Ostchinesisches Meer:Felsen des Anstoßes

Lesezeit: 3 min

"Der Fakten nicht bewusst": Fischerboot mit japanischer Flagge vor den Senkaku-Inseln. (Foto: Chris Meyers/REUTERS)

Japans Streit mit China um eine Inselgruppe im Ozean darf man nicht unterschätzen: Es ist ein Problem, das Weltmächte gegeneinander aufbringen kann. Am Dienstag richtete Tokio eine neue Protestnote an Peking.

Von Lea Deuber und Thomas Hahn, Tokio/Peking

Das Nationalmuseum für Territorium und Souveränität im Tokioter Bezirk Chiyoda ist Japans freundlicher Versuch, Fakten zu schaffen. Maskottchen und Informationstafeln vermitteln dort, was zu Japan gehört beziehungsweise gehören sollte. Die drei großen Konflikte in den Meeren rund um den Inselstaat sind das Thema. Der Eintritt ist frei, die Botschaft so klar wie einseitig. Nach dem Besuch ist man nicht sicher, ob man wirklich so einfach sagen kann, dass Südkoreas Dokdo-Inseln eigentlich japanisch sind und Russland die südlichen Kurilen zu Unrecht hält.

Vor allem aber unterschätzt man leicht Japans Streit mit China um eine Felseninselgruppe im Ostchinesischen Meer; die im Übrigen auch Taiwan beansprucht. Denn was im Museum wie ein nationales Interesse aussieht, ist in Wirklichkeit ein Problem, das Weltmächte gegeneinander aufbringen kann. Die Senkaku-Inseln oder Diaoyu-Inseln, wie China sie nennt, sind ein wunder Punkt in der internationalen Sicherheitspolitik. Erst recht seit China seine Küstenwache per Gesetz mit neuen Vollmachten ausgestattet hat.

Die Senkaku-Inseln wirken auf den ersten Blick wie ein paar Felsen im Meer. Aus japanischer Sicht gehören sie zum Gemeindegebiet Ishigakis, der südlichsten Stadt in Japans Inselkette, knapp 2000 Kilometer von Tokio entfernt. Die Japaner übernahmen die Inseln 1895, nachdem sie dort keine Anzeichen chinesischer oder sonstiger Herrschaft vorgefunden hatten. Auf Uotsuri, der größten Senkaku-Insel mit 3,3 Kilometer Länge, gab es einst eine Fabrik zur Verarbeitung von Bonitos und Albatrosfedern. Heute brüten hier Vögel. Außer dem Senkaku-Maulwurf sowie ein paar Hundert Ziegen lebt dort niemand.

Aber strategisch sind die Senkaku-Inseln wichtig. Wer sie hat, kann die Seewege der Region besser kontrollieren. China will seine Macht zu Wasser ausbauen. Dafür erhebt es umfassende Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer. 2016 wurden diese von einem internationalen Schiedsgericht in Den Haag zurückgewiesen, was Chinas Regierung wenig kümmert. Und auch im Streit um die Inseln im Ostchinesischen Meer sieht sie sich im Recht. Im November verschlechterte Außenminister Wang Yi die Stimmung bei einem Treffen in Tokio, als er während einer Pressekonferenz die Besitzverhältnisse rund um die umstrittenen Felsen aus Chinas Sicht deutlich machte. Japanische Fischerboote, "die sich der Fakten nicht bewusst sind", ließen China "keine Wahl, als die notwendige Antwort zu geben", sagte Wang. Japans Außenminister Toshimitsu Motegi stand daneben und lächelte gequält.

