Regierungskrise in Italien:Renzis toxische, aber zentrale Rolle

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In normalen Zeiten mögen die Italiener ausgebuffte Politiker: der frühere Regierungschef Matteo Renzi bei einer Pressekonferenz im Januar. (Foto: imago images/Independent Photo A)

Der frühere italienische Premier hat mit seinem Rückzug die Regierung Conte an den Rand des Absturzes gebracht. Nun muss in Roms Hinterzimmern eine neue Mehrheit geschustert werden. Mittendrin: Matteo Renzi.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn Matteo Renzi mal wieder der Sinn nach einer Zurechtrückung der Geschichte steht, sagt er gerne: "Ich war Premier für mehr als tausend Tage." Die Tagesstatistik hat den Vorteil, dass sie einigermaßen bombastisch klingt. Sie erlaubt aber auch eine bessere historische Verortung der Protagonisten im stetig unsteten Leben italienischer Regierungen.

Viele Kabinette überlebten gerade mal knapp den Hauch ihrer Ankündigung, zumal früher, in der Ersten Republik. Im Fall von Renzi, Präsident des Ministerrats vom 22. Februar 2014 bis zum 12. Dezember 2016, kamen genau 1024 Regierungstage zusammen. Man könnte auch sagen: weniger als drei Jahre. Auf der Rangliste der Ausdauerndsten seit 1946 ist er Zehnter.

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Giuseppe Conte, sein Rivale und Alliierter, steht an elfter Stelle, mit nunmehr 958 Tagen. Fast tausend, aufgeteilt auf zwei Regierungen, Conte I und Conte II. Ein paar Wochen noch, so ihm die gegönnt sind, dann hat er Renzi eingeholt. Und Renzi entscheidet wohl, ob er das schafft.

Nun wäre es natürlich unfair, dem 46-jährigen Florentiner vorzuwerfen, er dränge allein aus persönlicher Antipathie die Regierung Contes an den Rand des Absturzes, wie er das mit dem Rückzug seiner beiden Ministerinnen aus dem Kabinett nun getan hat. Mitten in der Pandemie. Und zur Verwunderung oder zum Zorn, je nach politischer Neigung, von siebzig Prozent der Italiener, wie eine Umfrage der Zeitung La Stampa ergeben hat.

Alles ist offen, das ganze Spiel um die Macht

Renzis artikulierte Kritik an Contes erstem Entwurf für einen Recovery Plan mit den 209 Milliarden Euro aus dem Topf der Europäischen Union wurde von vielen Sozialdemokraten in der Regierung geteilt. Und sie hat immerhin dazu geführt, dass im zweiten Entwurf viele Punkte verbessert wurden: Es gibt darin mehr Aufwendungen für das Gesundheitswesen, die Kultur, die Bildung, und mehr langfristige Investitionen statt nur Boni und Zuschüssen.

Doch persönliche Aspekte lassen sich nun mal schwerlich aus dieser Geschichte heraushalten - gerade jetzt nicht, wo einige Tage lang in den Hinterzimmern der römischen Palazzi, in mehr oder weniger großen Gruppen, in mehr oder weniger heiliger Absicht, eine neue Regierungsmehrheit gesucht und geschustert wird: mit Posten und Konzessionen.

Gut möglich, dass am Ende die alte Mehrheit auch die neue sein wird, dass also das heterogene Bündnis aus der früheren Protestbewegung Cinque Stelle, dem sozialdemokratischen Partito Democratico, der linken Partei Liberi e Uguali und Renzis sozialliberaler Italia Viva weiterregiert - vielleicht mit einem Pakt bis zum Ende der Legislaturperiode 2023. Jedenfalls hat Renzi diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen. Selbst eine Handreichung für ein Conte III liegt drin, falls sich der seinen Forderungen beugt. Für Montag hat Conte jedenfalls eine Rede in der Abgeordnetenkammer geplant, wo er nach einer Debatte die Vertrauensfrage stellen soll, wie das Parlament am Donnerstag bekannt gab.

Alles ist offen, das ganze Spiel um die Macht, und mittendrin steht Matteo Renzi in hoch toxischer, aber imminent zentraler Rolle. Er wird oft mit einem Pokerspieler verglichen, das Bild missfällt ihm wahrscheinlich nicht. In normalen Zeiten mögen die Italiener ausgebuffte Politiker, Taktik gilt als Kunstform. Doch das sind keine normalen Zeiten.

