Im September 2017 sitzt Heinz-Christian Strache in einem Innsbrucker Wirtshaus und überlegt. Es ist Wahlkampf, nun soll der FPÖ-Chef sagen, wie er zu seinen Konkurrenten ums Kanzleramt stehe.
Der Konservative Sebastian Kurz wirke auf ihn "wie eine Hülle", sagt Strache, ihm sei der Sozialdemokrat Christian Kern sympathischer. Der Rechtspopulist gibt sich milde. "Mein Anspruch war immer, nicht zu trennen, sondern Brücken zu bauen", sagt er damals zur Süddeutschen Zeitung.
Etwa zwei Monate zuvor verbringt Strache den Abend in einer vermeintlichen Oligarchen-Villa auf Ibiza. Dort zeigt sich ein anderer Strache: Ein Politiker, der verächtlich über seine Rivalen redet, über Spitzenpolitiker von ÖVP und SPÖ. Dies belegen heimlich angefertigte Aufnahmen, die der SZ und dem Spiegel zugespielt worden sind.
Strache wünscht sich eine Rolle wie Orbán in Ungarn
Sie sind offenkundig das Resultat einer Falle, die dem heutigen Vizekanzler und seinem engen Parteifreund Johann Gudenus gestellt wurde. Die vermeintliche schwerreiche russische Gastgeberin ist offenkundig ein Lockvogel, das ganze Treffen eine Falle.
Die Aufnahmen des Treffens dokumentieren, wie Strache sich folgendes Szenario überlegt: Wenn man kompromittierendes Material aus dem Privatleben seiner politischen Rivalen beschaffen könnte und im Ausland lancieren würde, dann würde niemand wissen, dass die FPÖ dahinter steckt. Stattdessen, so Straches Hoffnung, würde als Rache von Sozialdemokraten und Konservativen nur weiteres Material über den jeweils anderen ans Licht gebracht werden.
Wörtlich sagt Strache: "Würde es uns gelingen, von einer Seite Fotos zu organisieren, die wir übers Ausland spielen, würde die andere Seite glauben, die andere war's und der atomare Krieg geht los. Es muss uns das Kunststück gelingen, eine Seite sichtbar zu machen, damit die andere losschlägt."
Strache äußert diese Idee, flüsternd, aber mit sehr gut verständlicher Stimme, in einem Moment, in dem er glaubt, nur seinen Vertrauten Johann Gudenus und dessen Ehefrau als Zuhörer um sich zu haben. Doch mehrere Kameras zeichnen alles auf.
Und die auf Ibiza entstandenen Videos dokumentieren weitaus mehr als den Hang zur üblen Nachrede des heutigen Vizekanzlers. Während des Treffens zeigt sich die Bereitschaft Straches und seines politischen Ziehsohns Gudenus, fragwürdige Deals einzugehen.
Der Abend im Juli 2017 veranschaulicht, was Strache bewegt, und wo er sich selbst sieht: ganz oben. Er wünscht sich nicht nur eine Rolle wie die von Viktor Orbán in Ungarn - also nur noch umgeben von kuschenden, willigen Medien.
Strache stilisiert sich aus als weltläufigen Mann, der bestens vernetzt ist und erklären kann, wie die Welt wirklich funktioniert. Bei etlichen Gläsern Wodka-Red-Bull und ungezählten Zigaretten erzählt er, dass für den laufenden Wahlkampf ein israelischer Berater engagiert worden sei, der bereits für Kremlchef Wladimir Putin, US-Präsident Donald Trump und die Brexit-Kampagne gearbeitet habe.
Strache meint zu wissen, wie man sein Geld am besten anlegt und wie der illegale Diamantenhandel der Russen abläuft. Und als potenzielle Nachfolger im Parteivorsitz nennt er seinen Stellvertreter Norbert Hofer - und den anwesenden Gudenus, nicht ohne hinzuzufügen, dass er eigentlich gedenke, die Partei noch die nächsten zwanzig Jahre zu führen.
Sein Publikum besteht an diesem Abend nicht aus potentiellen Wählern, sondern vor allem aus seiner russischen Gastgeberin, die er offensichtlich beeindrucken möchte. Entsprechend prahlt der FPÖ-Chef mit Kontakten zu Künstlern und Unternehmern - auch mit hohen Spenden, die seine Partei über verdeckte Wege bekommen solle.
