Innere Sicherheit:Islamistische Szene laut Verfassungsschutz gewachsen

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Senator für Inneres und Sport in Hamburg Andy Grote spricht bei einer Veranstaltung. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Vom Rechtsextremismus geht nach wie vor die größte strukturelle Gefahr für unsere Demokratie aus, meint Hamburgs Innensenator Andy Grote. Aber auch andere Extremisten profitieren von der Unsicherheit in Krisenzeiten und stellen die demokratische Grundordnung in Frage.

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Hamburg (dpa/lno) - Die islamistische Szene ist in Hamburg weiter gewachsen und steht verstärkt im Fokus des Verfassungsschutzes. Unter den ihr zugerechneten 1755 Personen seien auch 490 Salafisten und Dschihadisten, wie Innensenator Andy Grote (SPD) und Landesamtsleiter Torsten Voß am Montag bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichts 2022 sagten. 82 Prozent der Islamisten seien gewaltorientiert. 2021 waren in Hamburg noch 1650 Islamisten gezählt worden.

Die Gefahr gehe im Wesentlichen von Einzelpersonen aus, sagte Grote. „Sie wissen, dass wir allein in den letzten anderthalb Jahren zwei islamistische Anschläge in Hamburg verhindern konnten.“ Deshalb würden die Strukturen des Landesamts in diesem Bereich weiter gestärkt. „Wir bauen hier ebenso wie im Bereich des Rechtsextremismus eine Sondereinheit zur Bekämpfung des Islamismus im Internet auf.“ Noch im Sommer soll die Einheit voll einsatzfähig sein.

Der neue Bericht wurde vor dem Hintergrund einer Klage des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH) gegen dessen Einstufung als extremistisch vorgestellt. „Wir bewerten das IZH seit vielen Jahren sehr klar als extremistisch, als ein Organ des theokratischen iranischen Regimes, ganz klar von dort gesteuert“, sagte Grote. Er zeigte sich zuversichtlich, dass diese Bewertung auch gerichtlich bestätigt werde.

Das IZH, das seit über 30 Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird, will vor dem Verwaltungsgericht Hamburg erreichen, dass es in den Berichten von 2018 und 2019 nicht mehr als islamistische Organisation und verlängerter Arm der iranischen Regierung in Europa bezeichnet werden darf. Mit einem Urteil wird in circa drei Wochen gerechnet.

Die größte Bedrohung für die Demokratie geht laut Grote aber weiterhin vom Rechtsextremismus aus, „auch wenn die Szene in Hamburg eher schwach ist“. Seit Jahren werden ihr in der Hansestadt 380 Personen zugerechnet, davon gelten 130 als gewaltorientiert. Die Zahl der Rechtsextremisten zugeordneten Straftaten sei mit 512 Fällen im vergangenen Jahr (2021: 542 Fälle) leicht gesunken, aber nach wie vor auf hohem Niveau.

Deutlich größer ist dem Bericht zufolge der Personenkreis in der linksextremen Szene. Hier sank die Zahl jedoch von 1240 im Jahr 2021 auf 1130 Personen im vergangenen Jahr. 75 Prozent davon gelten als gewaltorientierte Autonome, Anarchisten oder Antiimperialisten.

„Allerdings stellen wir fest, dass die linksextremistische Szene einen Strategiewandel vollzieht“, sagte Voß. Es würden weniger Straftaten auf Demonstrationen oder gegen staatliche Einrichtungen begangen. „Sondern sie konzentrieren sich auf persönliche Angriffe.“ Die Opfer sollten im privaten oder beruflichen Umfeld getroffen werden.

Auch mit Blick auf den Bund sei im Zusammenhang mit der jüngst in Dresden verurteilten Linksextremistin Lina E. festzustellen, dass es sich um kleine Personengruppen handelt, die in den Untergrund abtauchten, sagte Voß. „Wenn sich die Radikalisierungsspirale so weiterdreht, wie es gerade scheint, dann rückt der Moment sicherlich näher, dass man auch vom Linksextremismus in den Linksterrorismus kommen kann.“ Dieser Punkt sei aber noch nicht erreicht.

Unter der Überschrift „Verschwörungsideologischer Extremismus“ werden in Hamburg Reichsbürger und Selbstverwalter sowie Delegitimierer zusammengefasst. Während Letztere während der Corona-Pandemie auch in Hamburg noch mit Tausenden auf die Straße gegangen sind, habe sich ihre Aktivität zwischenzeitlich vor allem ins Internet verlagert. Dabei versuchten sie, den russischen Angriffskrieg und seine Folgen wie Energiekrise und Preissteigerungen für ihre Zwecke zu nutzen und die Legitimität der demokratischen Institutionen in Frage zu stellen, sagte Grote. Auch würden verstärkt pro-russische Narrative verbreitet.

Die russische Aggression wirke sich in Form von Cyberspionage und Cyberangriffen auch auf die Arbeit des Verfassungsschutzes aus. Die Zahl der Außenkontakte - bei denen Behörden und Firmen sich an das Landesamt gewandt haben - habe mit 369 einen neuen Höchststand erreicht. Der Verfassungsschutz sei „so stark wie nie zuvor gefordert, mögliche nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberattacken aufzudecken, zum Beispiel aus Russland“, sagte Grote.

Nach wie vor befinde man sich im Krisenmodus. „Die Bedrohungen für unsere Demokratie kommen dabei von mehreren Seiten“, sagte der Senator. „Die Herausforderungen für den Verfassungsschutz werden vielfältiger.“

Besorgt zeigte sich der Innenexperte der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Gladiator, darüber, „dass Hamburg nach wie vor das Zentrum der linksextremen Militanz ist“. Dies sei „absolut inakzeptabel und zeigt sehr deutlich, dass der Senat hier viel zu wenig tut.“

Für AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann sind Islamisten und Linksextremisten „eindeutig die größte Gefahr - was Personenpotenzial und Gewaltorientierung betrifft - für unsere Demokratie“. Als „gefährlich“ bezeichnete sein Vize Alexander Wolf die von ihm gesehene Entwicklung, „dass der Inlandsgeheimdienst Regierungskritiker als Demokratiefeinde brandmarkt“.

© dpa-infocom, dpa:230604-99-938403/5

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