Demokratie:Kein Spiegelbild der Gesellschaft

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In den Rathäusern deutscher Großstädte sind Teile der Gesellschaft nur unzureichend repräsentiert. (Foto: Sebastian Gollnow/DPA)

Auf den politischen Posten in Großstädten fehlen Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Nichtakademiker. Das zeigt eine Studie.

Von Michael Schlegel, München

Die Gesellschaft in Städten wie, Stuttgart, Frankfurt oder Köln ist vielfältig. In der Kommunalpolitik spiegelt sich das aber nicht wider. Menschen mit Migrationshintergrund und Nichtakademiker sind dort stark unterrepräsentiert. Dazu kommt: In Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern besetzen Frauen deutlich weniger als die Hälfte der politischen Posten. Das zeigt eine Studie der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.

Fast 70 Prozent der Amts- und Mandatsträger in Großstädten haben einen Hochschulabschluss, während es in der Bevölkerung nur gut jeder Fünfte ist. Damit sind Nichtakademiker in Großstädten in etwa so schlecht vertreten wie im Bundestag und in den Landtagen. "Uns bekümmert die starke Akademisierung der Repräsentation", sagt Andreas Blätte, Politikwissenschaftler und Leitautor der Studie. Menschen ohne akademischen Abschluss müsse es zunehmend schwerfallen, sich in der Politik wiederzufinden, sagt Blätte.

Kaum Verbesserung in den vergangenen Jahren

Dabei zeigt die Forschung: Wenn Gruppen in der Politik besser repräsentiert sind, werden auch ihre Interessen eher berücksichtigt. Es ist also ein Problem für die Demokratie, wenn Politiker die Lebenswirklichkeit ihrer Wähler nicht nachvollziehen können.

Doch daran, wie häufig Nichtakademiker in der Politik großer Städte vertreten sind, verbesserte sich in den vergangenen Jahren kaum etwas. Im Gegenteil: Heute sind dort weniger Menschen ohne akademischen Abschluss in politischer Verantwortung als noch in den Neunzigerjahren. "Natürlich haben höher qualifizierte Personen mehr Ressourcen, um sich politisch einbringen zu können", sagt Blätte. Früher sei dieser Vorteil aber noch besser von Vereinen und Verbänden ausgeglichen worden. Dort organisierten sich Nichtakademiker noch mehr als heute und fanden so eine stärkere politische Stimme.

Teile der Bevölkerung sind in Großstädten auf politischer Ebene unterrepräsentiert. (Foto: SZ-Grafik/Heinrich-Boell-Stiftung; Statistisches Bundesamt)

Der Frauenanteil in der Großstadtpolitik stieg zwar stetig an, sie sind jedoch noch immer stark unterrepräsentiert. Frauen bekleiden in Großstädten insgesamt nur 39 Prozent der politischen Ämter und Mandate. Damit sind sie dort aber besser vertreten als im Bundestag (35 Prozent) und in den Landtagen (33 Prozent). Für Blätte gibt es eine Lösung, um mehr Frauen in politische Verantwortung zu bringen: "Quoten sorgen für eine bessere Repräsentation von Frauen", sagt er.

Für die Studie haben Andreas Blätte und sein Team Fragebögen zur Selbstauskunft an alle Kommunalpolitiker in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern geschickt. 5763 waren das an der Zahl. 2164 haben sich zurückgemeldet und Angaben zu ihrem Geschlecht, ihrem Bildungsstand und zu der Frage gemacht, ob sie einen Migrationshintergrund haben.

Angesiedelt ist das Projekt an der Universität Duisburg-Essen, wo Blätte Professor für Politikwissenschaft ist. Er forscht dort unter anderem zu Migration und Integration. Naheliegend also, dass seine Studie auch die Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund untersuchte. "Gerade hier haben wir eklatante Repräsentationslücken in den Städten", sagt Blätte. Zwar übernehmen immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund politische Verantwortung. Dennoch beträgt ihr Anteil auf politischen Posten in Großstädten nicht mal ein Fünftel. In den Landtagen (neun Prozent) und im Bundestag (elf Prozent) ergibt sich ein noch schlechteres Bild. Dabei haben fast ein Drittel der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund.

Teile der Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen

Die Lücke kommt aus Blättes Sicht auch daher, dass Menschen, die weder deutsche noch EU-Bürger sind, auf lokaler Ebene nicht wählen dürfen. Mehr als ein Zehntel der volljährigen Großstadtbevölkerung in Deutschland ist so vom Wahlrecht ausgeschlossen. Blätte sagt: "Wir brauchen eine breit angelegte Einbürgerungskampagne, um die Repräsentationslücke schließen zu können."

Wie mehr Nichtakademiker auf politische Posten gebracht werden können, weiß aber auch Blätte noch nicht. Er meint jedenfalls: "Es gibt zu wenig Aufmerksamkeit für die Repräsentation von Nichtakademikern."

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Blätte ist jedoch wichtig, beim Thema Repräsentation nicht nur auf einzelne Merkmale zu schauen: Frauen mit und ohne Migrationshintergrund seien zum Beispiel unterschiedlich gut vertreten. Möchte man die Repräsentation aller verbessern, muss man also das große Ganze im Blick behalten.

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