Italien: Beppe Severgnini über Berlusconi:Berlusconi, der Indianer

Lesezeit: 8 min

Europa wundert sich über Premier Berlusconi, dem im "Rubygate"-Prozess Amtsmissbrauch und Förderung von Prostitution vorgeworfen werden. Publizist Beppe Severgnini ist sich sicher, dass Berlusconi den Prozess überstehen wird - und warnt davor, ihn zu unterschätzen. Ein Gespräch über den "professionellsten Politiker Europas", die arrogante Linke und schlüpfrige Witze.

Matthias Kolb

Der 1956 geborene Beppe Severgnini lebt in Crema, einer kleinen Stadt in der Nähe von Mailand. Von 1996 bis 2003 war er Italienkorrespondent des britischen Magazins The Economist , seit 1998 führt er im Corriere della Sera die Kolumne "The Italians". In seinem aktuellen Buch versucht er, den dauerhaften Erfolg von Premierminister Silvio Berlusconi für Ausländer und künftige Generationen zu erklären.

Er muss sich momentan in vier Prozessen verantworten: Silvio Berlusconi, der 74-jährige italienische Ministerpräsident und Multimilliardär. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Signore Severgnini, an diesem Mittwoch beginnt der "Rubygate"-Prozess gegen Silvio Berlusconi. Ihm werden unter anderem die Förderung von Prostitution Minderjähriger und Amtsmissbrauch vorgeworfen. Gefährdet dies seine politische Karriere?

Beppe Severgnini: Der "Rubygate"-Prozess ist nur einer von vier Prozessen, denen sich Silvio Berlusconi stellen muss. Ich denke, dass der "Mills"-Prozess am gefährlichsten für den Premierminister ist: Er soll, so der Vorwurf, den britischen Anwalt David Mills bestochen haben. Mills ist bereits verurteilt worden, also könnte es eng werden. "Rubygate" ist höchstens in dem Sinne gefährlich, weil einigen seiner Anhänger die Vorstellung nicht gefällt, dass ein Mann in seinem Alter ein solches Leben führt und sich mit jungen Frauen umgibt.

sueddeutsche.de: Viele brisante Details sind bereits bekannt.

Severgnini: Exakt. Es ist bereits absehbar, dass dieser Prozess sehr lange dauern wird: Berlusconi hat bereits erklärt, dass er nur montags vor Gericht erscheinen kann und die nächste Anhörung ist für Juni angesetzt. Sicherlich werden weitere unangenehme Details bekannt werden, denn einige der 43 vorgeladenen Mädchen werden versuchen, die Publicity zu nutzen. Bis zum Urteil wird es lange dauern - wenn es je gefällt wird.

sueddeutsche.de: Wieso wendet sich die katholische Kirche nicht von Berlusconi und seiner Partei "Popolo della Libertà" ab? Er ist geschieden und längst kein Vorbild mehr.

Severgnini: Die Kirche ist nicht an einem Vorbild interessiert. Für den Klerus ist viel wichtiger, dass die für sie wichtige Gesetzgebung erhalten bleibt. Da geht es um die Förderung von katholischen Schulen oder Themen wie Abtreibung oder Sterbehilfe. In diesen Fragen ist Berlusconi noch immer der verlässlichste Partner. Man könnte sogar sagen: Je schwächer Berlusconi ist, desto besser ist das für die Kirche, denn so haben sie ihn stärker in der Hand. Trotzdem gibt es in den 26.000 Pfarreien viele Bischofe, Gläubige und Priester, die sehr wütend sind.

sueddeutsche.de: Sie haben einen 18-jährigen Sohn. Was denken Italiens Teenager über den Fall?

Severgnini: Die Jugendlichen empfinden die Ruby-Geschichte als lächerlich. Sie amüsieren sich köstlich, dass sich ein 74-jähriger Politiker mit Mädchen ihres Alters trifft. Sie können ihn nicht ernst nehmen, aber wirklich schaden wird ihm das nicht. Man muss auch bedenken: Berlusconi ist eine exzentrische und einzigartige Figur, die jeder in Italien kennt. Man liebt ihn oder hasst ihn, doch "Rubygate" ändert die Einstellung vieler Italiener nicht.

sueddeutsche.de: Warum nicht?

