Iran:Auf der Suche nach wunden Punkten

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Kadetten wohnen einer Beerdigungszeremonie für den von den USA getöteten iranischen General Qassim Soleimani bei. (Foto: AP)
  • Die iranische Führung zieht nach eigenen Angaben 13 verschiedene Szenarien für einen Vergeltungsschlag gegen die USA in Erwägung.
  • Es gibt Hinweise, dass Iran direkt ein militärisches Ziel der USA ins Visier nehmen will. Das wäre ein Strategiewechsel.
  • Die Amerikaner sind in fast allen umliegenden Staaten stationiert, einige Stützpunkte wären nur schwer zu verteidigen.

Von Paul-Anton Krüger

Noch einmal begleiten Zigtausende den Sarg von Qassim Soleimani. In Kerman, seiner Heimatstadt im Südosten Irans, soll der Revolutionsgarden-General beigesetzt werden. Auf den Flanken der kargen Berge haben sich Trauernde eingefunden. Aber Hunderte, Tausende wollen den Sarg berühren, ein Foto machen. Im Gedränge kommt es zur Panik, Dutzende Menschen werden erdrückt, zerquetscht, zu Tode getrampelt.

Das Begräbnis muss am Dienstag um Stunden verschoben werden und findet erst am Abend statt. Es ist das tragische Ende der auf drei Tage anberaumten Trauerfeiern - eine weitere Parallele zum Tod von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini. Dessen Staatsbegräbnis wurde wegen des Ansturms Trauernder auch abgebrochen.

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Das gab das Militärbündnis in Brüssel bekannt. Zuvor hatte bereits die Bundeswehr einige Soldaten nach Kuwait ausgeflogen.

Mit dem Ende der Staatstrauer für Soleimani rückt die "schwere Rache" in den Fokus, die der Oberste Führer Ali Chamenei den Vereinigten Staaten angekündigt hat, dafür, dass US-Präsident Donald Trump die Tötung des wichtigsten Mannes im iranischen Sicherheitsapparat angeordnet hat. In Kerman versprach der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hossein Salami, noch einmal eine "harte, starke, entschiedene und finale Vergeltung", die den Vereinigten Staaten leidtun werde.

Chamenei selbst wird die Richtlinien für einen solchen Angriff definieren, wie er es bei allen strategisch wichtigen Entscheidungen tut - laut der New York Times hat er dies bei einer Sitzung des Obersten Nationalen Sicherheitsrates bereits getan. Der Bericht beruft sich auf drei iranische Quellen, die Kenntnis von der Zusammenkunft hätten. Demnach solle es ein direkter Angriff auf US-Interessen sein, der offen von den iranische Streitkräften selbst ausgeführt werde. Zu diesen zählen auch die Revolutionsgarden. Deren Quds-Brigaden, zuständig für Auslandseinsätze, hatte Soleimani 20 Jahre lang kommandiert.

Iran: Angriff wird "ein historischer Albtraum für Amerika"

Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es naturgemäß nicht. Der Sekretär des Sicherheitsrates, Ali Schamchani, gab lediglich bekannt, dass 13 Szenarien für einen Vergeltungsschlag in Erwägung gezogen würden. "Selbst wenn das schwächste dieser Szenarien einen Konsens gewinnt, wird es ein historischer Albtraum für Amerika", zitierte ihn die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars. Weitere Informationen könne man mit Rücksicht auf die nötige Geheimhaltung derzeit nicht geben.

In Iran sind viele Drohungen ausgestoßen worden in den vergangenen Tagen, etwa, das Weiße Haus anzugreifen oder Trump zu töten. Lässt man diese schrillen Töne beiseite, gibt es aber tatsächlich einige Hinweise darauf, dass Iran direkt ein militärisches Ziel der Amerikaner ins Visier nehmen will - etwa entsprechende Äußerungen von Hossein Dehghan, dem militärischen Berater Chameneis, oder von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.

Das wäre ein Strategiewechsel der Islamischen Republik, die sich bislang weitgehend auf das von Soleimani maßgeblich mitaufgebaute Netzwerk von schiitischen Milizen gestützt hat. Die Serie von Angriffen auf US-Truppen im Irak etwa, mit der die jüngste Eskalation ihren Anfang genommen hatte, ging von Kataib Hisbollah aus, deren Anführer Abu Mahdi al-Muhandis zusammen mit Soleimani von Raketen einer US-Drohne getötet wurde.

Nach der Tötung mehrerer iranischer Atomwissenschaftler, für die Iran den israelischen Geheimdienst Mossad und die USA verantwortlich machte, reagierte Iran mit Anschlägen auf israelische Diplomaten in Georgien, Thailand und Indien sowie einem Anschlag auf israelische Touristen im bulgarischen Ferienort Burgas, der von Hisbollah-Kämpfern verübt wurde. Iran bestritt ein ums andere Mal jegliche Beteiligung.

