Islamischer Staat:"Ein paar Stunden noch und sie hätten mich hingerichtet"

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Eine der 69 ehemaligen IS-Geiseln bei einem Termin in Erbil. (Foto: REUTERS)

Kurdische und US-amerikanische Soldaten haben 69 Menschen aus einem IS-Gefängnis befreit. Nun haben einige von ihrem Leid erzählt.

Von Benedikt Peters

Das Gewehrfeuer ist ohrenbetäubend, als der Mann ins Freie tritt. Er blickt hektisch nach links, nach rechts, bleibt dann stehen. Wie erstarrt. Und hebt die Hände, als wolle er sagen: "Erschießt mich nicht!" Ein Soldat zieht ihn schnell weiter. Hinter ihm, so zeigt es das Video, treten immer mehr Männer ins Freie. Sie tragen weiße Nachthemden, sonst nichts. Einige pressen die Hände auf die Ohren, denn das Gewehrfeuer reißt nicht ab. Angst steht auf den Gesichtern. Doch sie sind jetzt frei.

Vergangenen Donnerstag haben US-Soldaten gemeinsam mit Kämpfern der kurdischen Peschmerga ein Gefängnis der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) nahe der irakischen Stadt Hawija gestürmt. Dabei wurden 69 Geiseln befreit. Nun haben sich einige von ihnen in der New York Times geäußert. "Ein paar Stunden noch, und sie hätten mich hingerichtet", sagte einer der Gefangenen. Nach US-Angaben hatte der IS eine Massenexekution der Geiseln geplant. Ihre Geschichten ermöglichen eine Innenansicht der Gefängnisse des IS.

Schläge mit Schläuchen, Stromstöße mit Elektroschockern

Die Männer berichten, sie seien einem systematischen Folterprogramm unterzogen worden: Schläge mit Schläuchen, Stromstöße mit Elektroschockern. Manchen hätten die Peiniger Plastiktüten über die Köpfe gestülpt und dann gewartet, bis sie das Bewusstsein verloren. Einige Gefangene hatten der örtlichen Polizei angehört, bevor der IS vergangenes Jahr die Macht in der Region übernahm. Andere wurden der Spionage verdächtigt, für die USA oder für die Kurden, die gemeinsam gegen den IS vorgehen.

Einer, der von seinen Leiden erzählt, ist Saad Khalif Ali Faraj, 32 Jahre alt. Als er befreit wurde, hatte er gerade seinen Abschiedsbrief an einen Neffen geschrieben. Die IS-Wächter hatten ihm gesagt, dass seine letzte Nacht bevorstehe, am nächsten Tag werde er hingerichtet. "Ich schrieb ihm: Sie werden mich töten. Suche mich nicht", sagte Faraj.

In den Zellen liefen Videos von Enthauptungen

Oder Muhammad Hassan Adullah al-Jibouri. Sein jüngerer Bruder, ein Englischlehrer, war vom IS verdächtigt worden, ein Spion zu sein. Er flüchtete aus dem Gefängnis, zur Strafe wurde al-Jibouris Familie in Sippenhaft genommen. Sie töteten einen weiteren seiner Brüder, dann wurde die Familie zunächst freigelassen. Wenig später wurde al-Jibouri nochmal festgenommen, sagt er, dabei entdeckten die IS-Schergen Telefonnummern von US-Soldaten auf seinem Handy. Er bestritt, dass er ein Spion sei, aber sie glaubten ihm nicht. Er wurde gefoltert, dann sollte auch er hingerichtet werden.

Mit 39 Personen habe er in einer Zelle gesessen, Tag und Nacht, sagte al-Jibouri. Mitten im Raum habe ein Fernseher gestanden, auf dem pausenlos IS-Videos von Enthauptungen liefen. Sie seien gezwungen worden, zuzusehen. Al-Jibouri sei sich sicher gewesen, selbst auch bald zu sterben. Doch dann kam die Befreiungsaktion der Kurden und der USA.

Bei der allerdings hat ein US-Soldat sein Leben gelassen. Stabsfeldwebel Joshua Wheeler wurde bei dem Feuergefecht verwundet und erlag später seinen Verletzungen. Er sei den USA und insbesondere Wheeler sehr dankbar, sagte der befreite al-Jibouri. "Ich hoffe, Gott wird ihn im Himmel aufnehmen."

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