Interview mit Politologe Langguth:"Merkels Strategie ist riskant"

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Der Merkel-Biograph und Politikwissenschaftler Gerd Langguth über eine neue "Rote-Socken-Kampagne" der Union, das Dilemma der SPD - und warum die Kritik an der Kanzlerin nicht unberechtigt ist.

Birgit Kruse

sueddeutsche.de: Herr Professor Langguth, nach den Landtagswahlen hatte man den Eindruck, es gebe nur Gewinner. Aber welche Partei hat denn nun verloren?

Kanzlerin Angela Merkel - offiziell will sie nach der Bundestagswahl eine Koalition mit der FDP. (Foto: Foto: Reuters)

Gerd Langguth: Immerhin spricht die CDU ja nicht nur von Licht, sondern auch von Schatten. Die wirklichen Verlierer der Wahl sind jedoch die Ministerpräsidenten von Thüringen und im Saarland, Dieter Althaus und Peter Müller. Die Wähler waren der beiden teilweise überdrüssig.

sueddeutsche.de: Dann ist Oskar Lafontaine mit den Linken der glückliche Gewinner?

Langguth: Nur auf den ersten Blick. Im Saarland muss man den Erfolg der Linken als enormen Durchbruch sehen. Doch der ist nicht auf die Bundesebene übertragbar, sondern einzig und allein dem Lafontaine-Faktor geschuldet. Und in Thüringen handelt es sich auch nur um einen Pyrrhus-Sieg. Nur wenn die SPD mitspielt, werden die Linken erstmals einen Ministerpräsidenten stellen können. Sollte die SPD dies ermöglichen, wird sie sich neue Probleme einhandeln.

sueddeutsche.de: In der Union kritisiert man bereits den laschen Wahlkampf der Kanzlerin. Wird Angela Merkel in den letzten Wochen vor der Wahl in die Offensive gehen?

Langguth: Die Kritik an der Kanzlerin ist nicht ganz unbegründet. Seit sie regiert, hat die Union in 13 von 14 Landtagswahlkämpfen Verluste wegstecken müssen. Das bleibt nicht ohne Folgen. Es gibt eine parteiinterne Diskussion über Profilstärke von Angela Merkel. Doch in den letzten Wochen vor der Wahl wird sich die Kanzlerin grundsätzlich nicht mehr ändern. Zu Merkel passt kein polarisierender Wahlkampf - Kritik hin oder her.

sueddeutsche.de: Also wird der Wahlkampf in den kommenden Wochen so konturenlos bleiben, wie bisher?

Langguth: In der Tat erleben wir momentan trotz vieler Plakate und mancher medialer Berichterstattung so etwas wie eine weitgehend wahlkampffreie Zeit. Eine Ursache ist sicherlich, dass die Themensetzung in einer immer pragmatischer werdenden Welt auch immer mehr nach pragmatischen Lösungen sucht. Es fehlt aber der große intellektuelle Wurf. Sowohl bei SPD-Mann Steinmeier als auch bei Merkel mangelt es ja an politischem Temperament und Utopiefähigkeit. Merkel ist mehr die pragmatische und unideologische Problemlöserin. Damit ist sie in der Vergangenheit recht gut gefahren. Warum sollte sie das nun ändern?

sueddeutsche.de: Sie könnte die "Rote-Socken-Kampagne" aus alten Kohl-Zeiten aufwärmen - auch wenn CDU-Generalsekretär Pofalla das am Sonntag offiziell ausgeschlossen hat.

