China und Hongkong:Der irrende Apparat

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Chinas Präsident Jinping zu Besuch am Jiayu-Pass in der Provinz Gansu. (Foto: dpa)

Die chinesische Führung um Präsident Xi Jinping agiert zunehmend irrational. Für den Handelskrieg mit den USA und den ökonomischen Wettstreit mit der EU ist das kein gutes Signal.

Kommentar von Christoph Giesen

Die Stadt ist im Ausnahmezustand: kaum ein Tag, an dem nicht in Hongkong demonstriert wird, an dem nicht der Geruch von Tränengas in der Luft hängt. Seit zweineinhalb Monaten geht das so, ein Ende ist nicht in Sicht. Die Proteste sind eine Schmach für Peking. Statt Ruhe und Stabilität, wie der Apparat es schätzt, Chaos und Unsicherheit - ausgelöst durch eigenes Unvermögen.

Am Anfang ging es um ein Auslieferungsgesetz, das Abschiebungen in die Volksrepublik ermöglichen sollte. Eine Verordnung, die man in chinesischen Ministerien zweifelsohne gut fand, aber nicht um jeden Preis durchsetzen wollte. Denn Peking braucht das Gesetz gar nicht. 2017 kidnappten Geheimdienstler einen sedierten, im Rollstuhl sitzenden Milliardär und schoben ihn über die Grenze. Und auch die Buchhändler, die Schmähwerke über die chinesische Elite an Touristen verkauften, wurden teilweise von Hongkong aus gen Norden gebracht.

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Zehntausende gehen erneut auf die Straße und fordern mehr Unabhängigkeit von China. Die Proteste verlaufen zunächst friedlich, mahnende Worte an beide Seiten kommen von der EU.

Chinas Behörden lagen gleich mehrfach daneben

Bemerkenswert schlecht war das Timing: Ausgerechnet eine Woche nach dem 30. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens sollte das Gesetz verabschiedet werden. Die Hongkonger Regierung lieferte so der Protestbewegung ein aktuelles Thema frei Haus. Erst gingen eine Million Hongkonger auf die Straße, dann zwei Millionen, und in Peking glaubte man: Das geht schon irgendwie vorbei. Noch ein Irrtum.

Wie konnten die Behörden gleich mehrfach so danebenliegen? Über keinen Ort außerhalb der Volksrepublik müsste die chinesische Führung besser informiert sein. Es gibt ein Liaisonbüro in der Stadt, die Volksbefreiungsarmee ist mit einer Garnison dort stationiert, auch die Geheimdienste und die amtliche Nachrichtenagentur sind da. Seit eh und je schreiben Xinhua-Korrespondenten zwei Berichte zu einem Thema. Einen für die Öffentlichkeit, da wird der "Sozialismus chinesischer Prägung" gepriesen und das "Xi-Jinping-Denken" gelobt. Deutlich nüchterner lesen sich die internen Vermerke: kein Gewäsch, nur die harten Fakten.

Keine guten Signale für den Handelskrieg mit den USA

Waren es am Ende zu viele Informationen aus zu vielen Quellen, die sich widersprochen haben? Vielleicht. Das größte Problem aber steckt im Apparat selbst, es ist die Furcht, eigene Entscheidungen zu treffen. Seitdem Xi Jinping an der Spitze der Volksrepublik steht, seitdem sein Name in die Parteiverfassung aufgenommen wurde und er sich de facto zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt hat, gibt es kaum noch jemanden, der es wagt zu widersprechen. So entstehen Fehlinterpretationen - und werden plötzlich zur Wahrheit. Es mehren sich die Anzeichen, dass die Führung inzwischen selbst an die Propaganda glaubt, die sie der eigenen Bevölkerung verabreicht: Eine Bande von Terroristen drangsaliert die Stadt, finanziert von ausländischen Mächten, die China schaden wollen. Abstruse Verschwörungstheorien statt kühler Überlegungen.

Für künftige, aber auch aktuelle Konflikte, wie etwa den Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten oder den ökonomische Wettstreit mit der Europäischen Union, sind das keine guten Signale. Wie soll eine Regierung, die bereits daran scheitert, die Stimmung vor der eigenen Haustür zu erkennen, einen twitternden Wankelmütigen in Washington deuten? Der Fall Hongkong zeigt, dass die Welt sich auf eine zunehmend irrational agierende chinesische Führung einstellen muss, die Geisel ihrer eigenen Analyseschwäche und der Alleinherrschaft Xi Jinpings ist.

© SZ vom 23.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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