Über mächtige chinesische KP-Funktionäre, die angeblich Kontakt zu ihm suchen, sagt er: "Die Hunde haben dicke Kohle." Munter plaudert Strache über den österreichischen Immobilien-Milliardär René Benko. Stolz erzählt er, dass er ihn unlängst auf seiner luxuriösen Yacht besucht habe: "Der Benko ist gerade da auf der Insel, ich war bei ihm am Schiff".
Für seine Anhänger inszeniert sich Strache gerne als Anführer einer neuen "Arbeiterpartei". Doch privat sucht er die Nähe der Reichen und Superreichen. Neben Benko erzählt er immer wieder von "Freunden", die berühmt sind und "die alle dicke Kohle" hätten - ihm fallen im Laufe des Gesprächs viele Namen ein. Kostspielig scheint auch sein eigener Lebensstil zu sein. Über ein Abendessen auf der Balearen-Insel sagt er: "So teuer war's ned - 1600 [Euro] für zwölf Leute".
Straches Bedürfnis nach Anerkennung ist Antrieb und Schwäche zugleich - es treibt ihn an, immer mehr zu wollen, führt aber auch zu maßloser Prahlerei. Aufgewachsen als einziges Kind einer alleinerziehenden Wienerin sucht der junge Heinz-Christian vor allem nach männlichen Vorbildern.
Strache wird mit 17 Jahren fündig in einer deutschnationalen Burschenschaft, über die er in die Neonazi-Szene gerät. In den neunziger Jahren steigt er in der FPÖ auf, ab 2005 führt er die Partei. Mit einem schrillen Dauerwahlkampf avanciert die Partei zur drittstärksten politischen Kraft in Österreich.
Maßgeblichen Anteil hat dabei Herbert Kickl, der als Generalsekretär Straches Sprüche erfindet, Kampagnen managt und ihm dabei hilft, unliebsame Parteifreunde zu verdrängen. Kickl, der inzwischen als Innenminister einen brachialen Kurs in der Ausländerpolitik fährt, gilt als "Hirn" des Vorsitzenden. Nach außen wird Strache als der blaue Star präsentiert. Alles hänge von ihm ab, die Partei sei auf ihn ausgerichtet, wie er 2017 auf Ibiza betont.
Lob und Tadel verteilt Strache nach Schwarz-Weiß-Muster: Manche Leute sind "geil" und "lässig", andere "Trottel". Einen besonderen Hass scheint er auf die freie Presse zu haben. "Journalisten sind sowieso die größten Huren auf dem Planeten", sagt er.
Nur einen nimmt er aus: Richard Schmitt, Chefredakteur der Online-Ausgabe der Kronen-Zeitung, ist für Strache einer "der besten Leute, die es gibt". Schmitt hatte bereits 2016 das symbiotische "Doppelspiel" mit dem FPÖ-Chef beschrieben: Straches Aufregerzitate geben dicke Schlagzeilen her und bedeuten eine Win-Win-Situation für beide Seiten.
Den Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz nennt der FPÖ-Chef zwar "lieb". Allerdings hält Strache wenig von dessen Medienunternehmungen, der Milliardär "versteht das Geschäft nicht".
"Kroatien ist eine Scheiße, eine Scheiße", sagt Strache
Manchmal widerspricht der große Strache nicht nur allen anderen, sondern auch sich selbst: Wenn er in der Villa auf Ibiza erst Österreichs Zukunft in Osteuropa verortet anstatt im dekadenten Westen, während die Menschen im Osten noch "normal" seien.
Und dann aber seine russische Gesprächspartnerin eindringlich davor warnt, in osteuropäischen Ländern zu investieren. "Kroatien ist eine Scheiße, eine Scheiße", sagt Strache, auch von Geldanlagen in Serbien rät er ab. Denn dort habe man österreichischen Freunden von ihm "die Firmen unter dem Arsch weg gezogen".
Typische rechtspopulistische Phrasen verwendet Strache an jenem Abend im Juli 2017, den der FPÖ-Chef auf Anfrage als "feucht-fröhlich" bezeichnet, selten. Zwar erwähnt er die angebliche Islamisierung Europas. Aber wichtiger scheinen ihm andere Dinge zu sein. Mehrmals raunt der FPÖ-Chef seinem Vertrauten Gudenus zu, wie attraktiv er die Gastgeberin finde: "Bist du deppert, die ist scharf."
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