Hinrichtung von Mary Surratt:Die Frau, die Lincolns Mörder half

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Mary Surratt (1823 - 1865) (Foto: Getty Images)

1865 starben in Washington vier Menschen am Galgen, weil sie in den Mord an US-Präsident Lincoln verstrickt waren. Erstmals wurde auch eine Frau exekutiert. Wer war Mary Surratt?

Von Martin Anetzberger

Washington D.C. am 9. April des Jahres 1865. Es wird Abend an diesem Palmsonntag. In der vom Bürgerkrieg verschonten Hauptstadt strömen viele Menschen durch die Straßen. Sie zünden Freudenfeuer an und feiern den Triumph, den Sieg des Nordens. Der Krieg der Amerikaner gegen Amerikaner ist entschieden, die Niederlage der Südstaaten besiegelt.

Mary Surratt bleibt in ihrer Pension in der H Street 541 und freut sich nicht. Das Haus steht dunkel, die Eigentümerin weint hemmungslos, nachdem an jenem Tag die konföderierte Nord-Virginia-Armee kapituliert hat. Dass die Menschen an einem katholischen Feiertag auf den Straßen tanzen, widert sie an.

Surratt gehört zu den Amerikanern, die im Bürgerkrieg auf der Seite des Südens gestanden haben. Also jener elf Bundesstaaten, die sich nach der Wahl des Republikaners Abraham Lincoln zum Präsidenten vom Rest der Vereinigten Staaten abgespaltet hatten.

Heirat mit 16

Fünf Tage nach der Kapitulation schießt John Wilkes Booth, ein berühmter Schauspieler und fanatischer Südstaaten-Anhänger, dem Präsidenten in seiner Loge im Washingtoner Ford's Theatre von hinten in den Kopf. Lincoln erliegt am nächsten Tag seinen Verletzungen. Booth flieht, erst nach Tagen spüren ihn Unionssoldaten in einer Scheune im US-Bundesstaat Virginia auf. Als der Attentäter sich gegen seine Gefangennahme wehrt, erschießen sie ihn.

Drei Monate später ist auch Mary Surratt tot. Von einem Militärtribunal wegen Hochverrats und Verschwörung verurteilt, stirbt sie am 7. Juli 1865 am Galgen, zusammen mit drei weiteren Komplizen. Sie ist die erste Frau, die von einer amerikanischen Bundesbehörde hingerichtet wird.

War Mary Surratt wirklich eine zentrale Figur des Mordkomplotts gegen den Präsidenten? Oder war sie lediglich eine Sympathisantin der Südstaaten, eine selbstlose Mutter, die ihren Sohn schützen wollte? Diese Fragen, die die amerikanische Historikerin Kate Clifford Larson in ihrem Buch The assassin's accomplice ("Die Komplizin des Attentäters") stellt, sind bis heute nicht zweifelsfrei beantwortet.

Lincoln-Mörder John Wilkes Booth (Foto: Reuters)

Zur Welt kam Mary Elizabeth Jenkins im Mai 1823 im US-Bundesstaat Maryland. Sie besuchte ein katholisches Mädcheninternat und konvertierte zum Katholizismus. Mit 16 heiratete sie John Surratt, gemeinsam unterhielten sie ein Wirtshaus in Maryland. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor.

Die Vereinigten Staaten von Amerika waren Mitte des 19. Jahrhunderts ein zerrissenes Land. Der von der Sklaverei abhängige, landwirtschaftlich geprägte Süden lehnte die Politik des Sklavereigegners Lincoln ab. Auch die Familie Surratt ließ Sklaven für sich arbeiten.

1861 begann der Bürgerkrieg, der vier Jahre dauerte und etwa 750 000 Menschen das Leben kostete. Das entsprach 2,5 Prozent der Bevölkerung. Im Zweiten Weltkrieg starben deutlich weniger Amerikaner.

Maryland, der Bundesstaat, in dem die Surratts lebten, blieb nach Lincolns Wahlsieg zwar bei der Union. Doch vor allem im südlichen Teil wimmelte es von Südstaaten-Sympathisanten, Rebellen und Spionen in Diensten der Konföderierten. John Surratt betrieb in dem Surrattsville genannten Anwesen eine Poststation, die die Konföderierten als Teil eines konspirativen Informationsnetzwerkes nutzten. Der Sohn John jr. war damals schon als Spion aktiv, lange bevor er den späteren Attentäter John Wilkes Booth traf.

