Auftakt im Terrorprozess:Der Attentäter ist müde

Lesezeit: 3 min

Bei dem Angriff im ICE waren drei Menschen schwer verletzt worden: Einsatzkräfte vor einer Gaststätte, in dem Bahnreisende aus dem Zug kurzzeitig untergebracht waren. (Foto: Angelika Warmuth/DPA)

Im Prozess um den Messerangriff auf Passagiere im Intercity geht es vor allem darum, ob der Angeklagte schuldfähig ist oder krank.

Von Annette Ramelsberger

Der Angeklagte hat drei Menschen im Intercity 928 von Passau nach Nürnberg schwer verletzt. Er hat unvermittelt, wie aus dem Nichts, auf dösende, schlafende, fliehende Männer eingestochen. Er hat ihnen sein Messer in den Kopf, den Hals, die Schulter gerammt. Nun, ein Jahr später, steht er vor Gericht. An seinem ersten Prozesstag vor dem Oberlandesgericht München, angeklagt des dreifachen Mordversuchs aus islamistischen Motiven, sagt er, er sei müde.

Der 28 Jahre alte Abdalrahman A. wird in Fußketten hereingeführt, umstellt von einem halben Dutzend Polizisten. Was er getan hat, steht fest. Was geklärt werden muss: ob er psychisch gestört und deswegen nicht schuldfähig ist. Oder ob er das nur vorspielt.

Vier psychiatrische Gutachter im Saal

Der Angeklagte legt schon nach den ersten Sätzen des Vorsitzenden Richters seinen Kopf auf den Tisch vor sich. So, als wenn er jetzt ein Schläfchen halten wollte. Das Gericht blickt irritiert. Er habe Medikamente bekommen, sagt er, die machten ihn müde. Gleich vier psychiatrische Gutachter sind im Saal, nun haben sie als erstes die Aufgabe, den Angeklagten zu untersuchen: Ob er wirklich so schläfrig sein kann, wie er sagt, ob er trotzdem der Verhandlung folgen kann.

Als sie nach einer halben Stunde zurückkommen, sagt der Psychiater Norbert Leygraf, kurz zusammengefasst: Der Mann spielt was vor. Fachlich korrekt sagt Leygraf: "Sein Verhalten ist keineswegs psychotisch bedingt, eher zielorientiert, eher eine Demonstration aktuellen Krankseins." Leygraf hat keine Hinweise, dass Abdalrahman A. nicht in der Lage wäre, an der Verhandlung teilzunehmen, auch seine Medikamente machten nicht müde. Und er berichtet dem Gericht, was er selbst im Saal beobachtet hat: "Er hat den Kopf auf den Tisch gelegt, hat uns dabei angesehen, er hat den Kopfhörer für den Dolmetscher im Ohr gehabt und zugehört."

Also geht es weiter. Bundesanwältin Silke Ritzert verliest die Anklage. Wie der Angeklagte völlig unauffällig im Zug saß und dann unvermittelt auf Männer einstach, die westlich aussahen, während er an "orientalisch aussehenden Passagieren" vorbei lief. Er habe "Ungläubige" töten wollen. Dann sagt sie, wie schwer die Menschen im ICE verletzt wurden, wie sehr sie noch immer darunter leiden. Einer der Angegriffenen erlitt neben Schädelfrakturen auch eine Hirnblutung.

"Der Angeklagte wollte sanktionslos davonkommen"

Der Angreifer setzte sich nach dem Attentat ruhig auf seinen Platz und ließ sich festnehmen. Den Polizisten sagte er, er sei krank und brauche Behandlung. Ritzert ist anderer Auffassung. Sie sagt: "Der Angeklagte wollte sanktionslos davonkommen." Deswegen habe er sich als krank bezeichnet. Seine Verteidiger Maximilian Bär und Martin Gelbricht sehen das naturgemäß anders.

Dann werden die Vernehmungen von Abdalrahman A. vorgespielt, die erste, am Tag nach der Tat: Ein vorläufiges Gutachten eines Psychologen ging damals davon aus, dass er eine schizophrene Psychose hat. Er aber sagt einen Tag nach der Tat bei der Vernehmung: "Ich habe keine der Krankheiten, die da stehen." Er kommt dennoch in die Psychiatrie.

Dort randaliert er. Und sagt bei seiner nächsten Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter im Dezember 2021, wieder als Video im Gerichtssaal vorgespielt: Er werde vom deutschen Staat psychisch gefoltert. Er sei bei einem Besuch bei seinen Eltern in Marl auf der Straße angespuckt worden.

"Und was hat das mit den Taten zu tun?", hört man den Ermittlungsrichter fragen. Einmal sei die Tür in seiner Unterkunft in Passau offen gestanden, man habe ihn verrückt machen wollen, sagt Abdalrahman A. "Ich sehe immer noch keinen Zusammenhang mit den Taten", entgegnet der Ermittlungsrichter. Seine Mitbewohner hätten ihn nachgeäfft und im Bezirksklinikum sei er nach der Tat psychisch gefoltert worden, sagt der Angeklagte dann noch. "Das alles hat dazu geführt, dass ich den Verstand verloren habe. Deswegen habe ich das im Zug getan."

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Da hört man den Ermittlungsrichter im Video von der Vernehmung hörbar genervt sagen: "Nichts, was Sie sagen, rechtfertigt oder entschuldigt die Tat, die Sie begangen haben. Sie sind nach Aktenlage mit einem Messer auf Menschen im Zug losgegangen. Selbstverständlich kommen Sie dafür ins Gefängnis. Da gibt es nichts herumzudiskutieren." Dann schickt er ihn nach Straubing, in die Justizvollzugsanstalt. Dort sitzt er noch jetzt in Untersuchungshaft.

Während die Videos im Gerichtssaal vorgeführt werden, hat Abdalrahman A. wieder den Kopf auf den Tisch gelegt. Der Vorsitzende Richter Jochen Bösl sagt: "Könnten Sie mir die Ehre erweisen und mich kurz anschauen. Ich würde Sie bitten, sich hinzusetzen und nicht mehr den Kopf auf den Tisch zu legen." Der Angeklagte sitzt dann für den Rest der Verhandlung aufrecht. An den nächsten Verhandlungstagen kommen seine Opfer.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKinderpornografie
:"Pervers ist es, was der Gesetzgeber da verlangt"

Es gab natürlich Applaus, als der Bundestag vor einem Jahr das Strafrecht gegen Kinderpornografie verschärfte. Das Ergebnis: Staatsanwälte müssen jetzt ermitteln, selbst wenn sie sehr genau wissen, dass sie immer häufiger auch die Falschen treffen.

Text: Annette Ramelsberger, Illustration: Stefan Dimitrov

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: