Palermo in Italien:Wahlkampf mit Salvini und versteckter Kamera

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Ismaele La Vardera (links) trat als Bürgermeisterkandidat in Palermo an, und Innenminister Matteo Salvini fand Gefallen an dem unbefangenen Bewerber. Was er nicht wusste: Der Mann mit der Tolle filmte versteckt mit. (Foto: Marco Gianstefani/oh)
  • Ein junger Journalist kandidiert für das Amt des Bürgermeisters in Palermo und wird zum Star in den sozialen Medien.
  • Seinen Wahlkampf nimmt er teils mit versteckter Kamera auf. Auch Treffen mit Innenminister Salvini und einem Mafiaboss filmt er.
  • Bald erscheint sein Kinofilm in Italien: "Italian Politics for Dummies"

Von Oliver Meiler, Rom

Eine rote Haartolle, damit fing alles an. Der Sizilianer Ismaele La Vardera, 23, trägt sie wie ein Markenzeichen, gern wild zerzaust. "Das ist schon die halbe Geschichte", sagt er und lacht. In einigen Wochen kommt sein Dokumentarfilm in die italienischen Kinos, der diese Geschichte erzählt: "Italian Politics for Dummies", Italienische Politik für Anfänger. Und da die italienische Politik gerade ziemlich verrückt spielt, ist jedes Sittenbild vielleicht eine Hilfe zum Verständnis. Es kommt auch Innenminister Matteo Salvini vor, der neue starke Mann im Land, unfreiwillig natürlich. Und das kam so.

In seiner Heimatstadt Palermo kennt man den Journalisten La Vardera spätestens, seitdem er für "Le Iene" arbeitet. "Die Hyänen", so heißt ein erfolgreiches Fernsehprogramm auf Italia Uno, das harte Enthüllung mit Satire mischt. La Vardera war ihr Reporter auf Sizilien. Vor anderthalb Jahren beschloss er, das Angebot einer Bürgerbewegung anzunehmen und für das Amt des Bürgermeisters von Palermo zu kandidieren, der fünftgrößten Stadt Italiens, 680 000 Einwohner. Ohne jede Erfahrung, ohne Partei. "Die Politik war immer schon meine Leidenschaft", sagt er.

Seine Förderer hatten ihn in einer Talkshow gesehen. La Vardera sagte da, um die Mafia zu besiegen, müsse man zuerst den Mafioso in sich selbst besiegen und die kleinen, alltäglichen Illegalitäten überwinden: das Falschparken, das Wegwerfen von Müll. Ziemlich banal. Die Bewegung aber fand: Toll, ein frisches Gesicht, dazu mit einer roten Tolle. Palermo, muss man wissen, wird seit einer gefühlten Ewigkeit von Leoluca Orlando regiert, einem linken Christdemokraten, und das auch gut. Aber es gibt junge Palermitaner, die nie ein anderes Gesicht an der Macht ihrer Stadt gesehen haben als das von Orlando. Die Wahlen fanden am 12. Juni 2017 statt.

Nachdem La Vardera seine Bewerbung bekannt gegeben hatte, flogen ihm die Herzen in Schwärmen zu. In den sozialen Medien hatte bald kein Bewerber so viele Follower wie er. Viele Gleichaltrige wollten helfen, es roch nach Revolution. "Ich glaubte an unsere Chance", sagt La Vardera. Er steckte seine gesamten Ersparnisse, 6000 Euro, in riesige Wahlplakate. Sie sahen aus wie Filmposter: "Il Sindaco", stand da neben seinem Kopf, "Der Bürgermeister". Dazu, ebenfalls wie bei einem Kinoplakat: "Ab 12. Juni". Vielleicht war das ein Hinweis für das, was folgen würde.

La Vardera ließ seine Kampagne offen filmen. In allen Sitzungen, bei allen Auftritten. Doch er filmte auch verdeckt. Wenn er sich mit Politikergrößen traf, sizilianischen und nationalen, um im Stillen über Deals und Posten zu reden, nahm er alles mit einer versteckten Kamera auf, die er in eine Ledertasche packte. Es seien ihm nämlich schon bald solch "denkwürdige Dinge" widerfahren, dass er fand, das gehöre dokumentiert. "Für die Transparenz", sagt er, "und auch aus Selbstschutz: Ich entblößte ja mich und meine Familie."