Bekannt wurde Renzi als junger Bürgermeister von Florenz, von 2009 an. Er war einer, der den Bildschirm löcherte, wie die Italiener sagen, wenn jemand am Fernsehen gut rüberkommt: voller Drive und Dynamik und mit schnellem Mundwerk. Die Bühne wurde bald größer, national. Der Zentrist aus der katholischen Pfadfinderbewegung nahm den Partito Democratico im Sturm, was vor allem den Postkommunisten darin nur leidlich gefiel, er versprach die "Verschrottung" der alten Garde. Renzi wurde Premier und führte die Partei kurz darauf bei den Europawahlen zum besten Resultat ihrer Geschichte: 40,8 Prozent. Auch diese Zahl wiederholt er gerne.

Renzi blieb - etwas bitter, als ausrangierter Premier

Danach ging es nur noch abwärts. In der Wahrnehmung der Italiener kippte sein Selbstvertrauen in Selbstgefälligkeit, die Hochzeitsreise war schnell vorbei. Im Dezember 2016 scheiterte er dann mit seiner großen Verfassungsreform und trat zurück. Zum ersten Mal hatte er zu hoch gepokert: Er stilisierte das Referendum zu einer Abstimmung über seine Person, geblendet von Hybris.

Eigentlich wollte er damals auch die politische Bühne verlassen, weggehen, nach Amerika, er hatte drei Jobangebote. Das tat er aber nicht. In einem Interview mit dem Magazin Sette sagte Renzi neulich: "Ich bedauere nur etwas, ich hätte damals wirklich den Platz räumen sollen." Wenigstens für eine Weile, vielleicht hätte man ihn dann vermisst. Doch die Partei bat ihn zu bleiben. Und so blieb er. Etwas bitter, als ausrangierter Premier, viel zu jung für den Ruhestand.

Bei den Wahlen 2018 wurde Renzi in den Senat gewählt, da sitzt er nun. Als früherem Regierungschef steht ihm ein schönes, großes Büro mit Vorzimmer im prächtigen Palazzo Giustiniani zur Verfügung, aber das ist ein schwacher Trost.

Über den Rechtsprofessor und Anwalt Giuseppe Conte aus dem süditalienischen Apulien, der vor zweieinhalb Jahren völlig zufällig und als totaler Unbekannter Premier einer Regierung von Cinque Stelle und der rechtspopulistischen Lega wurde, war seine Meinung schnell gemacht. "Conte ist der unfähigste Premier, den dieses Land je erlebt hat", sagte er einmal. Er nannte ihn auch "Vize seiner Vizes" Luigi Di Maio und Matteo Salvini, "Sprecher seines Sprechers", "Aspirant für die Wettersendung im Fernsehen".

Nach solchen Sprüchen wird man wohl nie mehr Freunde, ihre Temperamente kollidieren frontal. Doch dann nahm die Geschichte eine Wende, wie sie wohl nur in Italien möglich ist. Im Sommer 2019, als der plötzlich populär gewordene Lega-Chef Salvini von Allmachtsfantasien umnebelt war, fand Renzi zurück an den vorderen Rand der Bühne. Er half dabei, Salvini zu stürzen, er gab gar den wichtigsten Stoß dazu. Und mit einer feinen taktischen Volte bereitete er dem gering geschätzten Conte den Boden zu einer zweiten Regierung, die er auch noch gelobte zu unterstützen - missliebig zwar. Aber in den wichtigen Momenten war Italia Viva immer loyal.

Die beiden Neualliierten mieden sich ein volles Jahr lang, man traf sich nie persönlich. Bis vergangenen November. Da lud Conte Renzi und andere Parteichefs der Koalition ein in seine Wohnung im Palazzo Chigi, dem Regierungssitz. Als Renzi den Palast verließ, standen Journalisten am Tor, einer fragte ihn: "Und, haben Sie Ihre Meinung über Conte revidiert?" Darauf Renzi: "Nein, aber ich habe eine Qualität an ihm entdeckt: Er kann gut einrichten, die Möbel in der Wohnung glänzen wie neu, alles steht an seinem Platz - bei mir war immer Chaos." So wird das wohl nie mehr gut.

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