Langguth: Damit muss die SPD dennoch rechnen. Die Unionsparteien werden diese Kampagne allerdings indirekt fahren - also ohne Plakate wie einst bei Helmut Kohl. Die Hintze-Kampagne hatte Kohl noch einmal zu einer knappen Mehrheit verholfen. Und gleichzeitig wird die Union darauf herumreiten, dass auch die Bundes-SPD ihren Landesverbänden in Thüringen und dem Saarland freie Hand lässt. Das wird als unglaubwürdig hingestellt, wenn eine Koalition der SPD mit der Linken neuerdings auch in Westdeutschland, im Saarland, möglich sein soll, was die SPD auf Bundesebene als unerwünscht darstellt.

sueddeutsche.de: Die Union setzt im Bund auf eine Koalition mit der FDP. Ist das angesichts der Wahlergebnisse im Saarland und in Thüringen nicht ebenfalls riskant? Eine Mehrheit für Schwarz-Gelb gibt es dort nicht.

Langguth: Merkels Strategie ist ziemlich riskant. Doch der Kanzlerin bleibt nichts anderes übrig, als für Schwarz-Gelb zu werben. Zumindest nach außen. Sie ist innerlich nicht diejenige, die ausschließlich auf Schwarz-Gelb setzt. Ihr innerer Kompass ist meines Erachtens auf die Fortsetzung einer großen Koalition ausgerichtet. Mit dieser ist sie persönlich nicht schlecht gefahren. Und in der kommenden Legislaturperiode stehen schwierige Entscheidungen in der Sozialpolitik auf der Agenda. Von der Nähe der Sozialdemokraten zu den Gewerkschaften könnte sie da profitieren. Sollte es aber zu Schwarz-Gelb reichen, wäre sie gezwungen, mit der FDP zu koalieren.

sueddeutsche.de: Man hat aber vielmehr den Eindruck, die Wähler wollen die Volksparteien nicht mehr an der Macht.

Langguth: Die beiden großen Parteien müssen Federn lassen - vor allem, solange sie in einer großen Koalition sind. Es ist eine alte deutsche Nachkriegstradition, dass die Parteien, die auf Bundesebene in der Regierung sind, auf Landesebene abgestraft werden.

sueddeutsche.de: Statt der FDP könnten nun die Grünen im Saarland und in Thüringen zu Königsmachern werden. Werden sie auch im Bund künftig das neue Zünglein an der Waage sein?

Langguth: Ja und nein. Die Grünen sind im Moment zwar noch schwächer als die FDP. Doch der Kampf um die drittstärkste Partei im Bund findet seit langem statt. Und die Grünen haben sich stabilisiert und gezeigt, dass sie nicht nur für die SPD ein geeigneter Partner sein können, sondern auch für die CDU. Spannend wird es diesbezüglich im Saarland. Man muss aber auch sagen: Grüne und FDP profitieren derzeit von der Schwäche der beiden großen Parteien.

sueddeutsche.de: Die Landtagswahlen zeigen auch, dass die Zeit reif ist für neue Koalitionen. Wäre es dann für die SPD nicht an der Zeit, sich auch auf Bundesebene zu rot-roten Bündnissen zu bekennen?

Langguth: Viele Wähler finden das Verhalten der SPD inkonsequent. Auf Landesebene koaliert man mit der Linken, auf Bundesebene sind sie unerwünscht. Doch die SPD kann nicht anders - noch nicht. Da gibt es zum einen das zerrüttete Verhältnis zu Lafontaine. Dieser gilt bei den Sozialdemokraten als nicht integrationsfähig. Zum anderen gibt es gerade bei älteren Sozialdemokraten Ressentiments gegenüber einer Partei, die zu großen Teilen aus der ehemaligen DDR stammt. Die Vorstellung, mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten, ist für viele Wähler ein Albtraum. In einer Nach-Lafontaine-Ära könnte das anders aussehen.

sueddeutsche.de: Warum?

Langguth: Denken Sie nur an Bodo Ramelow. Ihn bringt man weder mit der DDR-Vergangenheit der Partei noch mit dem alten SPD-Streit in Verbindung. Er könnte für eine neue Ausrichtung der Linken stehen. Und damit eine neue Phase der Zusammenarbeit der SPD mit den Linken begründen.

Gerd Langguth lehrt als Politikwissenschaftler an der Universität Bonn und hat Biographien über Angela Merkel (2005) und Horst Köhler (2007) verfasst.

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