Severgnini: Er spielt die ganze Sache herunter. Am Wochenende spielte sein Verein AC Milan gegen Inter und Berlusconi ging im San-Siro-Stadion zu den Journalisten auf der Pressetribüne und sagte: "Habt ihr schon das Ergebnis der letzten Umfrage gehört, die unter jungen Frauen gemacht wurde? Die Frage lautete: Würdet ihr mit Berlusconi schlafen? 70 Prozent haben geantwortet: Warum nicht? Die anderen 30 Prozent haben gesagt: Nicht schon wieder." Er tut so, als wären diese Partys und Bunga-Bunga etwas ganz Normales, was jeder Mann gern tun würde.

Italien: Berlusconi und die Frauen
:"Sie sehen alle gleich aus"

Italiens Premier Berlusconi ist wegen seiner "Leidenschaft" für junge Frauen wieder in Bedrängnis: Die Mailänder Justiz will ihn wegen Amtsmissbrauchs anklagen. Seine angeblichen Affären sind in Europa Dauerthema - und schaden dem Image Italiens im Ausland.

Die Bilder

sueddeutsche.de: Allerdings sind in den vergangenen Wochen Hunderttausende Frauen auf die Straße gegangen und haben gegen Berlusconi demonstriert. Sie protestieren auch gegen sein Frauenbild und dagegen, zu Sexobjekten degradiert werden. Ist das nicht eine Bedrohung?

Um sie dreht sich vieles in dem nach ihr benannten Prozess, der an diesem Mittwoch in Mailand beginnt: Karima El Mahroug alias "Ruby Rubacuori" (Ruby Herzensräuberin). (Foto: dpa)

Severgnini: Die 600.000 Frauen, die öffentlich gegen den Premierminister und sein Verhalten protestiert haben, gehören zu einer Gruppe, die ich "Five-Million-Club" nenne. Das sind jene fünf Millionen Italiener, die sich nicht nur über die Fernsehnachrichten informieren, sondern eine Tageszeitung sowie kritische Blogs lesen. Die kennen sich sehr gut aus, aber Berlusconi braucht sie nicht, um an der Macht zu bleiben. Er weiß, dass knapp 30 Millionen Frauen nicht demonstrieren gingen, also stempelt er die anderen als Feministinnen ab.

sueddeutsche.de: Er kümmert sich also nur um die Mehrheit ...

Severgnini: ... genau, es geht ihm um die Hausfrauen, die sich nicht für Politik interessieren, sondern die TV-Shows am Nachmittag gucken. Er fürchtet, dass sie am nächsten Wahltag lieber an den Strand gehen als an die Urne. Diese Klientel darf er nicht verlieren.

sueddeutsche.de: Bahnt sich denn ein Meinungswechsel an?

Severgnini: Lassen Sie mich mit einer Metapher aus der Geographie antworten: Wir Italiener befinden uns in einer großen "Ebene der Mittäterschaft", weil wir Berlusconi immer wieder gewählt haben, und stehen nun an einer Wasserscheide: Man kann in das "Tal des Verdrängens" gehen und es ist erstaunlich, wie viele ältere Leute einfach leugnen, dass Berlusconi so etwas tut. Der andere Weg führt in das "Tal der Peinlichkeit" und weiter zum "See des Ekels". Wenn die Mehrheit diesen Weg geht, ist Berlusconi verloren.

sueddeutsche.de: Ist er sich dieser Gefahr bewusst?

Severgnini: Oh ja. Kein Politiker kennt die innersten Gefühle seines Landes so gut wie Berlusconi, weshalb ich mein Buch in der Originalversion auch Der Bauch der Italiener genannt habe. Er braucht keine Experten dafür, sondern spürt das. Er weiß, dass viele italienische Männer ihn im Innersten beneiden und auch gern solche Partys feiern würden.

sueddeutsche.de: Das schwingt in dem Spruch des Liedermachers Giorgio Gaber mit, den Sie Ihrem Buch vorangestellt haben: "Ich habe keine Angst vor Berlusconi an sich. Ich habe Angst vor dem Berlusconi in mir."

