Integrationsdebatte:Was Özil empfand, haben viele erlebt

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Menschen, denen ihr Migrationshintergrund anzusehen ist, erfahren besonders oft Diskriminierung. Straßenszene aus Berlin-Kreuzberg. (Foto: Axel Schmidt/Reuters)
  • Menschen mit Migrationshintergrund werden in Deutschland im Alltag immer noch diskriminiert.
  • Eine Studie zeigt: Vor allem Menschen, bei denen ihre nichtdeutsche Herkunft sichtbar ist, werden benachteiligt.
  • Gerade auf dem Arbeitsmarkt wirken Name und Aussehen zum Nachteil von Bewerbern mit Migrationshintergrund.

Von Jan Bielicki, München

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gehörte "Me Two" auch am Sonntag noch zu den zehn deutschen Top-Themen. Der Hashtag spricht offensichtlich viele an: Hier berichten Menschen davon, wie sie Diskriminierung und Rassismus erfahren, weil ihr Name, ihre Hautfarbe oder ihre Kopfbedeckung nicht dem entspricht, was manch andere Deutsche als deutsch empfinden. Ihre teils schockierenden Erlebnisse sind jedoch nicht nur kurzlebiger Trend in sozialen Netzwerken. Studien zeigen: Die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Religion ist in Deutschland ein Massenphänomen - und das nicht erst, seit der Rücktritt Mesut Özils aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft die Gemüter erhitzte.

Was Özil empfand, haben demnach sehr viele der Menschen mit Migrationshintergrund - und das sind laut Statistischem Bundesamt 18,6 Millionen Kinder, Frauen und Männer - bereits erlebt. So berichtete schon 2015 fast jeder vierte Befragte mit Migrationshintergrund den Autoren einer Untersuchung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt Universität, in den zwei Jahren zuvor mit Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder aufgrund seiner ethnischen Herkunft konfrontiert worden zu sein. Gar mehr als die Hälfte der befragten Angehörigen einer nicht-christlichen Glaubensgemeinschaft - darunter vor allem Muslime und Juden - gaben an, aufgrund ihrer Religion diskriminiert worden zu sein.

Andere Studien stützen diese Befunde - und zeigen, wer die Opfer diskriminierenden Verhaltens sind: gerade Türken, Muslime, Schwarze - Menschen vor allem, denen ihr Migrationshintergrund anzusehen ist. Das hat eine Auswertung von Forschern des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration ergeben. Danach hatten von den Zugewanderten und ihren Kindern, die ihr Aussehen selbst als "typisch deutsch" beschrieben, nur 17 Prozent das Gefühl, in den fünf Jahren zuvor aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt worden zu sein. Dieser Anteil steigt stark, sobald der Migrationshintergrund - etwa im Teint der Haut - sichtbar wird: Von diesen Menschen berichteten fast die Hälfte von erlebter Diskriminierung. Von jenen, die dazu noch Deutsch mit einem Akzent sprachen, waren es gar 59 Prozent.

Wie oft diese Menschen diskriminiert werden, hängt dieser Studie zufolge stark von Herkunft und Religion ab. So berichteten mehr als die Hälfte der Befragten mit türkischen Wurzeln von Erfahrungen mit Benachteiligung. Besonders oft stießen befragte Muslime auf Erlebnisse, die sie als diskriminierend empfanden - 55 Prozent machten solche Erfahrungen.

Dass diese keineswegs nur gefühlt ist, bestätigen andere Zahlen: Ob Arbeitslosigkeit oder Schulabschluss - in fast allen Zahlen, die das Statistische Bundesamt als sogenannte Integrations-Indikatoren führt, zeigen sich deutliche Nachteile von Zugewanderten und ihren Kindern gegenüber Menschen ohne Migrationshintergrund. Bedenklich dabei: Die Lücke ist seit 2005 kaum kleiner geworden.

Gerade auf dem Arbeitsmarkt wirken Name und Aussehen zum Nachteil von Bewerbern mit Migrationshintergrund. So macht es einen großen Unterschied, ob sich eine Sandra Bauer für einen Job bewirbt oder, mit den selben Bewerbungsunterlagen, eine Meryem Öztürk - oder eine Frau Öztürk mit einem Foto, das sie mit Kopftuch zeigt. In einem Versuch des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit bekam die fiktive Sandra Bauer auf jede fünfte Bewerbung eine positive Rückmeldung, Meryem Öztürk nur auf jede siebte und nur auf jede zwanzigste, wenn sie auf dem Foto ein Kopftuch trug. Bemerkenswert: Je anspruchsvoller die Stelle, desto weniger Chancen bekam die Bewerberin mit dem fremd klingenden Namen. Ähnlich geht es auf dem Wohnungsmarkt zu. So ließ die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Testpersonen mit und ohne Migrationshintergrund sich um eine Wohnung bewerben. Ergebnis: Muslime und Juden bekamen deutlich weniger oft eine Zusage vom Vermieter als andere Bewerber.

Solche Erfahrungen haben Auswirkungen auf das Gefühl, in Deutschland daheim zu sein - und zwar nicht nur bei den Migranten, sondern auch bei deren hier aufgewachsenen Kindern und sogar Kindeskindern wie Mesut Özil. Laut einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung fühlt sich die Hälfte der Menschen mit türkischen Wurzeln in NRW eher der Türkei als Deutschland heimatlich verbunden, das ist der höchste Wert seit 20 Jahren. Auf den Stand ihrer Integration lässt sich daraus kaum schließen: Mehr als 80 Prozent von ihnen fühlen sich dennoch in Deutschland zu Hause.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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