Ukraine zu Präsident Wolodimir Selenskij reiste, als Zeichen gegen Russlands Angriffskrieg dort. Auch der G-7-Gipfel im Mai in Hiroshima brachte Kishida Sympathien. Aber jetzt muss er das Stimmungstief aussitzen und hoffen, dass er die Gräben in seiner Partei noch rechtzeitig zuschütten kann. Die nächste Parlamentswahl wäre turnusgemäß erst 2025. Aber die nächste Wahl um die Präsidentschaft der LDP findet im September 2024 statt. Nur als LDP-Präsident kann Kishida Premierminister bleiben. Er weiß, die Zeit läuft gegen ihn.

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