Ägypten und Israel:Aufruf zur Wut von ganz oben

Lesezeit: 3 min

Demonstranten verbrennen in Kairo bei einer Solidaritätskundgebung für die Palästinenser eine israelische Nationalfahne. (Foto: Amr Nabil/DPA)

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi versucht, die israelfeindliche Stimmung im Land für seinen Wahlkampf zu nutzen. Das kann schnell außer Kontrolle geraten.

Von Bernd Dörries, Kairo

Der Aufruf für die Proteste kam von ganz oben, die ägyptische Regierung teilte in einem genauen Zeitplan mit, wo sich die Demonstranten am Freitag nach dem Gebet versammeln können. Ein "Freitag der Wut" sollte es nach dem Willen von Präsident Abdel Fattah al-Sisi werden, und so kam es dann auch. Vor dem Denkmal des unbekannten Soldaten, in der Al-Azhar-Moschee in Kairo und in den Straßen von Alexandria versammelten sich die Menschen und forderten Gerechtigkeit für die Palästinenser. Sie riefen "Freiheit für Palästina" und "Nieder mit Israel". Von den Opfern der Hamas war keine Rede.

Eine ganze Liste an Demonstrationsorten hatte die mit dem Staatschef sehr eng verbandelte Jugendorganisation "Yalla Sisi" verschickt, deren Namen man mit "Auf geht's, Sisi" übersetzen kann. Sehr viel ging nicht mit al-Sisi in den vergangenen Monaten, um im Sprachgebrauch seiner jugendlichen Gefolgsleute zu bleiben. Ägypten leidet unter einer brutalen Wirtschaftskrise, das Pfund hat mehr als die Hälfte seines Wertes verloren, was Importe verteuert, die Inflation liegt bei etwa 40 Prozent, mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sollen knapp über oder unter die Armutsgrenze abgerutscht sein. Der Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie, die den Tourismus hart getroffen hat, gehören zu den Ursachen, dazu der Krieg im Nachbarland Sudan.

Viele Bürger klagen darüber, dass neue Brücken und Straßen nicht satt machen

Vor allem aber hat al-Sisi Hunderte Milliarden Dollar in die Infrastruktur gesteckt, in Brücken, Straßen und Eisenbahnlinien. Manches davon war bitter nötig, fast jeder Taxifahrer in Kairo kann bis heute begeisternd davon schwärmen, wie sehr sich an vielen Stellen der Verkehr verbessert hat. Andere Projekte sind weniger einleuchtend, vor allem der Bau einer neuen administrativen Hauptstadt mit Stadion und Flughafen, der mindestens 60 Milliarden Dollar verschlang. Millionen Menschen sollen dort einmal wohnen, bisher steht fast alles leer.

Geblieben sind horrende Staatsschulden, viele Bürger beklagen, dass all die Brücken und Straßen nicht satt machen. Und der Tiefpunkt scheint noch nicht erreicht, eine weitere Abwertung der Währung halten Finanzexperten für unausweichlich. Der Präsident ließ die für Februar geplanten Wahlen auf den Dezember vorziehen, damit die Krise sich nicht noch mehr auf seine Popularität niederschlägt. Dass er die Wahlen gewinnen wird, steht außer Zweifel, Oppositionskandidaten berichten von Einschüchterungen, ein Großteil der Medien ist regierungstreu.

Aber auch al-Sisi braucht eine Art Legitimation. Entweder als Projekt, dem die Menschen etwas abgewinnen können, oder zumindest in Form einer nicht ganz katastrophalen Wahlbeteiligung, beim letzten Mal erreichte sie kaum mehr als 40 Prozent. Ein wirkliches Thema für seinen Wahlkampf hatte al-Sisi bisher nicht gefunden, vor einigen Wochen verteidigte er die hohen Schulden und verkündete: "Wenn der Preis für den Fortschritt Hunger ist, werden wir weniger essen." Die Begeisterung hielt sich in Grenzen.

Den Bruch mit Israel will al-Sisi vermeiden, aber gelingt das auch?

Nach dem Terror der Hamas gegen Israel und der wachsenden Wut in der arabischen Welt über die zivilen Opfer der israelischen Gegenschläge scheint al-Sisis Thema festzustehen: die Solidarität mit Palästina und die Wut über Israel und den Westen. Seit Jahren waren der Präsident und die Stimmung auf der Straße nicht mehr so nah beieinander. Es ist eine Strategie, die viele Chancen birgt für al-Sisi, aber auch nicht ohne Risiken ist.

Ägypten ist in den vergangenen Jahren von der arabischen Regionalmacht zu einem Land abgestiegen, das die reichen Nachbarn am Golf immer wieder um finanzielle Unterstützung anbetteln musste. Saudi-Arabien wurde zum politischen Zentrum, Ägypten wurde zwar immer wieder gebraucht, um zwischen Israel und der Hamas zu verhandeln, die großen Linien wurden aber woanders besprochen.

Nun wird al-Sisi versuchen, etwas vom alten Einfluss zurückzuerlangen. An diesem Samstag sollen zwölf Staatschefs zum Friedensgipfel in die neue Verwaltungshauptstadt kommen, auch Außenministerin Annalena Baerbock ist dabei. "Die palästinensische Sache ist die Mutter aller Sachen und hat einen erheblichen Einfluss auf die Sicherheit und Stabilität", sagt al-Sisi nun. Er will wieder einen eigenen Staat für die Palästinenser auf die Tagesordnung setzen. Es ist ein weiter Weg.

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Konkreter ist da schon die Rolle Ägyptens als Türöffner nach Gaza, über den einzigen nicht-israelischen Grenzübergang in Rafah. Al-Sisi kann dort das freundlich-humanitäre Gesicht seiner Regierung zeigen - wenn es denn mal losgeht, noch immer streitet man sich mit Israel, wie genau die Lastkraftwagen kontrolliert werden sollen. Die Beziehung zum Nachbarn wird wohl auch grundsätzlich auf die Probe gestellt werden. Ägypten hat zwar als erstes arabisches Land 1979 mit Israel Frieden geschlossen, aber nun wirft al-Sisi der Regierung in Tel Aviv vor, die Grenze der gerechtfertigten Selbstverteidigung "überschritten" zu haben, er spricht von einer "kollektiven Bestrafung" der Palästinenser. Israel soll bereits erwägen, Teile seines Botschaftspersonals aus Kairo abzuziehen.

Einen Bruch mit dem Nachbar will er zwar vermeiden, Demonstrationen wie der "Freitag der Wut" können aber eine ganz eigene Dynamik bekommen. Auch die Proteste gegen Hosni Mubarak starteten einst klein und wurden dann groß. Damals hießen sie: "Freitag des Zorns".

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