Innere Sicherheit - Dresden:Behördenchef: Keine Entwarnung beim Extremismus in Sachsen

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Gordian Meyer-Plath, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen, beantwortet Fragen. Foto: Hendrik Schmidt/zb/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Dresden (dpa/sn) - Der sächsische Verfassungsschutz sieht in der zunehmenden Radikalisierung von Extremisten das größte Risiko für die Sicherheit im Freistaat. Prinzipiell gelte das für alle Formen von Extremismus, der Rechtsextremismus bleibe aber für Sachsen die wichtigste Herausforderung, sagte Gordian Meyer-Plath, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Dresden. "Einzeltäter radikalisieren sich so stark, dass sie zu Mördern werden. Das wurde beim Mordfall Lübke, aber auch beim Täter von Halle deutlich", erklärte Meyer-Plath. Solche Täter würden eine neue Herangehensweise der Sicherheitsbehörden erfordern: "Wir müssen unsere Instrumente und Methoden schärfen, damit wir Leute im Auge behalten, die so gut wie keine Kontakte zum organisierten Rechtsextremismus haben oder bei denen das schon lange zurückliegt." Meyer-Plath zufolge nimmt aber auch die Vernetzung untereinander und die Radikalisierung in sozialen Netzwerken zu: "Sie ersetzt teilweise die früher übliche rechtsextremistische "Vereinsmeierei" mit Kameradschaften und anderen Organisationsformen." Das alles könne man im Internet nun virtuell ausleben: "Man kann sich im Netz einer Gemeinschaft anschließen, ideologisch radikalisieren und sich zugleich rückversichern, mit anderen auf dem richtigen Weg zu sein." Eine weitere Tendenz sei eine wachsende Entgrenzung. Begriffe wie "Umvolkung" oder "Der große Austausch der Bevölkerung" seien früher ausschließlich von Rechtsextremisten verwendet worden. Inzwischen hätten sie Eingang in die Sprache von Parteien wie der AfD oder von Bewegungen wie Pegida gefunden, sagte der Präsident. Wenn Rechtsextremisten den Eindruck bekämen, dass solche Begriffe hoffähig sind, könnte sie das auch zu Straftaten ermutigen. "Viele der gewaltbereiten Rechtsextremisten wähnen sich in einem Bürgerkrieg oder kurz davor. Da spielen Endzeitfantasien eine Rolle", beschrieb der Präsident die Denkweise in dieser Szene: "Das System ist quasi morsch und steht kurz vor dem Zusammenbruch. Auf diesen Tag X wollen sich solche Extremisten vorbereiten - auch körperlich." Deshalb spiele der Kampfsport in diesen Kreisen eine große Rolle. Meyer-Plath ging auch auf die wachsende Gewalt von Linksextremisten ein, die sich in diesem Jahr unter anderem in einem körperlichen Angriff auf eine Prokuristin in Leipzig in ihrem privaten Wohnumfeld und in Anschlägen auf Baustellen manifestierte: "Da hat sich eine Szene weiter radikalisiert, die Straftaten überschreiten immer weiter Grenzen. Bislang galten die Angriffe politischen Gegnern von der NPD und AfD sowie der Polizei. Das ist eine neue Qualität, die uns als Sicherheitsbehörden herausfordert." Nach den Worten des Präsidenten sind Straftaten wie der Angriff auf die Prokuristin in der Szene aber nicht unumstritten. Es gebe relevante Akteure, die das für den politischen Kampf als nicht hilfreich erachten: "Auch in der linksextremen Szene gibt es eine Fülle ideologischer, aber auch strategisch-taktischer Differenzen, gerade auch bei der Frage, mit wem man sich verbündet und zu welchem Preis. Diese Szene agiert nicht geschlossen." Auch bei islamistischen Extremisten sieht der Verfassungsschutz keine Entwarnung, wenngleich Hinweise auf Anschlagsszenarien zuletzt seltener geworden sind: "Das ändert aber nichts an der gleichbleibend hohen, abstrakten Bedrohungslage." Man habe nach wie vor Protagonisten in Sachsen, die in Bürgerkriegsregionen gekämpft haben. Zugleich gebe es Flüchtlinge, denen die Integration bisher nicht gelang und die aus Enttäuschung darüber Halt bei der IS-Propaganda suchen: "Wir müssen viele Ressourcen aufwenden, um einen relativ kleinen Personenkreis im Auge zu behalten." Die Expansion des Islamismus durch die Muslimbruderschaft oder Salafisten habe aber nicht mehr die gleiche Dynamik wie zuvor, sagte Meyer-Plath. Es gelinge ihnen nicht, das muslimische Leben nachhaltig zu beeinflussen. Dennoch kämen jeden Freitag etwa 1000 Leute in die Moschee von Hassan Dabbagh in Leipzig. "Das sind keineswegs alles Anhänger der Salafisten oder der Muslimbrüderschaft. Vielleicht gehen Gläubige mangels Alternativen dorthin." Abschließend sprach sich Meyer-Plath für deutlich mehr Befugnisse der Behörden aus, um Extremisten frühzeitiger auf die Spur zu kommen: "Extremisten nutzen den technischen Fortschritt. Hier muss der Gesetzgeber Wege finden, damit dieser Wettlauf nicht einseitig entschieden wird." Die Nachrichtendienste in Deutschland seien da im internationalen Vergleich nicht auf der Höhe der Zeit, vor allem was die Harmonisierung der Befugnisse bei der Online-Durchsuchung von Computern und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung zur Kontrolle verschlüsselter Nachrichten anbelangt.

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