Mary Surratts Mann versoff und verspielte sein Geld. Als er im August 1862 unerwartet starb, hinterließ er seiner Frau hohe Schulden. Als Witwe musste Mary Surratt für sich und ihre Kinder einen Weg finden, um zu überleben. Sie verpachtete Surrattsville und zog 1864 in ein von Johns Familie geerbtes Haus in Washington D.C., wo sie fortan eine Pension betrieb. Diese diente den Lincoln-Verschwörern später als Treffpunkt und Unterkunft. Mary Surratt wusste davon. Sie teilte die Ansichten der jungen Männer, die dort ein- und ausgingen.

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Kurz vor Weihnachten 1864 lernten Booth und John Surratt jr. sich kennen. Sie wurden einander von einem gemeinsamen Bekannten vorgestellt. Booth plante seit Herbst 1864, Lincoln nach Virginia zu verschleppen und ihn gegen südliche Kriegsgefangene auszutauschen. Er dachte, das würde der "schrumpfenden und erschöpften Konföderierten-Armee neues Leben einhauchen", schreibt Historikerin Clifford Larson.

Von da an hielt sich Booth oft in der Pension der Surratts auf, wo er viel Zeit mit Mary verbrachte. Zusammen mit John rekrutierte er jene Männer, die bei der Entführung des Präsidenten helfen sollten. Clifford Larson beschreibt Marys Rolle als die der fürsorglichen Ratgeberin, die die Männer emotional und organisatorisch unterstützte und ihnen obendrein eine sichere Unterkunft zur Verfügung stellte. Ihr Verhältnis zu Booth war sehr eng. Gerüchte über ein Liebesverhältnis der beiden lassen sich nicht belegen.

Booth ging schon fast das Geld aus - er hatte viel für Pferde, Waffen und die Versorgung seiner Helfer ausgegeben -, als sich eine günstige Gelegenheit zu ergeben schien. Lincoln wollte am 17. März 1865 einen Ausflug aufs Land unternehmen. Dabei wollten Booth und seine Leute ihn entführen, der ausgezeichnete Reiter John Surratt sollte die Kutsche des Präsidenten übernehmen.

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In Surrattsville, dem ehemaligen Zuhause von Mary und ihrem Ehemann, wollten die Verschwörer die Pferde wechseln und mit dem Präsidenten nach Virginia entkommen. Doch der Plan scheiterte: Lincoln entschied sich kurzfristig, in der Stadt zu bleiben. Booth sah sich gezwungen, einen neuen Plan zu fassen: die Ermordung des Präsidenten und seiner wichtigsten Minister.

Nach dem gescheiterten Kidnapping-Plan brach John Surratt als Kurier zu einer Mission auf. Es ist möglich, dass er nichts von Booths Attentatsplänen wusste, am 14. April hielt er sich dann auch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in Washington auf. Nach dem Attentat versteckte er sich in Kanada, später diente er sogar kurz als päpstlicher Soldat in Italien.

Wann Mary Surratt von Booths Mord-Vorhaben erfuhr, ist unklar. Vieles spricht dafür, dass sie eingeweiht war. Noch am Tag des Attentats suchte Booth sie auf, verschiedenen Quellen zufolge sogar bis zu drei Mal. Mary wusste außerdem, dass in Surrattsville Waffen gelagert waren. Sie sollten Booth und seinen Komplizen auf der Flucht helfen. Noch wenige Stunden vor dem Attentat reiste Mary dorthin, um ein Päckchen für Booth zu hinterlegen. Der Pächter belastete Mary später im Prozess: Er sei von ihr aufgefordert worden, die Waffen für die Nacht bereitzuhalten, sagte er.

Wenig später war Abraham Lincoln tot, sein Außenminister William H. Seward überlebte den Angriff des Mitverschwörers Lewis Powell schwer verletzt. Ursprünglich sollte auch Vizepräsident Andrew Johnson getötet werden, doch dazu kam es nicht.

Am Abend des 17. April wurde Mary Surratt in ihrer Pension verhaftet. Ihre Antworten beim Verhör zeigen eine "trotzige und arrogante Frau, die offensichtlich versucht, ihren Sohn, ihre Tochter, Booth und ebenso die anderen Verschwörer zu schützen", schreibt Historikerin Clifford Larson.

Hinrichtung der vier Mitverschwörer des Lincoln-Attentats (v.li) Mary Surratt, Lewis Powell, David Herold und George Atzerodt am 7. Juli 1865 (Foto: Quelle: Wikimedia commons)

Surratt gab zu, Booth gut zu kennen und verschwieg auch nicht die Freundschaft des Schauspielers mit ihrem Sohn. Allerdings habe Booth sich nie politisch geäußert. Clifford Larson zufolge spekulierte sie darauf, dass man ihr als Frau dem Zeitgeist entsprechend eine Beteiligung an einem so schweren Verbrechen nicht zutraute - ein fataler Irrtum. Tatsächlich spielte ihr Geschlecht eine nicht unerhebliche Rolle während des Gerichtsverfahrens.

