Indiens Opposition:Der lange Marsch gegen Modi

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Mallikarjun Kharge, der neue Vorsitzende der Kongresspartei in Indien, gehört den Dalits an, die man früher Unberührbare nannte. Sie machen gut ein Fünftel der Wählerschaft aus. (Foto: Sajjad Hussain/AFP)

70 Jahre lang dominierte die Gandhi-Dynastie die indische Kongresspartei, nun soll es einen Neuanfang geben - mit dem 80-jährigen Mallikarjun Kharge. Kann er Premierminister Narendra Modi gefährlich werden?

Von Arne Perras

Zu den großen Rätseln der indischen Politik zählt noch immer die Frage, ob Premier Narendra Modi bald mit einem ernst zu nehmenden Gegner rechnen muss, der ihm die Macht streitig macht. Gelegentlich ist die Rede von der kampfeslustigen Politikerin Mamata Banerjee, die in Westbengalen als Chief Minister regiert und vielleicht auf die nationale Bühne drängen könnte. Oder wird ein Herausforderer doch aus den Reihen der Kongresspartei kommen, die Indiens Politik so lange dominierte, bevor Modi mit seinen Hindu-Nationalisten triumphierte?

Historisch betrachtet ist der Indian National Congress (INC) noch immer jene Partei, die Indien am stärksten geprägt hat. Gegründet wurde sie 1885, sie trieb die Unabhängigkeitsbewegung voran und regierte viele Jahrzehnte lang das neue freie Indien mit einer säkularen Handschrift, bevor die Hindu-Nationalisten einen Rechtsruck in Indien begründeten und die Kongresspartei, verkrustet und orientierungslos, abstürzte.

Seit dem Sieg Modis 2014 sucht der INC einen Weg aus der Krise. Und dazu gehört, dass er nun auch einen neuen Chef ausgerufen hat. Das war ein besonderer Moment, weil dieser Anführer nicht mehr aus den Reihen des Nehru-Gandhi-Clans stammt. Die Familie zieht sich, formal betrachtet, aus der Führung der Partei zurück.

Aber so richtig kann sich das in Indien noch niemand vorstellen: eine Kongresspartei, die seit Jawaharlal Nehru und dessen Tochter Indira Gandhi von diesem Familienclan verkörpert wird - sie soll nun andere ans Steuer lassen? Der Politologe Satish Misra sagt am Telefon, dass jeder, der die Kongresspartei führen wolle, auf jeden Fall die Zustimmung der Familie brauche. "Anders kann das nicht sein, wenn eine Familie sieben Jahrzehnte lang eine Partei so stark dominiert, wie es der Nehru-Gandhi-Clan getan hat."

Jawaharlal Nehru (links) stand neben Mahatma Gandhi (rechts) an der Spitze der indischen Unabhängigkeitsbewegung, 1947 wurde er erster Premierminister des Landes. Das Amt bekleideten später auch seine Tochter Indira Gandhi und sein Enkel Rajiv Gandhi. Mit Mahatma Gandhi ist die Familie trotz des gleichen Nachnamens nicht verwandt. (Foto: STR/AFP)

"Es war eine strategische Entscheidung, Kharge an die Spitze zu heben"

Von mehr als 9000 Delegierten stimmte die überwältigende Mehrheit für den 80-jährigen Veteran Mallikarjun Kharge. Der andere Kandidat, Sashi Tharoor, konnte sich nur etwa 1000 Stimmen sichern. Der frühere hochrangige UN-Diplomat und Autor gilt zwar als "Liebling der Eliten", wie Analyst Misra sagt. Und er präsentierte sich als derjenige, der frischen Wind bringen könne. Aber entscheidend waren offenbar andere Faktoren: Zum einen kennt Kharge die Partei viel besser als Tharoor. Zum anderen - und das könnte noch sehr wichtig werden - stammt Kharge als Dalit aus einer der untersten Schichten der Gesellschaft.