Japans Küstenwache beobachtet die Lage mit zunehmender Sorge. Seit 2008 führt sie Buch über Chinas Bewegungen rund um die Senkaku-Inseln. 2020 kreuzten chinesische Schiffe dort insgesamt 333 Tage lang, so oft wie noch nie. Und seit Anfang Februar Chinas neues Küstenwachengesetz in Kraft getreten ist, meldet Japan wieder regen Verkehr. Am Dienstag richtete Tokio eine neue Protestnote an Peking, weil zwei weitere Schiffe der chinesischen Küstenwache ins Senkaku-Gebiet eingedrungen seien; mit dem Bug hätten sie in Richtung eines japanischen Fischkutters gezeigt.

Das Gesetz wurde Ende Januar verabschiedet. Es räumt der chinesischen Küstenwache weitreichende Kompetenzen ein, wenn nationale Hoheitsrechte verletzt oder bedroht werden. Eine Sprecherin des Außenministeriums sagte im Januar, das neue Gesetz solle die Autorität der Küstenwache klarer machen. Es solle außerdem eine Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung schaffen und der Küstenwache helfen, internationale Verträge besser umzusetzen. Es sei nichts Besonderes.

Chinas Küstenwache war mal eine Rettungseinheit. Heute hat sie mit Seenothilfe nicht mehr viel zu tun. 2013 fasste Peking mehrere zivile Küstenwachen zur nationalen Küstenwache Chinas zusammen. Seit 2018 untersteht diese dem Kommando der Bewaffneten Volkspolizei, einer paramilitärischen Organisation unter Chinas höchstem militärischen Führungsorgan. Geführt wird die Zentrale Militärkommission von Parteichef Xi Jinping selbst.

Faktisch handelt es sich bei der Küstenwache damit um einen Teil der chinesischen Streitkräfte. Chinas Küstenwache hat allein die Zahl seiner Schiffe mit einem Gewicht von mehr als 1000 Tonnen binnen eines Jahrzehnts auf 130 mehr als verdoppelt. Die Mehrheit der größeren Schiffe ist deutlich stärker aufgerüstet, als es in anderen Ländern üblich ist, bei einigen handelt es sich um umgebaute Marine-Fregatten. Die meisten sind hochseetauglich und können Chinas Kriegsschiffe bei Patrouillenfahrten in den entfernten umstrittenen Seegebieten unterstützen.

Durch das neue Gesetz darf diese Militär-Küstenwache jetzt ausländische Schiffe aus Gebieten verdrängen, sie für Inspektionen betreten und unter Umständen sogar unter Beschuss nehmen. Wenn sie das Gebiet um die Senkaku-Inseln als heimisches Gewässer betrachtet, hieße das, sie könnte auch gegen japanische Schiffe vorgehen, die das Gebiet ja ihrerseits als heimisches Gewässer betrachten. Die Folgen? Kaum auszudenken. Japan ist Bündnispartner der USA. Erst Ende Januar sagte US-Präsident Joe Biden Premierminister Yoshihide Suga die volle Unterstützung zu. Das Weiße Haus bestätigte das "Engagement der Vereinigten Staaten für die Verteidigung Japans gemäß Artikel 5 unseres Sicherheitsvertrages, der die Senkaku-Inseln einschließt".

Entspannung ist nicht zu erwarten. Japan richtet sich darauf ein. Die Küstenwache soll bis April 2023 50 Prozent mehr große Schiffe bekommen, berichtete das Magazin Nikkei Asia im Dezember. 2024 will das Verteidigungsministerium in Tokio drei neue Transportschiffe einsetzen. Diese sollen die Selbstverteidigungskräfte auf den Inseln nahe den Senkakus unterstützen - und zur Not wohl auch jene Spezialeinheit zum Einsatzort bringen, die Japan 2018 für den Falle einer Insel-Invasion aufstellte. "Wir können uns nicht nur auf die USA verlassen", zitierte die Nachrichtenagentur Kyodo einen leitenden Ministerialbeamten, "wir müssen auch selbst etwas einbringen, um die Inseln zu verteidigen."

Das freundliche Museum in Chiyoda wird China in der Tat nicht von Japans Rechten und Ansprüchen überzeugen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: