ICE-Attacke im November 2021:Angreifer wollte "wahllos nicht-muslimische Menschen" töten

Lesezeit: 3 Min.

Der ICE kam damals im Bahnhof Seubersdorf zwischen Regensburg und Nürnberg zum Stehen. Alle Fahrgäste wurden zur Betreuung in ein nahegelegenes Gasthaus gebracht. (Foto: dpa)

Abdalrahman A. hat auf einer Zugfahrt in Bayern drei Männer mit einem Messer angegriffen. Nun ist er zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Details aus dem Prozess.

Von Benedikt Warmbrunn

Am Ende setzte sich Abdalrahman A. in aller Ruhe hin. Ein Samstagmorgen im November 2021, die Fahrt des ICE 928 von Passau nach Nürnberg. In mehreren Wagen rannten Menschen schreiend herum. Ein verletztes Paar verbarrikadierte sich in der Zugtoilette. Ein Mann lag blutend am Boden. Abdalrahman A. aber setzte sich ganz ruhig auf Platz 11 in Wagen 5, Blut an den Händen, Blut auf der Kleidung, er trug nur noch einen Schuh. Auf diesem Platz hatte sich wenige Minuten zuvor noch einer der drei Männer gewehrt gegen Abdalrahman A., der ihn mit einem Messer attackiert hatte. Nun blieb A. selbst dort sitzen, bis die Polizei ihn festnahm.

Auch an diesem Freitag, mehr als 13 Monate später, bleibt Abdalrahman A. bis zum Ende ruhig sitzen. Mal verschränkt er die Arme, mal streicht er sich durch den Bart. Manchmal legt er den Kopf in seine Hände. Aber er wirkt dabei müde. Und nicht entsetzt über die Taten, für die er vor dem Oberlandesgericht München verurteilt wird. Und auch nicht über die Strafe: 14 Jahre Haft, unter anderem wegen dreifachen Mordversuches und gefährlicher Körperverletzung.

"Radikal-islamistische, dschihadistische Einstellung"

Drei Männer hatte Abdalrahman A. im November 2021 im ICE mit einem Messer attackiert, einen vierten verletzte er, als dieser zur Hilfe eilte. Immer wieder hatte A. zunächst wuchtig auf den Kopf der Männer eingestochen, bei seinem ersten Opfer von hinten. Sein drittes Opfer, Thomas W., lag nach mindestens zwölf Stichen blutend auf dem Boden, sein Schädel war gebrochen, er hatte eine Hirnblutung, dazu weitere Wunden an Brust und Bauch. Dass A. dann aufhörte mit seiner Attacke, sagt Richter Jochen Bösl am Freitag in seinem Urteil, habe daran gelegen, dass A. "unserer Überzeugung nach davon überzeugt war, dass der Herr W. so schwer verletzt war, dass diese Verletzungen zum Tode führen würden".

Nachdem er im Zug festgenommen worden war, sagte A., ein aus Syrien geflüchteter Palästinenser, der zuletzt in Passau gelebt hatte, er sei krank und brauche Hilfe. Vor Gericht hatte er erzählt, dass ein Dschinn in seinem linken Bein lebe, dass er von der Polizei verfolgt werde, dass ihn ganz Passau nachahmen würde, dass sich alle so anziehen würden wie er, dass er abgehört werde. An jenem Novembermorgen im Zug habe er wieder das Gefühl gehabt, dass ihn alle nachmachten - und dass das erste Opfer ihn angreifen wolle.

Kurz und knapp hatte Abdalrahman A. sich für seine Taten entschuldigt, eher nebenbei. Denn für alles, was im Zug passiert sei, sei allein sein Gehirn verantwortlich. Das Gericht aber sieht dies anders. Verantwortlich für die Messerattacken sei A.'s "radikal-islamistische, dschihadistische Einstellung".

Der Angeklagte (3.v.l.) steht vor seinen Anwälten im Verhandlungssaal. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Abdalrahman A. war zwar in kein islamistisches Netzwerk eingebunden, er hatte auch keine Unterstützer gehabt. Aber dass er "nicht bei einer friedlichen, strengen Religiosität" geblieben sei, sagt Richter Jochen Bösl, das sei "ganz klar".

Auf A.'s Handy hatten die Ermittler Dutzende Videos gefunden. Prediger und Angehörige des Islamischen Staats (IS) rufen darin zum Dschihad auf, teilweise auch dazu, "Ungläubige" zu töten. In einem Video ergeht die Aufforderung, "Ungläubige" mit dem Messer zu "schlachten". In Passau hatte A. regelmäßig eine Moschee besucht, die vom Verfassungsschutz als salafistisch eingeschätzt wurde. Und während des Prozesses hatten Zeugen berichtet, dass Abdalrahman A. andere dazu angehalten habe, sich an strenge Auslegungen des Islam zu halten.

Einer erzählte, dass A. darüber nachgedacht hatte, nach Syrien zurückzukehren, um sich gewaltbereiten Dschihadisten anzuschließen. Wann A. seine Tat geplant habe, sagt Richter Bösl, sei nicht klar geworden, es sei auch nicht auszuschließen, dass er sich spontan zu dieser entschlossen habe.

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Sicher aber ist für den Richter: Im Zug habe A. "wahllos nicht-muslimische Menschen" töten wollen, da er diesen "das Lebensrecht absprach". Da alle Verletzten weiße Männer waren, sagt Bösl: "Die Auswahl der Opfer und die Art und Weise der Ausführung passt zu einem dschihadistischen Anschlag."

All das, was A. aber vor Gericht sowie in den Gesprächen mit insgesamt sieben Psychiatern über seine vermeintliche Erkrankung erzählt, passt für Bösl nicht zusammen. In diesen Schilderungen findet er eine "ganze Reihe von Widersprüchen und Ungereimtheiten". Gegenüber den Psychiatern hatte A. zum Beispiel erzählt, dass er Stimmen höre, dass ihn diese beschimpften, dass ihm diese Befehle geben würden.

Vor Gericht sprach er jedoch überhaupt nicht mehr über diese Stimmen. Bösl sagt: "Er erzählt einmal dies und einmal jenes, wie es ihm gerade passt." All diese Erzählungen handeln zwar von Symptomen, die auf eine paranoide Schizophrenie hindeuten sollen, doch dabei, sagt Bösl, dürfe man A. "keinen Glauben schenken".

Sieben Psychiater und ein Psychologe hatten Abdalrahman A. untersucht. Richter Bösl sagt daher: "An Sachverstand hat's uns hier nicht gefehlt."

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