Ukraine-Krieg:Israel balanciert zwischen den Fronten

Lesezeit: 3 min

Erstmals in Kiew: Israels Außenminister Eli Cohen (rechts) mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. (Foto: Handout/AFP)

Erstmals seit Kriegsbeginn reist ein hoher israelischer Regierungsvertreter nach Kiew. Die Zusagen von Außenminister Cohen für Ukraine-Hilfen bleiben vage, doch Moskau zürnt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Wer nach Kiew will, muss einen langen Anlauf nehmen. Die meisten Politiker, die zu einem Solidaritätsbesuch in die Ukraine fahren, nehmen den Nachtzug von Polen aus. Auf dieser Strecke ist nun auch Israels Außenminister Eli Cohen gereist. Doch sein Anlauf war offenbar noch ungleich länger als der seiner westlichen Kollegen. Die Israelis haben nämlich seit Kriegsbeginn im Februar 2022 ein ganzes Jahr gebraucht, bis sich ein hoher Vertreter der Regierung in die von Russlands Angriffskrieg bedrohte Ukraine aufgemacht hat.

Dass Cohen nun den Weg nach Kiew gefunden hat, wirft deshalb gleich zwei Fragen auf: Will Israel sich - nach langem Zögern und mit einer neuen Regierung - offensiver auf die Seite der Ukraine stellen? Und werden womöglich bald auch Waffen geliefert, die von der Führung in Kiew seit Langem gefordert werden?

Aus Israels gewünschter Vermittlerrolle ist nie etwas geworden

Anders als die Amerikaner und Europäer hatte Israel im Krieg zwischen Russland und der Ukraine von Beginn an eine vorsichtige Haltung an der Seitenlinie eingenommen. Kurz nach Ausbruch der Kämpfe nannte der damalige Premier Naftali Bennett dafür drei Gründe: Vorrangig ging es um Israels Interesse, im Nachbarland Syrien, wo auch russische Truppen stationiert sind, weiterhin freie Hand zum Vorgehen gegen iranische Kräfte zu haben. Zudem wies Bennett auf eine Verantwortung für jüdische Gemeinden in Russland wie der Ukraine hin. Obendrein brachte er noch eine israelische Vermittlerrolle ins Spiel, aus der aber nie etwas geworden ist.

Als Oppositionsführer hatte Netanjahu diesen Kurs mitgetragen. Und als seine neue Regierung vor wenigen Wochen ins Amt kam, gab es wenig Anzeichen dafür, dass sich Israel doch noch der westlichen Ukraine-Politik anschließen will. Im Gegenteil: Es wurde befürchtet, dass die Führung in Jerusalem noch vorsichtiger im Umgang mit Moskau ist. Schließlich hatte Netanjahu in früheren Zeiten größten Wert auf freundschaftliche Beziehungen zum russischen Präsidenten gelegt. Noch im Wahlkampf 2019 hatte er mit Plakaten geworben, auf denen er beim Handschlag mit Wladimir Putin zu sehen war.

Doch spätestens mit Amtsantritt musste Netanjahu erkennen, dass die Welt sich dramatisch verändert hat. Putin ist zum Paria geworden, und als möglicher Unterstützer gegen Iran fällt er ohnehin aus. Schließlich hat sich Russland inzwischen auf eine Waffenbrüderschaft mit dem Teheraner Regime eingelassen und setzt iranische Kampfdrohnen auch in der Ukraine ein.

Kiew erinnert Israel an eine detaillierte Wunschliste

Zudem hat Netanjahu erkennen müssen, dass es starken Druck aus Washington gibt, wo US-Präsident Joe Biden die Israelis gern stärker in die Unterstützung der Ukraine einbinden würde. Als US-Außenminister Antony Blinken Ende Januar in Jerusalem weilte, forderte er explizit, Israel solle der Ukraine nicht nur humanitär und wirtschaftlich, sondern auch bei ihren Sicherheitsbedürfnissen zur Seite stehen.

Konkret erhoffen sich die Ukrainer von Israel vor allem Unterstützung bei der Raketenabwehr. Eine detaillierte Wunschliste war schon im Oktober nach Jerusalem übermittelt worden, mit einem Verweis auf Iran und gemeinsame Interessen. "Dieselben Drohnen, die die Ukraine zerstören, sind auch auf Israel gerichtet", argumentierte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba damals. Als er nun in Kiew mit Cohen zusammentraf, erinnerte er den israelischen Kollegen ausdrücklich an diese Liste. "Israel weiß genau, was wir für unsere Sicherheit und Verteidigung brauchen", sagte er. "Wir warten nun auf Entscheidungen."

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Cohen jedoch vermied es auch in der ukrainischen Hauptstadt, konkrete Zusagen zu machen. Er versprach lediglich die Lieferung eines zivilen Warnsystems gegen Raketenangriffe innerhalb der kommenden drei bis sechs Monate. Eine Zusage dafür hatte allerdings Israels damaliger Verteidigungsminister Benny Gantz schon im vorigen Herbst gegeben.

Der "gemeinsame Feind": Iran

Zudem vereinbarten Cohen und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij bei einem abendlichen Treffen im Präsidentenpalast eine Zusammenarbeit gegen den "gemeinsamen Feind" Iran. Wie weit das gehen soll, blieb offen. Israel könnte Kiew zum Beispiel Geheimdienstinformationen liefern. Überdies könnte die Ukraine zumindest indirekt auch davon profitieren, dass Israel geheime Angriffe auf iranische Waffenproduktionsstätten ausführt.

Selbst wenn Cohen in Kiew betont defensiv auftrat und es sogar vermied, bei seinen Beistandsbekundungen für die Ukraine Russland überhaupt zu erwähnen, kam seine Reise in Moskau nicht gut an. Die staatlichen Medien warfen ihm vor, einen "Nazi-Staat" zu besuchen. Dass Selenkij jüdisch ist, ändere nichts daran, dass er "auch ein Nazi" sei.

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