Ismail Shoukry muss schon ein schlechtes Gefühl gehabt haben. "Wenn wir nicht bald eine Offensive gegen den Islamischen Staat beginnen, werden wir bald noch auf viel größere Probleme stoßen", sagte er noch vor Kurzem. Er ist der Chef des Militärgeheimdienstes in Misrata, der drittgrößten und reichsten Stadt in Libyen. Er sollte recht behalten.
Er drückte einen Knopf unter der Schreibtischplatte und klingelte im abgedunkelten Büro einen Assistenten mit Tee herbei. Dann war die Genehmigung erteilt, die man braucht, um als Journalist an den Checkpoint Abu Grein zu fahren, 120 Kilometer nach Osten.
Es war der letzte Außenposten, bevor das Reich des Terrors beginnt, das Territorium des Islamischen Staates. 134 Kilometer sind es dann noch von Abu Grein bis nach Sirte. Der Geburtsort des gestürzten Diktators Muammar al-Gaddafi ist heute die Hauptstadt der Dschihadisten.
An dem Checkpoint haben IS-Kämpfer jetzt die rot-schwarz-grüne libysche Flagge mit dem weißen Stern und Halbmond heruntergerissen. Sie haben Abu Grein überrannt, haben Bilder und Videos davon ins Internet gestellt.
Fünf Militärpolizisten hielten hier vor Tagen noch Wache, sie trugen rote Barette, verspiegelte Sonnenbrillen und wüstenbeige Tarnanzüge. Zwei von ihnen wurden getötet. Der Überraschungsangriff Ende vergangener Woche zwang ihre Militärbrigade 166 zum Rückzug.
Das Problem ist, dass es keine Zentralmacht gibt
Es ist nur die letzte Attacke der Terrormiliz, die versucht ihr Territorium auszuweiten und Libyen zu einem Rückzugsgebiet für ihre Kader aus Irak und Syrien zu machen, wenn sie dort militärisch noch stärker unter Druck geraten. Der IS hat von Libyen aus Anschläge in Tunesien organisiert, und er hat Europa gedroht. Seit den Attacken von Paris und Brüssel tut das niemand mehr als Propaganda ab.
Ein Flüchtling aus Sirte berichtet, wie es ist, unter dem Regime des Schreckens zu leben. Ein Stammesältester erzählt, wie sie die Islamisten zuerst noch willkommen geheißen hatten in ihrer Stadt. Westliche Geheimdienstler fürchten, dass Libyen endgültig zur Dschihad-Zentrale in Nordafrika wird, wenn nicht bald jemand den IS stoppt.
Das Problem ist, dass es keine Zentralmacht gibt, die diesen Kampf führen könnte. Der Premierminister der international anerkannten neuen Einheitsregierung, Fayez al-Serraj, hat keine schlagkräftige Armee, die es mit dem IS aufnehmen könnte, dafür konkurrierende Regierungen in der Hauptstadt und im Osten des Landes in Bayda, die seine Autorität nicht anerkennen.
Misrata hat seine Brigaden wieder mobilisiert, sie sollen den IS jetzt zurückschlagen. Aber solange Unsicherheit, Chaos und Anarchie herrschen in Libyen, findet der Islamische Staat die idealen Voraussetzungen, um das Land zu unterwandern und schleichend zu übernehmen. Mit Schläferzellen, Spionen. So hat er es in Mossul im Irak getan, in Raqqa in Syrien - und auch schon in Sirte.