Internationale Polizeibehörde:Von Interpol gesucht: ein neuer Chef

Lesezeit: 3 Min.

  • An diesem Mittwoch wählen Polizeivertreter aus 194 Staaten einen neuen Interpol-Chef.
  • Der bisherige Chef, der Chinese Meng Hongwei, kam der Behörde auf fragwürdige Weise abhanden.
  • Der Russe Alexander Prokoptschuk gilt als aussichtsreicher Kandidat. Doch einige - so der deutsche Außenpolitiker Röttgen - halten ihn für "unwählbar".
  • Denn Moskau hat schon häufiger politisch unbequeme Personen auf die Interpol-Liste setzen lassen. Prokoptschuk hat einige davon mit gebilligt.

Von Silke Bigalke, Moskau

Interpol wählt einen neuen Chef und die Voraussetzungen könnten ungünstiger kaum sein. Nicht nur, weil der internationalen Polizeiorganisation ihr bisheriger Präsident auf fragwürdige Weise abhanden gekommen ist: Der Chinese Meng Hongwei war in China festgenommen worden, angeblich wegen Korruption. Interpol erfuhr erst Tage später davon und konnte nicht einmal einen Kontakt zu ihm herstellen.

Nun wird in Dubai beim Treffen der Polizeivertreter aus 194 Interpol-Ländern ein Nachfolger gesucht. Und schon vor der Wahl gibt es heftige Proteste gegen einen Kandidaten, der als aussichtsreich gilt: Alexander Prokoptschuk aus Russland.

Wieder ein Kandidat eines Staates also, der den Ruf hat, unliebsame Kritiker strafrechtlich zu verfolgen - und dafür auch Interpol zu nutzen. Würde Prokoptschuk die Wahl an diesem Mittwoch gewinnen, würde "der Fuchs zum Chef im Hühnerstall", warnten etwa mehrere US-Senatoren.

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Die Aufgabe von Interpol ist es, zu vermitteln. Die Organisation selbst hat keine eigenen Polizeibefugnisse. Mitgliedstaaten schicken Haftgesuche zum Hauptsitz ins französische Lyon. Doch ob die anderen Staaten auf diese sogenannten "roten Ausschreibungen" reagieren, ob sie die gesuchte Person festhalten und ausliefern, bleibt ihnen selbst überlassen.

Die russische Justiz hat immer wieder Namen von politischen Gegnern, Kritikern und in Ungnade gefallenen Geschäftsleuten auf diese rote Liste gesetzt. Erst in dieser Woche kam ein Name dazu, der oft als Beispiel dafür zitiert wird, dass das System missbraucht werde: Bill Browder ist schon öfter festgehalten worden, seit er vom Großinvestor in Russland zum Kremlkritiker geworden ist. Damals hatte der US-Amerikaner gemeinsam mit seinem Anwalt Sergej Magnizkij einige russische Beamte des Betrugs beschuldigt. Magnizkij wurde daraufhin verhaftet und starb vor neun Jahren im Gefängnis.

Browder selber wurde im vergangenen Jahr in Abwesenheit in Russland zu neun Jahren Haft verurteilt. Erst im Mai hielten ihn die spanischen Behörden wegen eines Haftbefehls, der an Interpol gegangen war, fest, ließen ihn aber schnell wieder frei. Manche Länder meidet er, um nicht doch noch Gefängnis zu riskieren. Am Sonntag schrieb Browder über Twitter, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nun versuche, Interpol zu übernehmen, "damit er seine kriminellen Tentakel in jeden Winkel des Globus ausstrecken kann".

Am Montag erklärte die Staatsanwaltschaft in Moskau dann, dass sie ein neues Verfahren eröffnet habe. Sie werfe Browder vor, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein. Der Sprecher der Staatsanwalt äußerte zudem den kruden Verdacht, Browder haben seinen Anwalt Magnizkij damals selber umgebracht, ihn vergiften lassen - und womöglich weitere Menschen getötet. Russland werde erneut einen internationalen Haftbefehl beantragen.

Die Ukraine droht damit, Interpol zeitweilig zu verlassen

Die neuen Anschuldigungen nur zwei Tage vor der Wahl in Dubai erinnern an all die anderen Kritiker, die Moskau auf die Interpol-Liste setzen ließ. Unbequeme Politiker wie den Esten Eerik-Niiles Kross, dem man mitten im Wahlkampf vorwarf, ein Schiff entführt zu haben. Oder Leonid Newslin, den früheren Vizechef des Ölkonzerns Yukos. Die Liste ist lang.

Einige dieser Namen hat der russische Kandidat für den Chefposten, Alexander Prokoptschuk, mit gebilligt. Er ist nicht nur seit 2016 einer der vier Vizepräsidenten von Interpol. Seit 2011 leitet er das russische Nationale Zentralbüro, das die Zusammenarbeit mit Interpol koordiniert. Jedes Mitgliedsland hat eine solche Verbindungsstelle zu Interpol. Das bedeutet auch: Jeder Name, den Moskau seither auf die Liste gesetzt hat, ist wohl auch über seinen Schreibtisch gegangen.

Am Wochenende berichtete The Sunday Times in London, dass britische Beamte mit der Wahl Prokoptschuks rechneten. Am Montag dann stellte sich der Kreml hinter dessen Kandidatur. Seither kam Kritik nicht nur von US-Senatoren, sondern auch aus dem Bundestag. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, nannte ihn "unwählbar". Die Ukraine drohte, ihre Mitgliedschaft bei Interpol auszusetzen, sollte Prokoptschuk gewählt werden. Dabei ist der heute 56-jährige Offizier in der Ukraine geboren worden und hat dort studiert, bevor er nach Moskau zog. Ein Kremlsprecher beklagte die angebliche "Einmischung in den Wahlprozess".

Der sieht eine Stimme pro Mitglied vor. Das sind also insgesamt 194 Länder, nicht jedes davon ist ein Rechtsstaat. Dass es am Ende auf die Mitglieder ankommt, ist gleichzeitig Stärke und Schwäche der Organisation. Sie muss einerseits hilflos zusehen, wenn ein Staat ihren Präsidenten im Gefängnis verschwinden lässt. Andererseits entscheidet am Ende jeder Staat selber, ob er jemanden für eine andere Regierung einfängt. Die Interpol-Statuten verbieten politisch motivierte Eingriffe. Browder wird daher wohl auch weiterhin auf freiem Fuß bleiben - egal wie die Entscheidung in Dubai ausgeht.

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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