Iran und Schweden:Ein wenig Gerechtigkeit

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Sympathisanten demonstrieren vor der schwedischen Botschaft in Teheran für die Freilassung von Hamid Nouri. (Foto: Morteza Nikoubazl/Imago)

Hamid Nouri war in den Achtzigern an der Ermordung politischer Gefangener in Iran beteiligt. Nun wurde er in Stockholm in zweiter Instanz schuldig gesprochen. Wie es dazu kam, dass ihm in Schweden der Prozess gemacht wird.

Von Alex Rühle, Stockholm

Am Dienstag wurde Hamid Nouri vor einem Stockholmer Berufungsgericht in zweiter Instanz für schuldig befunden. Der 62-jährige Iraner war im Juli 2022 von einem Stockholmer Bezirksgericht wegen Mordes und schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Es war ihm nachgewiesen worden, dass er 1988 in leitender Funktion an den Massenhinrichtungen im Gefängnis von Gohardascht teilgenommen hatte.

Das war insofern ein großer Sieg für die Gerechtigkeit, als damit zum ersten Mal überhaupt einem der Beteiligten dieser Massaker der Prozess gemacht werden konnte. Zu verdanken ist er einem kleinen Mann, der von sich sagt, er kenne keine Rachegefühle, "sondern nur das Pflichtgefühl all den Hinterbliebenen gegenüber, die bis heute nicht wissen, wo ihre ermordeten Verwandten damals verscharrt wurden".

Immer wieder steckten sie ihn in eine Kiste, die "der Sarg" hieß

Manche Helden leben sehr bescheiden. Kista, einer dieser Stockholmer Vororte mit grauer Banlieuetristesse. Wohnblöcke, so weit das Auge reicht. In einem davon wohnt Iraj Mesdaghi, ein 63-jähriger Iraner, dem man nun nicht auf den ersten Blick ansehen würde, dass er Rechtsgeschichte geschrieben hat. Kariertes Hemd, braune Hose, "kommen Sie rein".

Iraj Mesdaghi ist es zu verdanken, dass Hamid Nouri in Schweden der Prozess gemacht wurde. (Foto: Alex Rühle)

Er hat Bücher vorbereitet, Zeichnungen bereitgelegt, vom Gohardascht-Gefängnis, in dem er saß, von den einzelnen Trakten, dem Todeskorridor. Aber eigentlich braucht er all das nicht, Mesdaghi hat ein phänomenales Gedächtnis.

Iraj Mesdaghi sympathisierte zu Beginn der Iranischen Revolution mit den Mudschahedin, die er heute scharf als fundamentalistische Sekte kritisiert. Er wurde 1984 zu zehn Jahren Haft verurteilt, wurde Hunderte Male gefoltert, saß drei Jahre in Isolationshaft und kam immer wieder in eine Kiste, die "der Sarg" hieß, 80 mal 180 Zentimeter, stockdunkel.

Mesdaghi mit einem Plan des Gohardascht-Gefängnisses. (Foto: Alex Rühle)

Mesdaghi wirkt nicht gebrochen, im Gegenteil, wenn er erzählt, leuchten seine braunen Augen warm durchs Halbdunkel. Er springt auf, legt sich auf den Boden hinter der Wohnzimmertür, um zu zeigen, wie er seinen Gefängniskameraden aus der Einzelzelle heraus Morsezeichen gab. "Mit der Hand. Der Schatten auf dem Boden, den konnten sie durch meinen Türspalt sehen." Er lässt die Hand über dem Boden auf und ab wippen, kurz, kurz, lang, im Flur geht seine Frau vorbei, die damals auch in Folterhaft saß und heute Schwerinvalidin ist.

Hamid Nouri arbeitete 1988 als Assistent eines Staatsanwalts im Gohardascht-Gefängnis. "Er wählte die Gefangenen aus, die dem Todesausschuss vorgeführt wurden. Er stellte sie während der Massaker im Todeskorridor in Reihen auf, bevor sie zu ihrer Hinrichtung geführt wurden." Mesdaghi reicht eine der Süßigkeiten rüber, die seine Frau zusammen mit schwarzem Tee gebracht hat, setzt ein falsches Lächeln auf und sagt: "Nach den Morden verteilte er gern Bonbons an uns Gefangene, so als sei gerade was Wunderbares passiert."

Ajatollah Chomeini, damals das iranische Staatsoberhaupt, hatte kurz vor den Massakern eine Fatwa gegen alle Mudschahedin erlassen, weil Mudschahedintruppen im Juli 1988 versucht hatten, an der Seite irakischer Soldaten in Iran zu putschen. Man weiß nicht, wie viele Menschen umgebracht wurden, die Schätzungen liegen zwischen 1700 und 30 000.

