Am Samstag wollen sie in Hamburg wieder an Hongkong erinnern, trotz allem. "Stand with Hong Kong", lautet ihr Motto. "Der Hongkonger Kampf für Freiheit und Menschenrechte erreicht Hamburg!" Am Jungfernstieg werden in der Hansestadt lebende Hongkonger "auf den Konflikt zwischen China und Hongkong und die aktuellen Gefahren für Deutschland aufmerksam machen", so das Programm. Und weil bei ihrer letzten Demo erschreckende Dinge gemeldet wurden, schickt die Bewegung dies voraus: "Wir lassen uns unsere Rechte nicht nehmen - erst recht nicht in Deutschland!"
Am 17. August hatten die jungen Leute schon einmal demonstriert. Sie saßen vor dem Rathaus, mit Fotos und Plakaten. "Demokratie für Hongkong", stand darauf. Oder "No violence!", keine Gewalt. Oder "Together we fight", gemeinsam kämpfen wir.
Daheim in Hongkong werden Demonstranten von Polizisten und Schlägertrupps verprügelt, nebenan wartet die chinesische Armee. Es geht um den Sonderstatus der früheren britischen Kronkolonie. Am Freitagmorgen hat die Polizei Agnes Chow und Joshua Wong, zwei führende Gesichter der Bewegung, festgenommen. Sie seien kurz danach auf Kaution wieder freigelassen worden, teilte ihre regierungskritische Partei Demosisto mit. Einen für Samstag geplanten Massenprotest hat die Polizei verboten. Organisatoren der Civil Human Rights Front haben die Demonstration deswegen abgesagt. Man wolle potenzielle Teilnehmer nicht gefährden, erklärt das Protestbündnis.
Deutschland sollte für protestierende Hongkonger deutlich sicherer sein, doch Teilnehmer sind seit dem 17. August nachhaltig verstört. Eine Frau und ein Mann erzählen. Ihre Namen, ihr Alter und ihre Jobs behalten sie für sich, seit jenem Hamburger Nachmittag begleitet sie eine diffuse Angst. Da kamen Botschaften über die sozialen Netzwerke. "Ich hoffe, dass deine ganze Familie stirbt", habe einer geschrieben und sich als Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas ausgegeben. Bei ihrer angemeldeten Kundgebung in Hamburg scheinen plötzlich mehr regimetreue Chinesen als kritische Hongkonger aufgetaucht zu sein. Sie hätten provoziert und beleidigt, sie sangen die chinesische Hymne und breiteten eine große chinesische Flagge aus. Vor allem aber hätten die an dieser Stelle unangemeldeten Gegendemonstranten ständig gefilmt und fotografiert, gerne aus nächster Nähe, was nach Ansicht der Betroffenen eher nicht mit asiatischer Freude an Fotos und Videos zu erklären ist.
Sie würden die Aufnahmen im Internet verbreiten und an das chinesische Konsulat weiterleiten, hätten die Hongkonger von den Chinesen zu hören bekommen. Das darf als Drohung verstanden werden, denn wer auf solchen Bildern zu erkennen ist, der oder dessen Angehörige könnten in Hongkong Probleme bekommen. In den vergangenen Wochen haben die Behörden mehr als 900 Demonstranten in der Stadt festnehmen lassen. "Unsere Familien sind unsere größte Sorge", sagt eine Hamburger Hongkongerin. Zwar trugen die meisten von ihnen Mundschutz, als Erinnerung an das Tränengas der Hongkonger Polizei. Manche hatten sich auch demonstrativ das rechte Auge zugeklebt, in Hongkong waren mehrere Demonstranten von Gummigeschossen im Gesicht getroffen worden. Aber es wurde zwischendurch auch mal eine Maske abgenommen. Außerdem fürchtet ein Hamburger Hongkonger eine chinesische Gesichtserkennungssoftware.
"Ziemlich organisiert" kamen ihm die chinesischen Rivalen vor. Welcher Regie sie folgten und ob es mehr sein könnte als der Versuch, eine genehmigte Demonstration durcheinanderzubringen, ist schwer abzuschätzen. Ein Hamburger Jurist, der dabei war, bestätigt die Angaben der Hongkonger Gruppe. "Die Stimmung war extrem aggressiv", sagt er. "Da wird eine Drohkulisse aufgebaut", und zwar "relativ systematisch". Verabredet hat sich die Gegenseite nach seinen Informationen über WeChat, einen chinesischen Chat-Dienst.
Die Störungen sind denen in anderen Städten ähnlich, auch wenn es nicht so schlimm zuging wie zuletzt in Australien. Schauplatz waren dort vor allem die Universitäten, prochinesische Studenten griffen Demonstranten aus Hongkong und Australien an. Die Regierung in Canberra hat eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, um zu klären, inwieweit die Hochschulen des Landes von Kräften aus China unterwandert sind. In Kanada gab es ebenfalls prochinesische Provokationen.
Der deutsche Beobachter schätzt, dass es sich auch in Hamburg "um politisch gesteuerte Aktionen handelt". Er mag nicht akzeptieren, "dass im Namen einer fremden Diktatur der deutsche Rechtsstaat missachtet und hier friedliche, demokratische Versammlungen beeinträchtigt werden". Die Hamburger Polizei habe spät eingegriffen - nicht jedem Beamten dürften die möglichen chinesischen Repressionen in Hongkong bewusst sein.
Die Aktivisten von "Stand with HK" dagegen ahnen, wie lang Pekings Arm ist. Sie wissen auch um die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für Deutschland und die EU, besonders für eine Hafenstadt wie Hamburg. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher war gerade mit einer Delegation in Shanghai. Doch sie fordern von Deutschland Sanktionen gegen diejenigen, die Menschenrechte verletzt haben. Sie verlangen mehr Bewusstsein bei chinesischen Großinvestitionen und strategischen Unternehmenskäufen, mehr Einsatz für Hongkongs Demokratiebewegung und Asyl für Hongkonger Dissidenten.
Mit seinem Protest in Hamburg will "Stand with HK" weitermachen. Der Kampf um Demokratie und gegen Repressalien wie die Auslieferung nach Festlandchina sei "die letzte Schlacht", sagt eine Hamburger Hongkongerin. Der Dresscode für die Demo am Jungfernstieg: schwarzes T-Shirt, Mundschutz, Augenklappe. Die Hamburgerin aus Hongkong empfiehlt, die Masken auch zu tragen.