Sollte sich Iran tatsächlich für Angriffe auf militärische Einrichtungen oder Soldaten der USA entscheiden, würde die Islamische Republik dafür eine Reihe von Zielen in der Region finden. Größere Truppenkontingente haben die Amerikaner in fast allen umliegenden Ländern stationiert. Neben den 5200 Soldaten im Irak sind etwa 800 noch in Syrien präsent; ein isolierter Stützpunkt wie al-Tanf an der Grenze zum Irak ist gegen einen massiven Angriff nur schwer zu verteidigen.

Auch der Eigenschutz der 12 000 in Afghanistan stationierten GIs ist problematisch. 7000 Soldaten haben die USA in Bahrain und etwa 13 000 auf dem Luftwaffenstützpunkt al-Udeid in Katar, wo sich auch das vorgeschobene Hauptquartier des für die Region zuständigen Central Command der US-Streitkräfte befindet. Dazu kommen 13 000 Soldaten in Kuwait, 3500 in Saudi-Arabien und 5000 in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

USA scheinen Irans Drohungen ernst zu nehmen

Natürlich wird Iran auch die Reaktion in der Region ins Kalkül ziehen - Katar etwa hat sich am Golf zu einem für Iran wertvollen arabischen Verbündeten entwickelt. Ziele in Saudi-Arabien und den Emiraten würden die vorsichtigen Versuche der Golfstaaten zunichte machen, mit Iran wieder zu einer Annäherung zu kommen. Im Irak oder in Syrien dagegen würden Attacken weniger politischen Schaden anrichten. In Israel bereitet sich die Regierung auf Angriffe vor, zugleich aber halten Analysten dort etwa eine Attacke der Hisbollah mit ihrem von Iran aufgebauten Raketenarsenal für weniger wahrscheinlich, weil darauf eine heftige Reaktion folgen würde.

Iran besitzt das größte Raketenarsenal im Nahen Osten. Wie präzise diese sind, ist eine offene Frage. Der Angriff auf die saudischen Ölanlagen in Abqaiq und die Ölfelder von Khurais lassen allerdings vermuten, dass Iran in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte mit der Zielgenauigkeit gemacht hat. Auch hier bestreitet Iran jede Beteiligung. Die UN kamen zu der Schlussfolgerung, dass die Angriffe anhand der ihnen vorliegenden Informationen nicht eindeutig auf Iran zurückgeführt werden könnten - die USA, aber auch die wichtigsten europäischen Staaten gehen aufgrund der Erkenntnisse ihrer Geheimdienste jedoch davon aus. Zugleich zeigte der Angriff, dass auch moderne Luftabwehr wie die in Saudi-Arabien stationierten Patriot-Batterien aus US-Produktion keinen flächendeckenden Schutz bieten.

Ein Szenario mit möglichen schweren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft wären Angriffe auf Schiffe im Persischen Golf, der Straße von Hormus oder angrenzenden Seegebieten. Die USA unterhalten dort Flottenverbände, und die Revolutionsgarden haben mit ihren kleinen, wendigen Schnellbooten immer wieder US-Kriegsschiffe bedrängt. Sollte der kommerzielle Schiffsverkehr erheblich beeinträchtigt werden, hätte das zweifellos drastische Folgen für den Ölpreis und die Versorgung vor allem der asiatischen Wirtschaften. Allerdings würde Iran damit auch seine eigenen, ohnehin nur noch bescheidenen Ölexporte weiter gefährden.

Die USA nehmen die Drohungen offenbar ernst - auch wenn sie wie Iran bekräftigen, keinen Krieg zu wollen. Im Irak haben die USA ihre Militäroperationen aus Sicherheitsgründen eingestellt. Das Pentagon beorderte zusätzlich einen Verband mit drei Kriegsschiffen und 2200 Soldaten aus dem Mittelmeer in die Golfregion, angeführt von der USS Bataan, eine Art kleiner Flugzeugträger mit Kampfjets und Hubschraubern an Bord, die aber auch Luftkissen- und Landungsboote mitführen kann. Zudem sollen weitere B-52-Bomber in die Region verlegt werden. Vergangene Woche hatte Trump bereits 3500 Soldaten aus den USA nach Kuwait in Marsch gesetzt. Die USA haben Iran gewarnt, dass auf militärische Vergeltung wiederum Angriffe folgen würden - das könnte ein Bombardement von Zielen in Iran sein, etwa gegen die Luftverteidigung, gegen Einrichtungen der Revolutionsgarden oder das Atomprogramm. Ein Einmarsch dagegen wie 2003 im Irak gilt als ausgeschlossen.

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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