Düsseldorf (dpa/lnw) - Die Gräben zwischen der schwarz-grünen Koalition und der Opposition in Nordrhein-Westfalen könnten derzeit kaum tiefer sein. In der mehrstündigen Generaldebatte zum Rekordhaushalt des Landes rechneten SPD, FDP und AfD am Mittwoch schonungslos mit CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst ab.
Das Angebot Wüsts, zur Bewältigung der großen Herausforderungen wie Migration, Kriegen und Energiewende eine demokratische „Allianz der Mitte“ zu bilden, konterte FDP-Fraktionschef Henning Höne mit kühlen Worten: „Voraussetzung für eine Allianz der Mitte ist, dass die Arroganz der Macht nicht im Wege steht, wie es bei dieser Koalition der Fall ist.“
Vergeblich warb Regierungschef Wüst: „In schwierigen Zeiten muss das Gemeinsame größer sein als das Trennende.“ Die meisten Menschen empfänden die aktuelle Situation als Dauerkrise. Es sei kein Wunder, dass „Krisenmodus“ das Wort des Jahres sei. SPD-Oppositionsführer Jochen Ott hielt Wüst vor: „Ersparen Sie uns Ihren Weihnachtskitsch über Zusammenhalt, Gemeinschaft und Plätzchen für Alleinerziehende.“ Vielmehr solle Wüst sich klar zur Erhörung von Mindestlohn und Bürgergeld bekennen. „Sie wähnen sich doch schon längst auf dem Weg in die Bundespolitik“, sagte Ott. Das Amt des Ministerpräsidenten sei für Wüst „nur eine Karrierestation, von der nichts in Erinnerung bleiben soll - außer Ihr Instagram-Account“.
Rekordhaushalt trotz Sparzwängen
Am Ende des Redemarathons verabschiedete der Landtag gegen die Stimmen der gesammelten Opposition mit der schwarz-grünen Regierungsmehrheit einen Rekordhaushalt von erstmals mehr als 100 Milliarden Euro für 2024. Mit einem Volumen von 102,1 Milliarden Euro ist der Etat 7,4 Milliarden Euro höher als der Haushalt 2023.
Oberste Priorität hätten für CDU und Grüne die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen, sagte Wüst. Deshalb werde da nicht gespart. Das Land fördere den Kitaplatz-Ausbau und führe das Alltagshelfer-Programm mit 140 Millionen Euro fort. Nachdem der Bund aus der Finanzierung der Sprach-Kitas ausgestiegen ist, sei das Land nun eingesprungen.
Allein für den Schwerpunkt Bildung sind mehr als 38 Milliarden Euro im Etat 2024 vorgesehen. Die Zinsausgaben des Landes steigen gegenüber 2023 um eine Milliarde auf 3,8 Milliarden Euro. Für Flüchtlinge sind etwa drei Milliarden Euro eingeplant.
Schuldenbremse wird eingehalten
Trotz der geplanten Rekordausgaben muss das Land an vielen Stellen sparen. Gründe sind die lahmende Konjunktur, steigende Zinsen und die um 150 Millionen Euro geringer als geplant ausfallenden Steuereinnahmen. Kürzungen im Sozialbereich werde es nicht geben, sagte Wüst.
Um einen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung hinzubekommen, will die schwarz-grüne Koalition 2024 mehr als 300 Millionen Euro aus dem Pensionsfonds entnehmen und erstmals auch 150 Millionen Euro vom landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB) abschöpfen.
Die Schuldenbremse soll 2024 wieder eingehalten werden, nachdem das Verbot der Nettoneuverschuldung auch in NRW mehrmals wegen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine ausgesetzt worden war. Zum 31. Dezember dieses Jahres ist auch Schluss mit dem kreditfinanzierten Sondervermögen in Höhe von fünf Milliarden Euro zur Bewältigung der Folgen des Ukraine-Krieges. „Wir sind sparsam - so wie viele Menschen in dieser Zeit sparsam sind“, sagte Wüst.
SPD will Reiche zur Kasse bitten
SPD-Fraktionschef Jochen Ott forderte zur Finanzierung von Bildungs- und Investitionskosten eine höhere Besteuerung von Reichen. Es müsse eine gemeinsame Bundesratsinitiative zur Reform der Erbschaftssteuer für Millionen- und Milliardenvermögen gestartet werden.
In NRW hätten im Oktober rund 22.000 Menschen für den Erhalt sozialer Infrastruktur wie Kitas und schulischen Ganztagsangeboten demonstriert. Es sei der größte Protest gegen eine Landesregierung in NRW seit Jahrzehnten gewesen. „Weil CDU und Grüne nicht bereit sind, Kitas und Ganztagsschulen ausreichend zu finanzieren“, sagte Ott.
Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer entgegnete Ott, Forderungen der SPD nach einem milliardenschweren Investitionspaket für Schulen, Kitas und Krankenhäuser seien wegen der Schuldenbremse nicht verfassungsfest. Und für eine Reform der Erbschaftssteuer gebe es auf Bundesebene aktuell gar keine Mehrheiten. „Das ist also eine Sackgasse.“
Wüsts „Wohlfühltermine“
FDP-Chef Henning Höne warf Finanzminister Marcus Optendrenk vor, ein „haushaltspolitischer Hütchenspieler“ zu sein. Den ausgeglichenen Haushalt schaffe Optendrenk nur durch „Tarnen, Tricksen, Täuschen“.
Die schwarz-grüne Energie- und Wirtschaftspolitik sei ein Angriff auf Arbeitsplätze und Wohlstand in NRW. CDU und Grüne hätten den Kohleausstieg in NRW um acht Jahre auf 2030 vorgezogen - ohne konkrete Idee zur Umsetzung. Nun solle der Bund es richten. Das sei „die Methode Wüst“, sagte Höne: „Sollen sich doch andere um die Folgen meiner Politik kümmern.“ NRW sacke wirtschaftlich ab, nur die Beliebtheitswerte des Ministerpräsidenten gingen nach oben, sagte der FDP-Chef. Wüst setze „voll auf Repräsentation und Wohlfühltermine“. Für ihn sei Föderalismus eine „jahrelange Kampagne für eine Kanzlerkandidatur“.
Auch AfD-Partei- und Fraktionschef Martin Vincentz sagte, der Haushalt im Land stehe wie der im Bund auf tönernen Füßen. Beide müssten „auf allerlei Tricks und Kniffe zurückgreifen, um irgendwie die schwarze Null zu erreichen“.
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