Sie war da, als am Sonntag mehr als eine Million Hongkonger auf die Straßen gegangen sind, sie war da, als die Polizei mit Tränengas versuchte, den Protest zu ersticken, und sie war auch am Hongkonger Flughafen, vergangene Woche, als Demonstranten den Betrieb für zwei Tage lahmlegten. Sie stand in der Ankunftshalle und filmte den Protest für ihre mehr als 230 000 Follower bei Twitter: Denise Ho, 42, Sängerin, Aktivistin, ist eines der wenigen prominenten Gesichter der Hongkonger Demokratiebewegung, die sich ansonsten dadurch auszeichnet, gerade keine Anführer und Organisatoren zu haben.
"Be water", sei wie Wasser, so beschreiben sich die Demonstranten selbst. Und so charakterisierte der in Hongkong außerordentlich verehrte Kampfkünstler Bruce Lee einmal seine Kung-Fu-Technik: "Sei ohne Form, sei ohne Schatten, sei wie Wasser." Jeder einzelne ein winziger Tropfen, an sich unbedeutend, zusammen aber eine mächtige Welle, die alles überrollt. Auch Denise Ho ist nun einer dieser Tropfen, vielleicht der schillernste.
1977 in Hongkong geboren, zog sie als Elfjährige mit ihren Eltern nach Montreal. Die Familie war Teil der ersten Auswanderergeneration, denn zeitgleich verhandelte die britische Regierung mit der Führung in Peking über eine Rückgabe Hongkongs. Kanada war damals Zufluchtsort für viele Hongkonger. In den großen Städten gab es Chinatowns, vor allem aber bestand die Aussicht, rasch einen kanadischen Pass zu erhalten, die Lebensversicherung für all jene, die fürchteten, dass sich China Hongkong einverleibt.
Es war auch die Zeit, als der Cantopop entstand. Ein Crossover aus Rock, traditioneller chinesischer Musik und Pop, gesungen auf Kantonesisch, dem Hongkonger Dialekt - ein Erfolg überall in Asien. Im fernen Montreal hörte Denise Ho die Musik: "Das war meine Verbindung zu Hongkong, auch wenn ich weit weg war."
2012 outete sie sich als lesbisch, das kam in der prüden Volksrepublik nicht gut an
Mit 19 Jahren kehrte sie zurück, nahm an einem Talentwettbewerb teil, gewann und wurde bald zu einer der gefragtesten Cantopop-Sängerinnen, mit Tausenden Fans in China. Ganze Hallen füllte sie dort. Sie nahm sogar ein Album auf Hochchinesisch auf. Als sie sich 2012 als lesbisch outete, kam das in der prüden Volksrepublik nicht gut an, zur Persona non grata wurde sie jedoch erst zwei Jahre später.
2014 nahm sie an der Regenschirm-Revolution teil. Mit Studenten und Schülern besetzte sie Hauptverkehrsstraßen in der Hongkonger Innenstadt und forderte freie Wahlen. Prompt wurden ihre Plattenverträge gekündigt, ihre Lieder nicht mehr im Radio gespielt, sie darf seitdem nicht mehr in China auftreten. Auch in Hongkong wird es zunehmend schwerer für sie. 2016 sagte die französische Kosmetikmarke Lancôme ein Konzert mit ihr ab - auf Druck aus Peking. "Oft wird mir die Frage gestellt: Bereust du es, deine Stimme erhoben zu haben? Und die Antwort lautet natürlich nein", sagt Denise Ho.
Anfang Juli reiste sie unerschrocken nach Genf zur Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Eine Minute Redezeit bekam sie; sie hielt Peking vor, sich an Entführungen zu beteiligen, Aktivisten zu inhaftieren und das Wahlrecht einzuschränken. Zwei Mal wurde sie unterbrochen von der chinesischen Delegation - mit Anträgen zur Geschäftsordnung. Sie habe China verleumdet, beklagten sich die Pekinger Vertreter in Genf. Ausfallend und beleidigend sei sie gewesen.
Vielleicht sollten die Diplomaten einmal ins chinesische Internet schauen. In den sonst so streng zensierten sozialen Medien wird Denise Ho gejagt. "Sie ist so hässlich, sie nimmt wohl Drogen", schreibt jemand beim Kurznachrichtendienst Weibo. Ein anderer sekundiert: "Weil in China niemand ihre Songs hört, verdient sie kein Geld, also kann sie ihr Mutterland nur für ausländisches Geld verkaufen. Seht euch ihren Lebensstil an, halb Mensch, halb Geist, sie ist ein nutzloses Miststück." Denise Ho hat gelernt, damit zu leben.