Womöglich wird dieses Bild dereinst in den israelischen Geschichtsbüchern zu sehen sein: Es zeigt drei Männer in einem Verhandlungszimmer, die müde, aber zufrieden in die Kamera lächeln. Auf dem Tischchen vor ihnen liegt leicht zerfleddert der Koalitionsvertag für Israels neue Regierung. Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei, Naftali Bennett von der rechten Jamina und Mansour Abbas von der arabisch-islamischen Raam-Partei haben ihn soeben unterschrieben - und damit zusammen mit fünf weiteren Parteiführern den Weg geebnet für die Ablösung des Langzeit-Regierungschefs Benjamin Netanjahu. Es war ein Kraftakt, es ist der Aufbruch in eine neue Zeit. Doch bis die neuen Koalitionäre wirklich im Ziel sind, müssen sie noch zittern.
Bislang immerhin ist es eine Punktlandung. 28 Tage hatte Staatspräsident Reuven Rivlin dem bisherigen Oppositionsführer Lapid gegeben zur Bildung einer Regierung. Nach 27 Tagen, 23 Stunden und 25 Minuten rief Lapid am Mittwoch kurz vor Mitternacht Rivlin an, um Vollzug zu melden. Den Posten des Premierministers will er in einem Rotationsverfahren zunächst zwei Jahre lang dem rechten Bennett überlassen. Dies ist zugleich eine machttaktische Notwendigkeit und eine großmütige Geste. Lapid versprach dem Präsidenten, dass "diese Regierung allen Bürgern Israels dienen wird". Und er kündigte an, dass sie "alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um alle Teile der israelischen Gesellschaft zu vereinen".
Als Angebot gedacht war das auch an das gegnerische Lager. Doch es ist nicht damit zu rechnen, dass sich Netanjahu und die Seinen schon geschlagen geben. Noch ist die neue Regierung nicht vereidigt, noch muss sie in der Knesset eine Vertrauensabstimmung überstehen. Und auch wenn das frische Bündnis nun fest zusammensteht, steht es doch auf tönernen Füßen.
Acht Parteien umfasst die sogenannte Koalition des Wandels. Drei davon stehen rechts oder ganz weit rechts: Bennetts Jamina, die Partei Neue Hoffnung von Gideon Saar sowie Unser Haus Israel von Avigdor Lieberman. Das politische Zentrum ist mit Lapids Zukunftspartei und dem Bündnis Blau-Weiß von Benny Gantz vertreten, aus dem linken Spektrum kommen die Arbeitspartei von Merav Michaeli sowie Meretz von Nitzan Horowitz. Als Achter im Bunde hat Mansour Abbas von der arabisch-islamischen Raam-Partei den Koalitionsvertrag unterzeichnet - und damit Geschichte geschrieben. Denn bislang gehörte noch nie eine Partei der arabischen Minderheit zur Regierung in Israel.
Weltanschaulich sind da viele Gräben zu überbrücken, und auch rechnerisch ist die Lage kompliziert. Die stärkste Kraft ist Lapids Zukunftspartei mit 17 Sitzen. Zusammen mit den sieben Zwergen kommt das Bündnis auf insgesamt 61 Stimmen im 120-köpfigen Parlament. Das heißt: Es ist die denkbar knappste Mehrheit. Wenn nur ein Abgeordneter ausschert, könnte alles zusammenbrechen.
Der Kampf um diese eine Stimme wird also bis auf Weiteres das Geschehen bestimmen - und zugleich ist dies ein Kampf gegen die Zeit. Die Koalitionäre nämlich dringen auf eine möglichst schnelle Vertrauensabstimmung im Parlament. Der frühestmögliche Termin wäre am nächsten Montag. Angesetzt werden muss dieser Termin allerdings vom Parlamentssprecher Jariv Levin, und der gehört zu Netanjahus Likud. Um bis zu eine Woche, bis zum 14. Juni, könnte er das Verfahren verzögern, um noch Schwachstellen in der Koalition aufzuspüren.
Ansetzen können Netanjahu und die Seinen gleich an zwei Stellen. Bei der rechten Jamina-Partei werden sie es mit Druck versuchen, bei der arabischen Raam-Partei mit Lockungen. Einen Vorgeschmack auf den Druck haben Bennett und andere rechte Abgeordnete schon in den vergangen Tagen erlebt mit Demonstrationen vor ihren Wohnhäusern und vor dem Verhandlungshotel, mit wüsten Schmähungen und Drohungen über die sozialen Netzwerke. Als Premier in spe bekam Bennett am Donnerstag in einem ungewöhnlichen Schritt bereits Personenschutz durch den Inlandsgeheimdienst Schin Bet.
Einer der vormals sieben Jamina-Abgeordneten hatte sich bereits vor Tagen gegen die neue Koalition gestellt. Er war bei der Mehrheitsberechnung schon nicht mehr mitgezählt worden. Doch mindestens ein zweiter namens Nir Orbach wankt und will sich unter anderen nun mit seinem Rabbi besprechen.
Spekuliert werden darf zudem über die Stabilität der Raam-Partei. Deren Chef Abbas geht es bei der Regierungsbeteiligung darum, möglichst viele Verbesserungen - bei der Infrastruktur, bei Baugenehmigungen, bei der Kriminalitätsbekämpfung - für seine bislang vernachlässigte arabische Klientel herauszuholen. Kurz vor dem Ende hatte er die Verhandlungen mit seinen Forderungen fast zum Scheitern gebracht. Noch sind Streitfragen offengeblieben - und Netanjahu dürfte sich nicht scheuen, ihm noch ein paar süße Versprechungen zu machen.
Dem drohenden Ende seiner Ära jedenfalls geht der seit zwölf Jahren ununterbrochen regierende Premier äußerst kampfeslustig entgegen. Dabei ist paradoxerweise Netanjahu selbst der eigentliche Pate dieser gegen ihn gerichteten Regierung. Denn zum einen hat er seine natürlichen Verbündeten aus dem rechten Lager in den vergangenen Jahren so nachhaltig verprellt, dass sie nun lieber mit linken und Zentrumsparteien regieren wollen. Zum anderen war er es, der den früher geltenden Bann zur Zusammenarbeit mit arabischen Parteien gebrochen und die islamische Raam-Partei durch intensive Verhandlungen für hof- und regierungsfähig erklärt hat.
Die ungewöhnlichste Koalition, die in Israel je geschlossen wurde, weist also noch viele Bruchlinien auf. Doch wenn sie die Vertrauensabstimmung im Parlament geschlossen übersteht, bietet sie auch neue Chancen, um die durch die Politik Netanjahus zerstrittene und gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Dazu allerdings müssen die acht so unterschiedlichen Parteien beweisen, dass sie mehr vereint als nur die Gegnerschaft zu Netanjahu. Seine Ablösung kann nicht das Ziel sein, sondern nur der Anfang.