Schon wenige Tage nach der Verhaftung stand fest, dass Mary Surratt und sieben andere mutmaßliche Mitverschwörer vor ein Militärtribunal gestellt würden, das ausschließlich aus Nordstaaten-Offizieren zusammengestellt war. Der Angriff auf Lincoln und Außenminister Seward stellte demnach einen Kriegsakt dar.

Mehrere Berater des neuen Präsidenten Andrew Johnson widersprachen dieser Argumentation, die bis heute umstritten ist. Doch vor allem Kriegsminister Edwin M. Stanton, ein enger Freund Lincolns, befürchtete, dass eine zivile Jury, zusammengesetzt aus Bürgern Washingtons und Marylands, mit den Angeklagten sympathisieren könnte. Er wollte Lincoln rächen und die geschockte Nation schnell beruhigen.

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Mary Surratt beteuerte bis zum Ende ihre Unschuld, doch sie lieferte ihren beiden engagierten aber äußerst ungeschickten Anwälten keine plausiblen Erklärungen für ihr Verhalten vor dem Attentat. Diesen blieb vor Gericht somit wenig Spielraum für ihre Verteidigung.

Ob Mary Surratt auch von einem Zivilgericht zum Tode verurteilt worden wäre, bleibt Spekulation. Clifford Larson weist darauf hin, dass zu dieser Zeit selbst Zivilgerichte nicht gerade "Horte der Fairness" waren. Auch dort durften sich Angeklagte nicht selbst zu den Vorwürfen äußern.

Die Presse mokierte sich über das Aussehen der Angeklagten

In der nördlich geprägten Presse wurde Surratt überwiegend vorverurteilt. Obwohl sie nur 1,63 Meter groß und von normaler Statur war, verunglimpften die Zeitungen sie als Amazone mit schwarzen Augen und kleinem Mund. Dass eine Frau - noch dazu im für damalige Verhältnisse hohen Alter von 42 Jahren Jahren - in den Mord an Lincoln verwickelt war, interpretierten die Zeitungen als Beweis für die charakterliche Verdorbenheit der Menschen im Süden.

Hinzu kam, dass die Union genug hatte von "durchtriebenen und verführerischen" Spioninnen, wie es Clifford Larson beschreibt, die das klassische Frauenbild konterkarierten und Soldaten der Nordstaaten vor erhebliche Probleme stellten. Die öffentliche Meinung war zu Surratts Ungunsten aufgepeitscht. Der Prozess dauerte nur vier Wochen und endete mit Todesurteilen für Surratt und drei Verschwörer.

Trauerzug für den ermordeten Präsidenten Abraham Lincoln in Philadelphia. (Foto: AP)

Trotzdem glaubten viele nicht, dass Mary Surratt tatsächlich hingerichtet werden würde. Obwohl von ihrer Schuld überzeugt, ersuchten fünf der neun Richter Präsident Johnson um Gnade, als Grund nannten sie Surratts Geschlecht und Alter. Doch Johnson weigerte sich und traf die möglicherweise treffendste Aussage über die Rolle Mary Surratts. Ihm wird das Zitat zugeschrieben: Sie "hütete das Nest, in dem das Ei ausgebrütet wurde."

Er lehnte auch den von den Verteidigern erwirkten Antrag eines Richters am Washingtoner Bezirksgericht ab, Surratt einem Zivilgericht vorzuführen. Nach ihrem Tod schlug die öffentliche Meinung um, weil die Hinrichtung einer Frau viele schockierte. Teilweise war sogar von Justizmord die Rede.

Eine Sicht, die die Historikerin Clifford Larson nicht teilt. Sie ist von Surratts Schuld überzeugt und glaubt, dass lediglich John seine Mutter möglicherweise hätte retten können, wenn er sich gestellt hätte. Sie resümiert: "Ihre standhafte Loyalität zu Booth, ihrem Sohn und den anderen Komplizen führte zwangsläufig zu ihrer Hinrichtung an diesem heißen Tag im Juli."

Knapp zwei Jahre später war ein Zivilgericht in Maryland nicht davon überzeugt, dass John Surratt an der Verschwörung zur Ermordung Abraham Lincolns beteiligt war. Er kam frei. Kurz zuvor hatte der amerikanische Oberste Gerichtshof entschieden, dass Zivilisten auch in Kriegszeiten nicht vor ein Militärgericht gestellt werden dürfen.

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