Die Dalits, früher als Unberührbare bekannt, machen gut ein Fünftel der Wählerschaft aus. "Es war eine strategische Entscheidung, Kharge an die Spitze zu heben", sagt Misra. Einerseits soll er die Dalits wieder stärker an den Kongress binden. Andererseits traut man ihm offenbar zu, die Partei auf die Wahlen 2024 vorzubereiten.

Ob der Mann aus dem Bundesstaat Karnataka im Südwesten Indiens allerdings noch zu Modis großem Rivalen heranwachsen wird, ist offen. Manche halten das nicht für wahrscheinlich. Aber die indische Politik ist voller Überraschungen.

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Den jungen Gandhis - Rahul und Priyanka - wurde zuletzt weniger zugetraut, noch mal in herausragenden Rollen ins Rennen zu gehen. Rahul führte die Partei zwei Jahre und verlor 2019 deutlich gegen Modi. Daraufhin legte er den Vorsitz nieder, seine Mutter Sonia sprang ein, die Witwe des ermordeten Premiers Rajiv Gandhi.

Eine Weile ruhten die Hoffnungen auf Priyanka. Sie hat Charisma, manche fühlen sich an ihre Großmutter Indira erinnert, wenn sie auftritt. Allerdings hat sie auch einen Ehemann, der sich in Korruptionsskandale verstrickt hat. Bei Wahlen im Bundesstaat Uttar Pradesh enttäuschte Priyanka. Die Chancen, dass in absehbarer Zeit wieder ein Gandhi ganz vorne mitmischt, sind geschwunden.

Die Zeiten für Oppositionelle sind gar nicht schlecht

Kharge muss nun zeigen, dass er die inneren Zerwürfnisse in seiner Partei überbrücken kann. Wie weit er sich von der Familie freischwimmen will, ist nicht ganz klar. Einerseits soll mit dem Neubeginn ja das Dynastische in den Hintergrund treten, andererseits gilt als sicher, dass die Familie - die nicht mit Mahatma Gandhi verwandt ist - weiter starken Einfluss haben wird. Kharge sagte dem Indian Express, dass er nicht jede Entscheidung mit den Gandhis abstimmen, aber doch auch Rat und Orientierung bei ihnen suchen wolle. Nach einem revolutionären Aufbruch klang das nicht.

In Kreisen der Opposition ahnt man schon lange, dass Premier Modi und dessen Partei BJP nur dann auf nationaler Ebene zu schlagen sind, wenn eine geschlossene Front vieler Parteien gegen ihn antritt. Bleiben seine Gegner zerstritten, hat die gut geölte Parteimaschine der Hindu-Nationalisten ein leichtes Spiel. Modi könnte eine dritte Amtszeit antreten.

3500 Kilometer unterwegs auf der Suche nach den verlorenen Sympathien: Rahul Gandhi (auf den Abbildungen) führt den "Marsch zur Vereinigung Indiens" durch das Land, wie hier im Bundesstat Karnataka. (Foto: Manoj Kumar/REUTERS)

Kharge kommt damit eine Schlüsselrolle zu, er muss eine möglichst breite Plattform für die Modi-Gegner bereiten, soll die Opposition 2024 eine Chance auf die Macht haben.

Und Rahul Gandhi? Er ist nicht ganz von der Bühne verschwunden. Gerade führt er eine Tour quer durch Indien an, 3500 Kilometer auf seinem Bharat Jodo Yatra, dem "Marsch zur Vereinigung Indiens". Es ist der Versuch, an den Graswurzeln verlorene Sympathien gutzumachen und den Kongress aufzurichten. Die Zeiten für Oppositionelle sind gar nicht so schlecht, denn steigende Preise und die wachsende Arbeitslosigkeit schüren überall Frust - und der könnte selbst einem so gefestigten Premier wie Modi noch mal zu schaffen machen.

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