Irak:Falludschas Fall ist ein Sieg ohne Sieger

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Flüchtlinge harren während des Vormarschs von Regierungstruppen in einem Lager nahe der westirakischen Stadt Falludscha aus. (Foto: dpa)

Die irakische Armee und Schia-Milizen mögen den IS aus der Stadt vertreiben - dem Land gibt das aber keine Sicherheit. Längst bekriegen sich die Iraker innerhalb ihrer Religionsgruppen.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Kaum hatte eine Spezialeinheit die irakische Flagge über dem Stadtratsgebäude in Falludscha gehisst, trat in Bagdad Premier Haidar al-Abadi vor die Kameras. Er verkündete die Befreiung der sunnitischen Stadt von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) - einer Organisation, die sich vorgeblich auf den sunnitischen Islam beruft, allerdings eine extreme, pervertierte und grausame Interpretation pflegt. Abadi kündigte zugleich und zum wiederholten Male an, nun Mossul zurückerobern zu wollen, die inoffizielle Hauptstadt des IS und zweitgrößte Metropole. Für Daesch, wie Araber den IS nennen, sei im Irak kein Platz.

Es sind Siegesparolen, deren Wert sich erst weisen muss. Abadi steht innenpolitisch enorm unter Druck - er muss schnell Erfolge vorweisen. So sieht er darüber hinweg, dass in Falludscha weiter gekämpft wird und der unerwartet rasche Vormarsch der irakischen Truppen und schiitischer Milizen vielleicht nur einem taktischen Rückzug des IS oder einer Entscheidung sunnitischer Stammeskämpfer geschuldet war, sich der Offensive nicht länger entgegenzustellen.

Ob die Armee in der Lage ist, die Entscheidungsschlacht um Mossul zu wagen, bezweifeln ihre US-Ausbilder ebenso wie hohe irakische Offiziere. Wichtiger für die Frage, ob es gelingen kann, den IS dauerhaft zumindest im Irak zu besiegen, ist ohnehin, ob das Land Frieden mit sich selbst finden kann. Das wird nur möglich sein, wenn die verschiedenen ethnisch, tribal und konfessionell definierten Volksgruppen einen Modus Vivendi finden, in dem nicht Misstrauen, Hass, Rache und Machthunger die Spirale der Gewalt antreiben.

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Der Sturm auf Falludscha macht da nicht allzu viel Hoffnung. Die Initiative ging nicht von einer einigen, starken Regierung in Bagdad aus, sondern von Iran. Der Angriff wurde maßgeblich geführt von schiitischen Milizen unter dem Kommando der Revolutionsgarden. Ihnen werden auch diesmal Racheaktionen vorgeworfen. Sie separieren Männer ab 15 Jahren von fliehenden Familien und befragen sie - teils unter Folter - nach Verbindungen zum IS. So berechtigt die Angst vor IS-Schläfern ist - diese Behandlung befeuert den Hass.

Armee und Milizen vertreiben den IS, aber der Staat zerfällt dennoch

Dazu kommt: Zehntausende Flüchtlinge hausen vor den Grenzen der Hauptstadt Bagdad in eilig errichteten Zeltlagern bei Temperaturen jenseits der 50 Grad. Sie haben nicht einmal genügend sauberes Trinkwasser, von einer angemessenen Versorgung mit Nahrung und Medizin ganz zu schweigen. Sie sind froh, der Hölle des IS entronnen zu sein. Willkommen als Bürger Iraks aber fühlen sie sich nicht.

Ob und wann sie in die Ruinen ihrer Heimatstadt zurückkehren können, ist offen, und auch, ob sie ihre Väter, Söhne, Brüder wiedersehen. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie Abadi den Sunniten adäquate Teilhabe an Macht und Ressourcen gewähren will. Er mag guten Willens sein, doch ihm fehlt die Hausmacht. Armee und Polizei hat er nicht wirklich unter Kontrolle, schon gar nicht die Milizen. Er laviert und zeigt damit nur, wie der Staat zerfällt.

Längst ist es nicht mehr allein der Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten (und Kurden), der Irak zerreißt. Es sind zunehmend Bruderkämpfe: Die Schiiten ringen seit Monaten um die Macht in Bagdad. Die Regierung ist pleite und gelähmt. In Anbar kämpfen (auch) Sunniten gegen Sunniten. Das letzte Webmuster der Gesellschaft zerreißt, und der IS nutzt die neuen Friktionen. Er wird aus Falludscha vertrieben werden, ob es Tage oder Wochen dauert. Er wird weitere militärische Niederlagen hinnehmen müssen. Doch um ihn zu besiegen, braucht es einen Staat, in dem sich alle Iraker als Bürger fühlen. Einen Staat, der ihnen Sicherheit und eine Grundversorgung gewährleisten kann. Ein solcher Staat aber ist nicht in Sicht.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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