Severgnini: Genau. In Deutschland, Frankreich oder Großbritannien gibt es noch gewisse Standards, die für viele Eliten der Gesellschaft gelten, unabhängig von der politischen Richtung. Denken Sie etwa an die Plagiatsaffäre von Karl-Theodor zu Guttenberg, der zurücktreten musste. In Italien sorgte ein ähnlicher Fall wenige Tage später kaum für Aufsehen. Das Geniale aus der Sicht von Berlusconi ist: Er hat den Leuten vermittelt, dass solche Standards heuchlerisch und langweilig sind. Er vergibt den Bürgern ihre Fehler und dafür sollen sie ihm seine Fehler verzeihen. Das ist Populismus 2.0 - und natürlich sehr erschreckend.

sueddeutsche.de: Sie beschreiben Berlusconi als Showman und Chamäleon: Er erzählt jeder Gruppe etwas anderes und vermittelt Arbeitern, Unternehmern, Studenten und Senioren das Gefühl, einer von ihnen zu sein.

Severgnini: Natürlich ist er ein Showman und Selbstdarsteller. Man kann sich Helmut Kohl oder Angela Merkel nicht in dieser Rolle vorstellen. Ihm hilft seine Vergangenheit als Entertainer auf einem Kreuzfahrtschiff, als Immobilienmakler und TV-Unternehmer. Berlusconi ist ein herausragender Verkäufer, der jede Schwäche seines Gegenübers sofort erkennt. Er ist da wie ein Metalldetektor auf der Suche nach Münzen.

Prozesse gegen Berlusconi
:Der Cavaliere im Gerichtsmarathon

Betrug, Korruption und Bunga-Bunga: Gegen Silvio Berlusconi laufen momentan vier Prozesse. In dem wohl spektakulärsten geht es um schwere Vorwürfe: Begünstigung der Prostitution von Minderjährigen und Amtsmissbrauch.

Überblick.

sueddeutsche.de: Was ihm jedoch völlig fehlt, scheint ein übergeordnetes Ziel seiner Regierung zu sein. Hat er eine Vision für Italien?

Severgnini: Nein, die hat er leider nicht. Er hat keine Strategie, es geht ihm nur um Taktik. Berlusconi möchte zwei Dinge: Selbst an der Macht bleiben und die Linken draußen halten. Ich glaube zwar, dass er manches gern verändern und etwa für eine gerechtere Gesellschaft sorgen würde, aber er ist nicht bereit, den politischen Preis dafür zu bezahlen. Er müsste Reformen durchsetzen und sich unbeliebt machen. Er ist wie ein Bergsteiger, der sich weder anstrengen noch schwitzen will.

sueddeutsche.de: Sie nennen in Ihrem Buch zehn Faktoren für den Erfolg des Multimilliardärs und Medien-Tycoons Berlusconi. Einen nennen Sie den "Truman-Faktor". Was hat es damit auf sich?

Severgnini: Ich beziehe mich auf den Film Truman Show, in dem das ganze Leben der Hauptfigur Truman Burbank inszeniert. Es ist natürlich überspitzt, aber etwas Wahres ist dran: "Da denkt jemand für uns." Entscheidend sind die vielen Leute, die nicht zum "Five-Million-Club" gehören. In einer Nachmittagssendung (Berlusconis Firma Mediaset kontrolliert drei terrestrische Kanäle und ist auch im Pay-TV engagiert, Anm. d. Red.) auf einem Berlusconi-Sender gab sich vor kurzem eine Schauspielerin als Opfer des Erdbebens von L'Aquila aus. Sie berichtete von den erfolgreichen Aufbauarbeiten und sagte, dass man die Regierung nicht kritisieren solle. Es flog auf, doch die meisten Zuschauer nehmen die entsprechenden Artikel im Internet oder in den Zeitungen nicht wahr. Er hat seine Botschaft verbreitet und das zählt.

sueddeutsche.de: Und der Opposition gelingt es nicht, ihn damit vor sich herzutreiben?

Severgnini: Die Linke tritt sehr überheblich auf. Ihre Politiker leben in einer Wolke, während Berlusconi wie ein Indianer das Ohr auf der Straße hat und deswegen weiß, was die Menschen umtreibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekamen die Italiener alle elf Monate eine neue Regierung. Berlusconi hat diesen Trend gebrochen, er steht für eine gewisse Stabilität und Kontinuität, während die Linke noch immer zerstritten und zersplittert ist. So gewinnt man nicht gegen Berlusconi.

sueddeutsche.de: Sie nennen das in Anlehnung an Margaret Thatcher den T.I.N.A. Effect (there is no alternative). Ist es für Italiener unvorstellbar, für die Linken zu stimmen?

