Interview mit Wahlforscher Jung:"Steinmeier schließt die Reihen - reichlich spät"

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Der Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung, über den Ausgang des TV-Zweikampfs und was er den Kandidaten nützen könnte.

Wolfgang Jaschensky

Nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ergab das TV-Duell zwischen den Kanzlerkandidaten für eine Mehrheit von 40 Prozent der Zuschauer keine großen Unterschiede. Für 28 Prozent hat sich Angela Merkel (CDU) und für 31 Prozent Frank-Walter Steinmeier (SPD) besser geschlagen. Unter Zuschauern, die noch nicht genau wissen, wen sie wählen werden, heißt der Sieger für 18 Prozent Merkel und für 34 Prozent Steinmeier. Für 48 Prozent der Unentschlossenen lagen die Duellanten auf einem Niveau. Die Quote war mäßig. Statt der erwarteten 20 Millionen haben nur 14,2 Millionen Menschen zugesehen. Matthias Jung, Leiter des Wahlforschungsinstituts Forschungsgruppe Wahlen, über den Einfluss des TV-Zweikampfs auf die Wahlen - und was er den Kandidaten nützen könnte.

sueddeutsche.de: Bei den TV-Duellen vor den Bundestagswahlen 2002 und 2005 wurde von den Zuschauern mehrheitlich Gerhard Schröder als Sieger des Duells wahrgenommen. Konnten die Erfolge Schröder damals wirklich helfen?

Matthias Jung: Das Ergebnis war ambivalent. Schröder wurde zwar als Sieger gesehen, aber der Herausforderer hat immer die Chance, besser abzuschneiden als erwartet. In der unmittelbaren Wirkung nach dem TV-Duell 2005 konnte Merkel durchaus von diesem Effekt profitieren. Doch diese Wirkung ist sehr schnell verpufft.

sueddeutsche.de: Hatten die vorangegangenen Duelle denn Einfluss auf den Ausgang der Wahlen?

Jung: Sie haben zumindest nicht für eine Trendwende gesorgt. Sowohl 2002 als auch 2005 waren sie eingebettet in eine langfristige Entwicklung: Union und FDP haben in den Stimmungswerten verloren.

sueddeutsche.de: Die Ausgangslage in diesem Jahr ist eine völlig andere.

Jung: Ja, wir haben in diesem Jahr von Anfang an eine knappere Situation und die Lage blieb recht stabil. Außerdem spielt diesmal die Option Rot-Grün keine Rolle. Diesmal lautet die Frage: Reicht es für Schwarz-Gelb oder reicht es nicht. Und wenn nicht: Kann Steinmeier zu einer eigenständigen Mehrheit kommen - oder bleibt es doch bei der großen Koalition?

sueddeutsche.de: Welche Auswirkungen könnte das Duell denn konkret auf die Entscheidung der Wähler am 27. September haben?

Jung: Bei der Frage nach der Wahlabsicht zeigte sich insbesondere, dass sich die beiden großen Parteien nichts genommen haben. Die Unions- und SPD-Wähler wurden in ihrer Wahlabsicht bestätigt.

sueddeutsche.de: Die Umfragen nach dem Duell haben ein recht ausgeglichenes Bild ergeben: Keiner der Kandidaten konnte sich klar durchsetzen, leichte Vorteile gab es für Steinmeier. Kann es am Ende trotzdem sein, dass der SPD-Herausforderer von dem Duell profitiert.

Jung: Es ist außergewöhnlich, dass sich die SPD so spät im Wahlkampf in Umfragen auf einem so niedrigen Niveau befindet. Besonders in der Kanzlerfrage konnte Steinmeier die eigenen Anhänger bislang nicht voll hinter sich bringen. Dass mit Ende des Wahlkampfs die eigenen Reihen geschlossen werden, ist ein normaler Vorgang. Bei der SPD kommt er jetzt zwei Wochen vor der Wahl durch das TV-Duell offenbar in Gang - wenn auch reichlich spät.

sueddeutsche.de: Wird die Wirkung von TV-Duellen grundsätzlich überschätzt?

Jung: Die Gefahr besteht. Selbst wenn TV-Duelle polarisierender verlaufen, als das zwischen Merkel und Steinmeier, wirken sie eher bestätigend. 2002 und 2005 haben wir sehr polarisierende Wahlkämpfe erlebt, entsprechend hoch war der Unterhaltungswert. 2009 war absehbar, dass es wenig konfrontativ und mithin weniger unterhaltsam wird. Dann schauen natürlich weniger Menschen zu.

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