Israel:"Es wird ein Bürgerkrieg ohne Waffen"

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Ein Unterstützer von Benjamin Netanjahu spricht auf einer Demonstration von einem Baum aus. (Foto: Jack Guez/AFP)
  • Nach den Anklagen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue versammeln sich vor der Residenz von Benjamin Netanjahu in Jerusalem Anhänger und Gegner des Ministerpräsidenten.
  • Nicht nur von der politischen Konkurrenz kommen Rücktrittsaufrufe, auch in Netanjahus Likud-Partei stellen immer mehr dessen Führungsanspruch infrage.
  • Weil Netanjahu der erste amtierende Ministerpräsident in der Geschichte Israels ist, der angeklagt wird, müssen Rechtsexperten jetzt sehr knifflige Fragen klären - auch was die Regierungsbildung betrifft.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Am Freitag, dem Tag, nachdem der Generalstaatsanwalt gesprochen hatte, versammelten sich vor der Residenz von Benjamin Netanjahu in Jerusalem Anhänger und Gegner des Ministerpräsidenten. Die einen forderten nach den drei Anklagen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue seinen Rücktritt, die anderen priesen seine Verdienste als am längsten amtierender Premier Israels.

Von der politischen Konkurrenz sah sich Netanjahu nicht nur mit Rücktrittsaufrufen konfrontiert, sondern auch mit konkreten juristischen Schritten. Mehrere Petitionen unter anderem von der Arbeitspartei, die seine Amtsenthebung forderten, gingen beim Obersten Gerichtshof ein.

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Der israelische Regierungschef ist wegen Korruption angeklagt. Erst im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung müsste er zurücktreten.

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Weil Netanjahu auch der erste amtierende Ministerpräsident in der Geschichte Israels ist, der angeklagt wird, sind nun Rechtsexperten am Zug, sehr knifflige Fragen zu klären. Denn das Gesetz sieht zwar vor, dass ein Ministerpräsident erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung zurücktreten muss - was bis zum Ende der Berufungsverfahren Jahre dauern kann. Aber gilt das auch für den Premier einer Übergangsregierung? Nach der Parlamentswahl im September waren sowohl Netanjahu als auch sein Konkurrent vom blau-weißen Bündnis, Benny Gantz, daran gescheitert, eine Koalition zustande zu bringen. Derzeit ist nur eine provisorische Regierung im Amt.

Netanjahu selbst hatte kurz nach der Bekanntgabe der Anklagen erklärt, er werde nicht zurücktreten. Der Politiker des rechtsnationalen Likud sprach von einem "Putschversuch" und attackierte in bisher nicht da gewesener Schärfe Polizei und Justiz. Er warf ihnen unter anderem vor, in den drei Jahre dauernden Ermittlungen Falschinformationen fabriziert und Zeugen unter Druck gesetzt zu haben. Ihm wird die Annahme von Geschenken zur Last gelegt, zudem soll er angeboten haben, für Gegenleistungen die Gesetzgebung zu beeinflussen. Netanjahu drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein hochrangiger Politiker in Israel wegen Korruption angeklagt wird. Der später zu 18 Monaten Haft verurteilte Ehud Olmert trat 2008 als Premier zurück, als die Polizei nach ihren Ermittlungen eine Anklage empfahl. Da hatte die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit noch gar nicht begonnen. Das Video, in dem der damalige Oppositionsführer Netanjahu Olmert zum Rücktritt aufforderte, postete nun sein politischer Rivale Benny Gantz. Und die Anwälte von dessen blau-weißen Bündnis stellten am Freitag bei Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit den Antrag, dass Netanjahu mit sofortiger Wirkung seine Ministerposten aufgeben müsse.

