Israel:Was die Erinnerung trübt

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Erste Besucher: Zwei Jahre lang gab es keine israelischen Schülerreisen nach Polen - junge Leute in dieser Woche im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz. (Foto: Beata Zawrzel/IMAGO/ZUMA Wire)

Zwischen Israel und Polen steht nicht alles zum Besten - das liegt auch am unterschiedlichen Geschichtsverständnis.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Für einen israelischen Präsidenten ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, an den Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag des Warschauer Ghetto-Aufstands teilzunehmen. Schließlich gehört die Revolte mutiger jüdischer Frauen und Männer gegen die deutschen Besatzer zur kollektiven Erinnerung des jüdischen Volks. Dennoch ist diese Reise nach Polen für Isaac Herzog ein durchaus delikater diplomatischer Akt gewesen. Denn das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist kompliziert und wird immer wieder getrübt durch den Streit um die Erinnerung.

Dieser Streit entzündet sich nicht zuletzt am Geschichtsverständnis der seit 2015 in Warschau regierenden national-populistischen PiS-Partei, die sich aus israelischer Sicht allzu offensiv darum bemüht, Verbrechen von Polen an Juden in der Zeit des Holocaust zu relativieren und den polnischen Patriotismus zu verherrlichen. Erstmals kochte das hoch, als die polnische Regierung 2017 ein Gesetz vorlegte, das Geld- oder Haftstrafen androhte für alle, die "öffentlich und entgegen den Fakten" dem polnischen Volk oder Staat die Verantwortung oder Mitverantwortung für Nazi-Verbrechen zuschreiben.

Israels Außenminister warf Polen Antisemitismus vor

In Israel wurde dieses Gesetz als Versuch verstanden, Akte der Kollaboration zu leugnen. Holocaust-Überlebende protestierten vor der polnischen Botschaft in Tel Aviv. Das Gesetz wurde schließlich entschärft, doch der Streit schwelte weiter und eskalierte zum Beispiel 2019, als Israels damaliger Außenminister Israel Katz unter Berufung auf eine Aussage des früheren Premiers Jitzchak Schamir erklärte, die Polen würden "den Antisemitismus mit der Muttermilch aufsaugen". Polens Regierung ließ daraufhin einen in Jerusalem geplanten Gipfel mit den Visegrád-Staaten platzen.

Der nächste Akt: 2021 wurde in Polen ein Gesetz erlassen, demzufolge Verwaltungsentscheidungen nach Ablauf einer Frist von 30 Jahren nicht mehr angefochten werden können. Betroffen davon waren auch die Nachfahren jüdischer Holocaust-Opfer, deren Besitz nach 1945 von den Kommunisten enteignet worden war. Die Empörung in Israel war groß, Außenminister Jair Lapid sprach von einem "antisemitischen und unmoralischen Gesetz". Er zog den israelischen Botschafter aus Polen zurück und empfahl dem im Urlaub weilenden polnischen Botschafter, er solle zu Hause bleiben. Bald darauf wurden auch die Schülerreisen eingestellt, die zuvor in jedem Jahr Zehntausende israelische Jugendliche nach Auschwitz und zu anderen Stätten des Massenmords an den Juden gebracht hatten.

Seit der Rückkehr Netanjahus an die Regierung, der die Visegrád-Staaten gern als Verbündete innerhalb der EU umwirbt, zeichnet sich jedoch eine Entspannung im Verhältnis mit Polen ab. Die Schülerreisen werden, trotz heftiger Proteste in Israel, durch ein Mitte März geschlossenes Abkommen wieder aufgenommen. Und als Präsident Herzog am Mittwoch in Warschau seine Rede hielt bei der Gedenkfeier, wandte er sich direkt an Polens Präsidenten Andrzej Duda. Er nannte ihn "meinen Freund" - und dankte für die "kolossalen Anstrengungen" in Sachen Erinnerung.

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