Italien: Silvio Berlusconi:Lahme Ente, aufgeplustert

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Kaum hat Silvio Berlusconi die Vertrauensabstimmung gewonnen, kündigt sein Verbündeter Gianfranco Fini an, ihn zu verlassen. Italiens Premier und seine Koalition regieren nicht mehr, sie warten auf ihr Ende.

Andrea Bachstein, Rom

"Die Mehrheit ist stärker geworden", hat der Premier am Morgen danach behauptet - und damit eine interessante Deutung der politischen Verhältnisse in Italien geliefert. Rein rechnerisch ist diese Interpretation nach der Vertrauensabstimmung in der Abgeordnetenkammer möglich. Trotzdem belegt der Satz ein weiteres Mal Silvio Berlusconis Angewohnheit, die Dinge schönzureden. Denn in Wirklichkeit war das Votum eine Niederlage für ihn. Es liefert den Beweis dafür, dass seine Regierung ohne die abtrünnig gewordene Fraktion FLI die absolute Mehrheit verloren hat. Berlusconi ist abhängig von den Leuten, die Gianfranco Fini folgen: jenem Mann, den Berlusconi regelrecht hasst und von dem er sich befreien wollte, als er ihn vor zwei Monaten aus der Regierungspartei PDL geworfen hat.

Egal was er behauptet und welche Mantren er wiederholt - Silvio Berlusconis Koalition hat schlechte Aussichten auf eine Fortsetzung. (Foto: AP)

Die Vertrauensabstimmung hat im Moment genug Stimmen gebracht, aber Vertrauen ist dabei nicht entstanden. Keiner der Fini-Leute hat zu Berlusconis Rede applaudiert, auch wenn sie schließlich für sein Programm votiert haben. Und kaum hatte der Premier zu Ende gesprochen, kündigte sein Widersacher Fini an, er werde nächste Woche erste Schritte zur Gründung einer neuen Partei einleiten. Die Wege führen also weiter auseinander und nicht hin zu einer stabilen Mehrheit.

Und noch einer hat dem Premier eine unangenehme Wahrheit hinterbracht: Umberto Bossi, der Führer von Berlusconis kraftstrotzendem Koalitionspartner Lega Nord, ließ nach der Abstimmung wissen, dass man besser in Richtung vorgezogener Wahlen gehen sollte. Offenbar hat Bossi keine Lust, allzu lange der Begleiter einer lahmen Ente sein.

Berlusconi will Wahlen zunächst vermeiden, bei der Bevölkerung soll erst die Erinnerung an den garstigen politischen Sommer verblassen. Doch auf der anderen Seite drängt auch ihn die Zeit. Dringend muss Berlusconi die Justizreform angehen. Denn zu ihr gehören Regelungen, die ihn selbst vor anhängigen Prozessen schützen sollen. Fini und seine Leute konzedieren, dass eine Immunitätsregelung nötig ist. Aber Berlusconis Vorstellungen stimmen sie nicht zu. In den nächsten Monaten wird die Bruchstelle sich auftun, und dann werden vorzeitige Wahlen kaum noch zu umgehen sein.

Ein "Märchenerzähler" als Regierungschef

Dass Silvio Berlusconi seinen Wählern dann noch etwas Neues präsentieren wird, ist nicht wahrscheinlich. Was er am Mittwoch in seiner ersten Rede vor den Abgeordneten seit dem Regierungsantritt vor zwei Jahren angekündigt hat, ist altbekannt. Es sind dieselben Projekte und Reformen, dieselben Versprechungen, mit denen er schon seit seinem Einstieg in die Politik unterwegs ist. In seiner mittlerweile vierten Regierung sind sie noch immer zum größten Teil unverwirklicht. "Märchenerzähler" war noch eine der freundlichsten Äußerungen, die er von der Opposition zu hören bekam.

Mantrahaft wiederholt Berlusconi: Italien habe unter seiner Führung die Finanzkrise besser überstanden als die meisten Länder. Was die Banken angeht, stimmt das. Aber die Wirtschaftsdaten sprechen ansonsten eine andere Sprache. Die Arbeitslosigkeit steigt und trifft besonders die Jungen dramatisch, das Inlandsprodukt ist im letzten Jahr um fünf Prozent gefallen. Angestellte und Arbeiter haben immer weniger Geld in der Tasche, von den oft versprochenen Steuersenkungen merken sie nichts. Auch der mächtige Unternehmerverband mahnt, Taten folgen zu lassen. Doch seit 150 Tagen gelingt es Berlusconi noch nicht einmal, das Amt des Wirtschaftsministers zu besetzen.

Berlusconi hat im Parlament von vielen Erfolgen seiner Regierung gesprochen. Doch ihm muss klar sein, dass er es im nächsten Wahlkampf so schwer wie nie haben wird, den Leuten diese Erfolge glaubhaft zu machen. Deshalb wird er sich noch eine Weile mit Fini zu arrangieren versuchen, eine Weile, in der für Italien wenig vorangehen wird.

© SZ vom 01.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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