Das iranische Regime setzt weiter auf größte Brutalität und hat einen zweiten Teilnehmer der Straßenproteste hinrichten lassen. Der 23-jährige Maschid Reza Rahnaward wurde am Montag in der Pilgerstadt Maschhad öffentlich gehängt. In einem rechtsstaatlich mehr als zweifelhaften Prozess war er des "Kriegs gegen Gott" für schuldig gesprochen und zum Tode durch den Strang verurteilt worden - eine Standardformulierung für Widerstand gegen das Islamistenregime in Teheran. Es brandmarkt die meist jungen Demonstranten als "Terroristen", die sich von Feindstaaten wie den USA oder europäischen Regierungen hätten kaufen lassen, um Unruhe zu stiften und der Islamischen Republik zu schaden.
Ebenfalls am Montag beschlossen die Außenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten in Brüssel einstimmig neue Strafmaßnahmen gegen Iran. Sie sollen etwa 20 Personen und eine Organisation treffen, die für die schweren Menschenrechtsverletzungen im Land verantwortlich sind. Laut Bundesaußenministerin Annalena Baerbock befinden sich darunter auch Verantwortliche für die jüngsten Hinrichtungen. Baerbock sprach von "unglaublichen Verbrechen" und einem "unverhohlenen Einschüchterungsversuch" des Regimes. Zudem wurden weitere Sanktionen gegen Iran wegen der Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine beschlossen. Iran reagierte mit Gegensanktionen, darunter auch gegen Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne).
Ein bekannter Musiker wurde hingerichtet, weitere sind angeklagt
Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna soll der am Montag Hingerichtete während der Proteste im November zwei der verhassten paramilitärischen Basidsch-Milizionäre mit einem Messer angegriffen und getötet haben. Die Exekution des jungen Mannes ist die zweite eines Teilnehmers der seit Mitte September anhaltenden Demonstrationen gegen das Regime. Bei den Unruhen sind bisher fast 500 Demonstranten ums Leben gekommen, darunter laut Amnesty International 44 Minderjährige und Kinder. Auch Dutzende Polizisten und Basidschi wurden getötet.
Am vergangenen Donnerstag war bereits Mohsen Schekari gehängt worden. Der Rap-Musiker soll ebenfalls bei einem Straßenprotest einen Basidsch-Milizionär angegriffen haben und war wegen "Kriegs gegen Gott" zum Tode verurteilt worden. Mindestens drei weiteren bekannten Musikern, die auch unter Anklage stehen, droht das gleiche Schicksal. Insgesamt stehen derzeit mindestens 20 Demonstranten auf der Exekutionsliste. Die iranische Justiz ist berüchtigt für ihre zahlreichen Todesurteile. Geständnisse der Angeklagten werden fast immer unter Folter erzwungen, sie haben meist keinen Zugang zu frei gewählten Anwälten.
Im Fall der aktuellen Proteste ist die fehlende Rechtsstaatlichkeit mehr als offensichtlich. Die Justizführung und mehrere Regimevertreter hatten die Gerichte öffentlich aufgefordert, Protestteilnehmer hart und schnell abzuurteilen. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (AI) kritisieren die iranische Justiz seit Jahrzehnten und klagen erfolglos Rechtsstaatlichkeit ein. Das Verfahren und das Todesurteil gegen den Rapper Schekari ist laut AI ein "unfairer Scheinprozess". Das iranische Strafrecht lehnt sich stark an die Scharia an, das islamische Gesetz, mit dem das Mullah-Regime auch den Vorwurf "Krieg gegen Gott" begründet.
Die landesweite Protestbewegung war am 16. September entstanden, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini in Teheran im Gewahrsam sogenannter Tugendwächter ums Leben gekommen war. Das Regime behauptet, die iranische Kurdin sei einem Herzversagen erlegen. Sehr vieles spricht aber dafür, dass sie nach der Festnahme durch die bis vor Kurzem noch öffentlich patrouillierende Sittenpolizei durch Schläge in der Polizeistation Hirnverletzungen erlitt, denen sie drei Tage später im Krankenhaus erlag. Festgenommen worden war Mahsa Amini wegen eines angeblich "unsittlich" locker getragenen Kopftuchs.
Mit Schrot und Schlagstock gegen kleinste Menschenansammlungen
Das Regime lässt seit Beginn der Proteste größte Härte gegen die meist jungen Demonstranten walten. Sie werden sehr häufig von jungen Frauen angeführt, die öffentlich das Kopftuch ablegen und den Slogan "Frau, Leben, Freiheit" zu ihrem Schlachtruf und Bekenntnis gemacht haben. Die Regimegegner setzen auf dezentrale Proteste, denn schon gegen kleinste Menschenansammlungen geht das Regime mit Schlagstock und Schrotmunition vor.
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Das einzige Zugeständnis der Staatsführung war es bisher, die vor allem bei den iranischen Frauen verhassten Tugendwächter aus dem Straßenbild zu entfernen. Es ist aber unklar, ob die Sittenpolizei wirklich abgeschafft werden soll, wie es der iranische Generalstaatsanwalt behauptet hatte. Eine offizielle Stellungnahme des Regimes fehlt dazu bislang. Eine Abschaffung dürfte rasch den Ruf nach dem völligen Ende des Kopftuchzwangs und der anderen Vorschriften nach sich ziehen, mit denen Teheran die Rechte der iranischen Frauen seit Jahrzehnten unter Berufung auf die Scharia massiv einschränkt. Landeskenner gehen davon aus, dass das in viele Fraktionen zerfallene Regierungslager in der Frage uneins ist.
Das Sagen haben aber uneingeschränkt die Hardliner rund um den Geistlichen Führer Ayatollah Ali Chamenei. Und die Rufe nach Reformen aus dem regimetreuen Lager sind bisher überschaubar. Aufsehen erregt hatte aber, dass sich eine Tochter und eine Nichte Chameneis öffentlich von dessen Politik distanzierten und an die Seite der Protestierenden stellten. Auch der als Reformer bekannte Ex-Präsident Mohammed Chatami war dafür eingetreten, auf die Protestierenden zuzugehen.