Sie taten so, als wollten sie Nouri bestechen, und lockten ihn nach Schweden

Mesdaghi überlebte, konnte mit seiner Frau in die Türkei fliehen und lebt seit 1994 in Schweden, wo er Bücher und Artikel über die Verbrechen des Mullah-Regimes schreibt.

Anfang 2019 bekam er einen Anruf von einem anderen Exiliraner. Heresh S. und seine iranische Frau lebten in Scheidung, aber hatten eine gemeinsame Tochter. Die lebte bei der Mutter - und die wiederum war die Stieftochter von Hamid Nouri. Heresh, der fürchtete, dass sich seine Frau mit Nouris Hilfe nach Iran absetzen könnte, hatte einen von Mesdaghis Artikeln gelesen und hoffte, diesen dazu bewegen zu können, vor dem Gericht in Stockholm gegen Nouri auszusagen, auf dass er, Heresh, das Sorgerecht zugesprochen bekommt.

Mesdaghi aber wusste: "Das ist die eine Chance, die ich habe im Leben. Die eine Chance, wenigstens einen der Mörder vor Gericht zu bekommen." Also tüftelte er einen Plan aus: "Heresh wusste, dass Nouri Partys liebt, junge Frauen, Luxus." Mesdaghi, der so oft gefoltert wurde, dass er chronische Schmerzen in allen Gelenken hat, sitzt auf seinem Sofa, reibt sich die Hände und freut sich wie ein Junge. "Wir haben so getan, als habe Heresh im Sorgerechtsstreit resigniert und wolle Nouri bestechen und dadurch für sich einnehmen." Also buchte Mesdaghi Flugtickets, "eine Rundreise durch Europa, Barcelona, Mailand und junge Frauen haben wir ihm auch versprochen. Da konnte er nicht widerstehen."

Fast 70 Nebenkläger und Zeugen sagten 2022 in dem Prozess aus

Parallel bastelte Mesdaghi gemeinsam mit einer Londoner Anwältin an einer Klage, die er dann einem schwedischen Anwalt überreichte. Am 8. November simste Nouri erwartungsfroh, er sitze im Flugzeug, das aber nicht starten könne, weil eine Tür klemme. "Da bin ich halb verrückt geworden vor Angst und musste zehnmal aufs Klo. Als er dann endlich losgeflogen ist, habe ich die ganze Nacht auf einer dieser Tracking-Seiten geschaut, wie sich das Flugzeug-Icon Schweden nähert." Als Nouri am 9. November landete, bereit für Reisen, Schampus, Luxus, wurde er am Flughafen verhaftet.

Nach dem Weltrechtsprinzip kann man für Verbrechen wie Völkermord und Kriegsverbrechen überall belangt werden. Schweden konnte Nouri also anklagen, obwohl die ihm zur Last gelegten Verbrechen nicht auf dem eigenen Hoheitsgebiet begangen wurden.

Fast 70 Nebenkläger und Zeugen sagten 2022 im Prozess aus. Nouri aber behauptete, nie in Gohardascht gewesen zu sein. "Schwerer taktischer Fehler", lächelt Mesdaghi. Alle Zeugen erkannten ihn wieder - Nouri aber konnte bei deren Aussagen, etwa wenn er als besonders sadistischer Folterer beschrieben wurde, nie detailliert widersprechen, schließlich hätte er damit zugegeben, doch vor Ort gewesen zu sein.

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Für Irans Regierung ist Nouris Verurteilung sehr peinlich: Immer wieder wurde im Prozess auch Präsident Ebrahim Raisi erwähnt, der damals als Richter mitverantwortlich für die Massaker war. Iran hat Anfang 2022 den schwedischen Staatsbürger Johan Floderus festgenommen und kürzlich einen Prozess gegen ihn eröffnet, bei dem diesem die Todesstrafe droht. Es könnte also sein, dass Floderus gegen Nouri ausgetauscht werden soll.

Die schwedische Justiz hat sich gegen diese Erpressungsversuche immun gezeigt und Nouri auch in zweiter Instanz verurteilt. Ob Nouri eines Tages trotzdem gegen Floderus ausgetauscht wird, muss sich weisen. Andere Länder sind zuletzt auf solche Geiseldiplomatie eingegangen, um eigenen Staatsbürgern das Leben zu retten. Aber erst mal hat die Gerechtigkeit gesiegt. "Und Nouri hat hier erlebt, was ein fairer Prozess ist. Sieht er natürlich anders." Mesdaghi lacht so herzlich zum Abschied, dass sich zwei Jugendliche im Treppenhaus von Kista nach dem fröhlichen Alten umdrehen, der seinem Besucher hinterherwinkt.

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