Indien:Der furchtlose Tiger von Champaran

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Ein Tiger in einem Nationalpark in Rajasthan, Indien. Zuletzt ist die Zahl der Tiere in dem Land auf etwa 3000 Exemplare gewachsen. (Foto: Andre and Anita Gilden/imago images)

Eigentlich sind die Tiere streng geschützt - nun haben Polizisten auf Elefanten eine Raubkatze gejagt. Sie soll neun Menschen getötet haben. Ist das indische Tigerschutzprogramm zu erfolgreich?

Von Arne Perras

Auf dem Rücken eines Elefanten reiten und Tiger jagen - das galt einst als Privileg indischer Herrscher und später auch als prestigeträchtiger Zeitvertreib britischer Imperialisten, die sich in Asien breitmachten. Noch im Jahr 1961 posierte das königliche Paar aus Buckingham Palace vor einem gestreiften Kadaver, als Prinz Philip in Jaipur auf Einladung des Maharadschas eine der seltenen Großkatzen erlegt hatte. Heute ist die Tigerjagd verboten, die Tiere sind streng geschützt, und doch machten sich gerade wieder Schützen auf dem Rücken von Elefanten auf, um eine dieser indischen Großkatzen aufzuspüren und zu töten.

Ein Rückfall in die Zeiten perverser Großwildjägerei? Im Falle des Tigers von Champaran - Artenschützern als T-104 bekannt - lagen die Dinge anders. Dieses Tier soll mindestens neun Menschen getötet haben, was gewöhnlich nicht der Natur dieser Katzen entspricht. Wo sie können, meiden und fürchten Tiger die Menschen, ihre klassischen Beutetiere sind Wildschweine und Hirsche. Aber die Zeiten, in denen es in Indien genügend Land gab, sodass sich Tiger und Menschen aus dem Weg gehen konnten, sind längst vorbei.

Für viele Katzen wird es eng, und das ist für beide Seiten manchmal lebensgefährlich. Früher stufte man als sogenannte "Menschenfresser" unter den Tigern vor allem alte oder kranke Tiere ein, die nicht mehr in der Lage waren, ihre klassischen Beutetiere zu jagen, weil die zu schnell und clever waren. So blieb diesen Katzen nur noch eine Wahl: Menschen. Denn die sind miserable Läufer und bekommen Gefahren immer erst mit, wenn es schon zu spät ist.

Der Tiger von Champaran allerdings war erst drei Jahre alt und zeigte, wie der zuständige Wildhüter Kumar Gupta erklärte, eine "völlige Furchtlosigkeit", wenn sich ihm Menschen näherten. Eher ungewöhnlich, aber eben nicht ausgeschlossen in all jenen Gebieten, wo Tiger und Menschen nebeneinander und miteinander leben.

27 Tage, 200 Helfer und fünf Schüsse brauchte es, um das Tier zu töten

Alle Versuche, das Tier zu betäuben und einzufangen, waren zunächst gescheitert. In den Dörfern der Region Champaran, einer der ärmsten Indiens, wuchs mit jedem weiteren Toten die Angst, die Bauern mussten trotz der Gefahr ihre Felder bestellen. Sich in der eigenen Hütte zu verstecken, war auf Dauer keine Option, erzählte der Bauer Ram Kisun Yadav der Zeitung Hindustan Times. Die Arbeit, die sie ernährt, macht sich ja nicht von alleine. Am 8. Oktober dann tötete der Tiger eine Mutter und ihren acht Jahre alten Sohn.

Die Anstrengungen, das Tier zu stellen, waren zu dieser Zeit längst in vollem Gange, es gab bereits die staatliche Anordnung, den Tiger zu töten. Aber es dauerte 27 Tage, bis sich die Schützen der Polizei endlich in die richtige Position bringen konnten. 200 Helfer waren dafür unterwegs, sie trommelten auf Kanister und lärmten, um den Tiger aus dem Wald und aus der Deckung zu treiben. Als dies schließlich gelungen war, tötete einer der Polizisten das Tier mit fünf Schüssen. Nun kann erst mal wieder Ruhe einkehren in die Dörfer, die am Rande des Schutzgebietes Valmiki im Bundesstaat Bihar liegen.

Zurück bleibt das große Paradox des indischen Tigerschutzprogrammes, das gewissermaßen Opfer seines eigenen Erfolges geworden ist. Drei Viertel aller Tiger weltweit leben inzwischen in Indien, und ihre Population in den dortigen Schutzgebieten vermehrt sich. Das zeigt, dass Indien weit besser gewappnet ist, Wilderei zu bekämpfen, als etwa Indonesien, das kaum in der Lage ist, die letzten Tiger auf der Insel Sumatra vor einer skrupellosen Mafia zu beschützen. Sie verkauft Körperteile der Katzen als Potenzmittel oder angebliche Medizin.

Im Jahr 1900 gab es noch 40 000 Tiger, die durch die indischen Wälder streiften

Indiens Tigerbestand ist im vergangenen Jahrzehnt wieder gewachsen, allein zwischen 2014 und der letzten Schätzung 2018 von 2226 auf knapp dreitausend Tiere. Allerdings weiß man auch, dass die Zahl der getöteten Tiere zuletzt leicht zugenommen hat, von 106 auf 127. Indiens Artenschützer warnen, dass die Lebensräume zu klein sind und dass deshalb die Konflikte zunehmen, vor allem, weil die Raubkatzen Vieh statt wild lebender Beute reißen.

Weil sich Siedlungen weiter ausdehnen und Straßen, Kanäle und Eisenbahnen das Land immer stärker durchschneiden, wird es kompliziert, Naturkorridore zu erhalten, in denen Wildtiere von einem Waldgebiet zum nächsten wandern können. Für Tiger sind diese Korridore lebenswichtig, gerade jetzt, wo immer häufiger junge Tiere gezwungen sind, sich neue Reviere zu suchen.

So dürfte es schwer werden, schon eine vergleichsweise kleine Population von mehr 3000 Tigern in Indien zu erhalten. Ohnehin ist sie, historisch betrachtet, nur ein Schatten früherer Bestände: Im Jahr 1900 gab es noch 40 000 Tiger, die durch die indischen Wälder streiften.

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