Italien:Alle lieben Mario Draghi

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Der frühere EZB-Chef Mario Draghi soll neuer Premier werden. (Foto: Michael Probst/AP)

Von links bis fast ganz rechts: Außer den Postfaschisten wollen wohl alle Parteien mit dem ehemaligen Chef der EZB regieren.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Herzen, sie fliegen. Bei seinen Sondierungsgesprächen für die Bildung einer neuen italienischen Regierung erfährt der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi so viel herzliche Umgarnung von den Parteien, dass er wohl bald Premier sein wird. Fast alle wollen dabei sein, die Frage ist nur, ob alle miteinander können.

Die Medien überschlagen sich mit Elogen, genau wie die Mailänder Börse, seitdem Draghi den Regierungsauftrag angenommen hat. Der Spread geht zurück - so nennt man die Zinsdifferenz zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen. Er ist ein Gradmesser für das Vertrauen der Märkte in das hoch verschuldete Italien. Zum ersten Mal seit 2015 fiel dieser Wert unter 100 Basispunkte. Der Name allein garantiert für Stabilität. Santo subito?

Sicher sind Draghi bisher die Stimmen der Sozialdemokraten, der linken Liberi e Uguali, der Zentristen von Italia Viva, von +Europa und Azione, von den Europeisti und den Christdemokraten der Unione di Centro. Sehr wahrscheinlich stimmen auch die Parlamentarier von Silvio Berlusconis Forza Italia geschlossen für ihn. Berlusconi, 84 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen, wollte eigentlich für das Gespräch mit Draghi nach Rom fahren, ließ es dann aber sein. Er schätzt ihn und will unbedingt dabei sein. Es ist eine einmalige Chance, sich und seine Partei von den Souveränisten und Rechtspopulisten zu emanzipieren.

Matteo Salvinis Lega ist gespalten, kann es sich aber kaum leisten, Draghi ihre Unterstützung zu verwehren: Im Norden Italiens, dem unternehmerischen Herzen des Landes und Stammland der Partei, würden sie das nicht verstehen. Die Nummer zwei der Lega, Giancarlo Giorgetti, vergleicht Draghi mit dem Fußballer Cristiano Ronaldo und nennt ihn "Weltklasse". Doch mag die Linke mit der Lega regieren?

Nur die Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, gibt sich unbeeindruckt. Vielleicht wird sie sich dann bei der Vertrauensabstimmung der Stimme enthalten, aus Respekt, aber unter Draghi als Premier mitregieren? Niemals. Der Corriere della Sera zeigt Meloni in einer Karikatur hoch zu Ross, aber klein, vor einem großen Drachen. Draghi, muss man dazu wissen, ist der Plural von drago, dem italienischen Wort für Drachen. Wo Draghi politisch steht, weiß niemand so genau. Seine Freunde beschreiben ihn als katholischen Sozialliberalen.

Zunächst wird er alle Lager miteinander aussöhnen müssen

Eine richtungsweisende Zerreißprobe erleben die Cinque Stelle. Wie die Lega sind sie erst am Samstag dran mit den Gesprächen. Als Sieger der Parlamentswahlen 2018 stellen sie mit Abstand am meisten Parlamentarier. Nachdem die systemkritische Partei schon mit der Lega (2018 bis 2019) und den Sozialdemokraten (2019 bis 2021) regiert hat, stünde jetzt bereits der dritte Sprung über den eigenen Schatten an: Draghi galt ihnen bisher als klassischer Vertreter der Eliten und der Banken, der gehassten "Kaste". Wie soll das zusammengehen?

Wahrscheinlich gelingt den Fünf Sternen auch diese Volte. Zunächst zierten sie sich kurz, als wollten sie ihren Ärger über den gestürzten Giuseppe Conte manifestieren. Conte ist zwar kein eingeschriebenes Parteimitglied, doch er steht der Bewegung nahe.

Dann überstürzten sich die Ereignisse. Conte trat vor die Presse und machte klar, dass er Draghi nicht im Weg stehen wolle und bereit sei, die Cinque Stelle zu führen. Luigi Di Maio, der frühere Chef der Partei, ließ ausrichten, man müsse nun "Reife" beweisen, für das Wohl des Landes. Und Beppe Grillo, der Gründer und Garant der Fünf Sterne, telefonierte zwei Stunden mit Draghi. Er findet, ja, das kann etwas werden. Nur ein kleiner Flügel von Hartgesottenen sträubt sich. Sie wollen die Basis befragen zu Draghi, bei einer Onlineabstimmung auf ihrer Plattform "Rousseau".

Verwirrt ist auch die parteinahe Zeitung Il Fatto Quotidiano, mehr noch wegen des möglichen Bündnisses mit Berlusconi als wegen der Unterstützung für Draghi. Auf ihrer ersten Seite titelte sie am Freitag in fetten Lettern: "Regieren mit dem Psychozwerg?" So nennt das Blatt Silvio Berlusconi. Draghi wird sie zunächst alle miteinander aussöhnen müssen.

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