Severgnini: Womöglich kann ein Politiker in Italien nur erfolgreich sein, wenn ihm eine Partei gehört - wie dies bei Berlusconi der Fall ist. Nur so kann man für Disziplin sorgen, indem man Kritiker bedroht oder bei Wohlverhalten Belohnungen vergibt.

sueddeutsche.de: Gibt es gar keinen sozialdemokratischen Politiker, der eine Chance hätte?

Severgnini: Ich halte viel von Matteo Renzi, dem Bürgermeister von Florenz. Er ist jung und charismatisch, aber stößt wegen seiner moderaten Positionen auf Abneigung im ganz linken Lager. Ähnlich gut ist Sergio Chiamparino, der Bürgermeister von Turin. Aber das Problem der Linken ist, dass viele ihrer Politiker nicht bereit sind, für einen anderen Kandidaten zu arbeiten. Lieber stehen sie als Verlierer an der Spitze als jemand anderem zum Sieg zu verhelfen. Diesen Egoismus nützt wiederum Berlusconi für seine Inszenierung.

sueddeutsche.de: Wie stellt er sich dar?

Severgnini: Obwohl er sich seit 18 Jahren in der italienischen Politik engagiert, stilisiert sich Berlusconi als Anti-Politiker, als Außenseiter. Eigentlich sei er ein Geschäftsmann, der gezwungen wurde, in die Politik einzusteigen. Für mich gibt es keinen professionelleren Politiker in ganz Europa: Er kennt alle Tricks und weiß, wie man andere umschmeichelt oder überzeugt. Man darf nie den Fehler machen, ihn zu unterschätzen. Neulich wurde Außenminister Franco Frattini von der BBC gefragt, ob es für die italienische Diplomatie nicht schwierig sei, dass der Premier in aller Welt als Witzfigur gilt. Das war eine gemeine Frage, aber Berlusconi kennt sein Image und bezieht das in seine Taktik ein. Angela Merkel mag zwar im Privaten über Berlusconi den Kopf schütteln, aber sie weiß, wie professionell er sein kann und sie mit seiner Hilfe manches durchsetzen kann.

sueddeutsche.de: Was denken die Italiener eigentlich über die Entwicklung in Libyen? Gaddafi und Berlusconi waren ja sehr enge Partner und Freunde.

Severgnini: Im "Five-Million-Club" ist man natürlich entsetzt darüber, dass der Premier den Ring von Gaddafi geküsst hat und sich wegen der Gas- und Öllieferungen so angewanzt hat. Die große Mehrheit der Italiener ist verunsichert: Sie hegen große Sympathien für die Rebellen in Bengasi und möchten, dass Gaddafi abdankt. Sie wünschen sich eine stabile Situation in Libyen - weil die Menschen dort profitieren und weil dann weniger Flüchtlinge kommen. Die Italiener sind verunsichert: Sie möchten diese Ziele durchsetzen und zugleich sollen durch die Bomben keine Menschen getötet werden. Und genau diese widersprüchlichen Gedanken spricht Berlusconi laut aus, was ihm die Menschen hoch anrechnen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie gut Berlusconi sein Volk kennt.

sueddeutsche.de: Er möchte vor allem geliebt werden?

Severgnini: Er ist süchtig nach Aufmerksamkeit und Zuneigung. Doch das ist auch der Grund, weshalb sich das Italien des Jahres 2011 nicht wesentlich vom Italien des Jahres 1992 unterscheidet. Wir haben leider 20 Jahre verschwendet, weil Berlusconi nicht führt, sondern sich nur nach Meinungsumfragen und der Stimmung der Massen richtet. Dass viele Universitätsabsolventen das Land verlassen, weil sie ohne persönliche Beziehungen keine Arbeit finden, interessiert ihn nicht. In Italien leben 20 Millionen Menschen weniger als in Deutschland - doch die Zahl der Akademiker, die im Ausland arbeiten, ist vier Mal höher. Das sagt viel über den Zustand meines Landes aus.

Das ebenso amüsante wie erhellende Buch Überleben mit Berlusconi von Beppe Severgnini ist im Blessing Verlag erschienen und kostet 17,95 Euro.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Libyens Staatschef besucht Berlusconi
:Zirkus Gaddafi

200 Models, 30 Pferde und eine bizarre Show: Wenn der libysche Revolutionsführer nach Rom reist und Italienerinnen zu Muslimas macht, dann staunt selbst Silvio Berlusconi.

Die Bilder des Spektakels

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: