Die Stadt wacht auf, und irgendwie scheint alles anders zu sein. Nach dem Dauerregen der vergangenen Tage lacht ein blauer Himmel über Mailand. Verflogen sind die Sorgen, ob bei der Volksbefragung unter anderem zur Privatisierung der Trinkwasserversorgung oder zur Atomkraft das notwendige Quorum von 50 Prozent Stimmbeteiligung erreicht werden würde. Es wurde bei der Abstimmung von Sonntag und Montag locker übersprungen, und die Menschen feiern in Parks, auf den Straßen oder bei sich zu Hause. Die Twitter-Botschaften überschlagen sich, laufend werden emphatische Blog-Kommentare abgesetzt. Darin liest man vom "Ende der Illusionen" oder beschwört gar eine "italienische Epiphanie".
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(Foto: REUTERS)Der Wind hat sich offenbar gedreht. In den Lokalradios nicht nur in Mailand, sondern auch in Turin oder Rom, Bologna oder Neapel melden sich die Sieger der vier Referenden zu Wort. Keine Vertreter der Parteien, sondern Vertreter der sogenannten Zivilgesellschaft, die mit SMS, YouTube und Facebook Wahlkampf gemacht haben; die Fahrraddemos veranstaltet, Handzettel auf den Märkten verteilt und Informationsmaterial in die Hausbriefkästen gesteckt haben. Über das Ergebnis der Abstimmung könne sich nur wundern, so der Tenor vieler Anrufe, wer sich allein aus den traditionellen Medien informiert habe.
Und wirklich, Zeitungen und Fernsehen haben sich erst spät dem Thema Referendum gewidmet. Sie haben die Referenden weitgehend ignoriert. Seit sechzehn Jahren hatte in Italien keine Volksbefragung mehr das notwendige Quorum erreicht. Sicherheitshalber hatte die Regierung die sie störende Abstimmung von den Kommunalwahlen Anfang/Mitte Mai abgetrennt und auf die Wahlmüdigkeit der Italiener gesetzt. Aber es kam ganz anders. In der Region Trentino-Südtirol wählten mehr als 64 Prozent. Und auch das Schlusslicht Kalabrien schaffte mit knapp über 50 Prozent noch das Quorum. Ein neues Selbstgefühl schafft sich Raum - und es wächst abseits der Parteien. Als etwa Spitzenpolitiker der linken PD versuchten, sich kurz vor der Abstimmung an die Spitze der Bewegung zu setzen, wurde das eher verächtlich kommentiert. Wahlaufrufe von Popstars wie Adriano Celentano oder Gianna Nannini wurden dagegen begrüßt.
Sicher spielte der Fukushima-Effekt bei der Frage nach der Atomkraft eine Rolle. Aber den meisten Menschen wurde auch die zunehmende Privatisierung (und Verteuerung) des Trinkwassers unheimlich. Fast zwanzig Jahre lang hat besonders der hoch entwickelte Norden Italiens daran geglaubt, dass allein eine konsequente Liberalisierung dem Land den Modernisierungsschwung geben könnte, den es so dringend braucht. Doch die Privatisierung staatlicher Einrichtungen bis in den schulischen Bereich hinein hat sich als ein grandioser Misserfolg erwiesen. Nicht einmal die Haushalte von Staat, Regionen und Kommunen konnten wesentlich entlastet werden.