Laut Gesetz muss ein Minister bereits bei Anklageerhebung zurücktreten. Netanjahu hatte als Regierungschef im Laufe der Zeit weitere Portfolios von Ministern übernommen. Er verantwortet derzeit auch die Ressorts Landwirtschaft, Diaspora, Gesundheit und Soziales. Das Sozialministerium übernahm Netanjahu von seinem Parteifreund Chaim Katz, der im August zurücktreten musste - nach einer Anklage wegen Korruption. Die Gesundheitsangelegenheiten gehörten zu Jakov Litzman, der mit einer Anklage rechnen muss, weil er eine mutmaßliche Kinderschänderin geschützt haben soll. Erwartet wird, dass auch Innenminister Ayre Deri demnächst angeklagt wird - unter anderem wegen Geldwäsche. Wer dann das Innenressort übernehmen darf, darüber diskutierten Rechtsexperten. Einig waren sie nur, dass es Netanjahu nicht sein kann.

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Nicht nur die Regierung ist provisorisch im Amt, auch das Parlament ist nicht voll funktionsfähig - was sich auf Netanjahus Verfahren auswirkt. So gibt es derzeit keinen Ausschuss, der sich mit einem Immunitätsantrag Netanjahus beschäftigen kann. Der Generalstaatsanwaltschaft hat die Anklagen bereits dem Parlamentspräsidenten vorgelegt. Netanjahu hat nun 30 Tage Zeit, Immunität zu beantragen.

Es wird erwartet, dass Netanjahu auf diesem Wege noch einmal versuchen wird, den Gang vor Gericht zu vermeiden. Seinen Plan, ein Gesetz durchzusetzen, das ihm automatisch Immunität verleiht, konnte Netanjahu vor der Wahl im September nicht mehr verwirklichen. Nach Meinung der meisten Rechtsexperten muss der Generalstaatsanwalt aber diese Entscheidung im Parlament abwarten, ehe die Anklage weiter ans Gericht geht.

Die Knesset-Abgeordneten sind nun erstmals in der Geschichte damit betraut, sich mehrheitlich auf einen Ministerpräsidenten zu verständigen. Nach der Anklage Netanjahus dürfte das nicht einfacher geworden sein. Es wird bezweifelt, dass sie sich in den nächsten Wochen auf einen Kandidaten einigen, sodass wohl im März erneut Wahlen anstehen. Erst nach Konstituierung der Knesset und Einrichtung eines Ausschusses könnte dann über Netanjahus Immunität entschieden werden. Damit dürfte er frühestens im Frühjahr auf der Anklagebank sitzen.

In Netanjahus Likud-Partei stellen immer mehr dessen Führungsanspruch infrage

Juristen diskutieren außerdem, ob Netanjahu nach der Anklage überhaupt eine neue Regierung bilden dürfe. Der Staatsanwalt, der die Anklagen gegen ihn vorbereitete, hat sich bereits festgelegt: Nach Ansicht von Shai Nitzan darf er als Angeklagter keine neue Koalition zimmern. Sollte es dazu kommen, dass Likud die Neuwahlen gewinnt und Netanjahu den Auftrag zur Regierungsbildung erhält, müsste erneut der Generalstaatsanwalt entscheiden. Die Chancen, dass es zu einer Einheitsregierung zwischen Likud und Blau-Weiß kommen könnte, haben sich mit der Anklage zerschlagen - zumindest wenn Netanjahu an der Koalition beteiligt wäre. Der in dieser Frage zuletzt schwankende Gantz hat sich festgelegt: Mit einem Angeklagten will er nicht in einer Regierung sitzen.

Auch in Netanjahus Likud-Partei stellen immer mehr dessen Führungsanspruch infrage, auch wenn ihn zumindest am Freitag noch niemand offen zum Rücktritt aufforderte. Vom Likud nominierte Minister verwiesen zur Verteidigung ihres Chefs auf die Unschuldsvermutung. Aber unter den Abgeordneten der Partei mehren sich Stimmen, die parteiinterne Vorwahlen fordern und hoffen, Netanjahu damit stürzen zu können. Außer Netanjahus Rivalen, Ex-Innenminister Gideon Saar, soll es einen weiteren Politiker geben, der gegen ihn antreten will.

In Israels Medien ist man sich einig, dass Netanjahu nicht aufgeben und um sein politisches Überleben kämpfen wird. Die Zeitung Jediot Acharonot schrieb: "Das wird keine Wahl sein, es wird ein Bürgerkrieg ohne Waffen."

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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