Einmal führte man ihn in einen Keller in der Altstadt, wo ein Mafiaboss wartete, der Enkel von Gino "das Maschinengewehr" Abbate. Der sagte, er könne 300 Stimmen besorgen - "für 30 Euro pro Stimme". Die Leute hätten Hunger. "Und ich sage ihnen, wen sie wählen sollen." La Vardera gab sich geschockt. Überrascht war er wohl nicht.

Salvinis Hoffnung im Süden

Zentral ist die Passage mit Salvini, dem Chef der Lega. Die beiden treffen sich in Rom. Die norditalienische Lega hatte immer gegen den Süden gewettert, klischiert und vulgär. La Vardera war ihre Hoffnung, etwas mitzumischen. "Ich kenne mich in Mailand aus", sagt Salvini in der Szene, "in Palermo nicht." Er sehe da eine Chance. "Jetzt kommen wir und sagen: 'Im ganzen Morast der Alten, der Orlandos und Co., gibt es eine Neuigkeit.' Das kann funktionieren." Über Programme, Ideale, Ideen sprechen sie nicht. Zwei Stunden später sitzt Salvini in einem Fernsehstudio: "Bald sind Wahlen in Palermo", sagt er, "neben dem alten Zeugs gibt es einen 23-jährigen Jungen auf einer Bürgerliste, freier Journalist. Er heißt Ismaele, er hat eine rote Tolle, der gefällt mir."

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In La Varderas Wahlkampfteam kam das nicht gut an. Ausgerechnet Salvini! La Vardera redete sich ein, er könne Salvini dazu bringen, sich bei den Sizilianern für die Unsäglichkeiten zu entschuldigen, die seine Lega über Jahre abgesondert hat. Und er sagte sich, Salvini würde seine harte Linie in der Immigrationspolitik mildern - für Palermo und die legendäre Willkommenskultur der Stadt. "Ich ließ mich blenden", sagt er.

Die Umfrageinstitute schätzten La Vardera auf fünf bis sieben Prozent. Da riet man ihm, sich mit Salvatore "Totò" Cuffaro zu treffen, dem früheren Gouverneur Siziliens. Der hatte nach seinem Sturz vier Jahre im Gefängnis verbracht, weil man ihm Verbindungen zur Cosa Nostra nachwies. Cuffaro, fand La Vardera heraus, zieht noch immer die Fäden im Hintergrund. Kennt alle, redet mit allen, entscheidet über alles. Cuffaro verspricht ihm, dass er für ihn schon einen Job in der Regionalverwaltung finden werde - "was zum Teufel du auch immer willst, vielleicht etwas mit Kultur und Sport? Fünf Jahre Festanstellung, für jemanden wie dich, das ist doch allerhand." Er müsse dafür nur Salvini fallenlassen und seinen Kandidaten von der bürgerlichen Rechten unterstützen.

Das konnte nicht gutgehen

Doch dann kam Salvini nach Palermo, fuhr mit ihm durch die Stadt, aß ein Panino mit Minze, machte seine Show, filmte alles mit seinem Handy, teilte es mit seinen Fans in den sozialen Medien. La Vardera war Salvinis Mann. Natürlich entschuldigte sich er nicht bei den Sizilianern. Und Milde in der Migrationsfrage? Ach was!

Das konnte nicht gutgehen. Orlando gewann die Wahl schon im ersten Durchgang. La Vardera erhielt nur 7140 Stimmen. 2,7 Prozent. Das gab keinen einzigen Sitz im Stadtrat. Da enthüllte er seinem Team und dem ganzen Land, dass er alles heimlich gefilmt habe, für die Nachwelt, als Lehrstück. Man warf ihm vor, er sei ein Betrüger, er wolle sich nur groß machen. Doch La Vardera beteuerte, seine Kandidatur sei kein Bluff gewesen. Er habe das wirklich gewollt, die Idee vom Film sei erst nachher gekommen - und überdies: "Wenn ich drei, vier Tage vor der Wahl gesagt hätte, dass ich die ganzen Deals gefilmt habe, dann hätte ich zehn Prozent der Stimmen gewonnen." Vielleicht.

Salvini gefällt der "ciuffo rosso" nun nicht mehr. Als man ihn fragte, ob er einverstanden sei, dass die Szenen mit ihm im Film gezeigt werden, antwortete er nicht. Richtig skandalös ist nichts, was er im Vertrauen sagt. Salvini ist einfach Salvini, und das reicht schon zum Spiegel dieser verrückten Zeit. La Vardera übrigens ist jetzt wieder bei den "Hyänen", auf Italia Uno.

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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