Haiti und die USA:Angst vor dem großen Helfer

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Lateinamerika pflegt ein zwiespältiges Verhältnis zu seinem Nachbarn USA. Haiti ist das beste Beispiel. Amerika behandelte den Inselstaat schon immer wie sein Protektorat.

Sebastian Schoepp

Die USA haben sich an die Spitze der Hilfe für Haiti gestellt, sie schicken Flugzeugträger, Nahrung, Wasser. Es sei die größte Hilfsaktion in der Geschichte des Landes, sagt Präsident Barack Obama. Und das muss so sein. Die Haitianer würden ohne diese große Nachbarschaftshilfe verhungern. Doch gibt es schon wieder Stimmen, die das verurteilen. Aus Venezuela mäkelt Präsident Hugo Chávez, es handele sich um eine Invasion, die USA wollten nur ihr Einflussgebiet ausdehnen. Kritik kommt auch aus Mexiko. Und in der Tat sind die amerikanischen Soldaten in Haiti zwar willkommen, aber lieben wird man sie nicht.

Haitianisches Mädchen und US-Soldat: Mehrmals besetzten die USA Haiti, um Machthaber je nach Gusto zu vertreiben oder zu installieren. (Foto: Foto: Reuters)

Aus der Sicht Haitis, ja ganz Lateinamerikas, beheben die USA hier nur ein Problem, das sie selbst mitverursacht haben. Seitdem Haiti 1804 als zweites Land auf dem Kontinent unabhängig wurde, hat der große Nachbar den Karibikstaat stets als Teil seiner Sphäre betrachtet - wie im Grunde alles, was südlich von Rio Grande und Key Largo liegt. Mehrmals besetzten die USA Haiti, um Machthaber zu vertreiben oder zu installieren, je nach Gusto der jeweiligen Washingtoner Regierung.

"Wir pflegen unsere Wunden, wie sie ihre Erfindungen"

Ein Beispiel ist Jean-Bertrand Aristide. Nachdem 1994 der gewählte Präsident vom Militär abgesetzt worden war und der Mob in Haiti tobte, schickte Bill Clinton US-Soldaten, um ihn wieder einzusetzen. Zehn Jahre später waren es wiederum die USA, die zum Sturz Aristides beitrugen. Wieder lautete die Begründung, in Port-au-Prince regiere der Mob.

Das Problem ist, dass die USA die Kriterien für ihre Einflussnahme stets alleine festlegen. Diese Gründe sind mal imperialistische, mal patriarchalische, mal humanitäre. Doch fast immer wird - auch zur Absicherung vor den Isolationisten im eigenen Land - die Begründung mitgeliefert, amerikanische Interessen müssten geschützt werden. In Haiti, Ecuador oder Mexiko werden die USA deshalb mit Furcht betrachtet, selbst wenn sie Geschenke bringen, Essen liefern, Brunnen bauen oder den Regenwald schützen.

Dem Argwohn liegt auch ein gegenseitiges kulturelles Unverständnis zugrunde. Nordamerika funktioniert nach dem Prinzip des Handelns: Wo Probleme entstehen, müssen sie behoben werden, und zwar sofort. Im südlichen Teil des Kontinents, wo die Natur zügelloser herrscht, fügt man sich leichter in das scheinbar Unabwendbare mit Fatalismus und Verdrängung. Der mexikanische Nobelpreisträger Octavio Paz schrieb: "Die Welt, die uns umgibt, führt ein Eigenleben, sie ist nicht, wie im Fall der USA, von Menschen gemacht. Wir pflegen unsere Wunden, wie sie ihre Erfindungen. Für sie ist die Welt etwas, das man verbessern kann. Für uns etwas, das erlöst werden muss."

Siegen, aber nicht tanzen

Der Sieg der USA, so Paz, sei ein Sieg der Prinzipien über die Instinkte. Mit Prinzipien jedoch kann man alles erobern - außer den Herzen. Das merkten die GIs, die in den 60er Jahren die Dominikanische Republik besetzten und einen Bürgerkrieg beendeten. Sie wurden Pariguachos genannt, Partywatcher. Leute, die beim Feiern am Rand stehen, die siegen, aber nicht tanzen können.

Nicht ganz zufällig entwickelte sich Lateinamerika am besten in Zeiten, in denen sich Washington abwandte. George W. Bush hatte kein Interesse an dieser Welt. Er orientierte sich anderswohin. Nach Haiti schickte er Lebensmittel, die Aufrechterhaltung der Ordnung aber überließ er nach Aristides Sturz brasilianischen Blauhelmen. Im Windschatten von Bushs Kriegen im Nahen Osten emanzipierte sich Lateinamerika, urteilte seine Diktatoren ab und stabilisierte seine Demokratien.

Gescheitert ist dies dort, wo die Einflussnahme in der Vergangenheit besonders stark gewesen war: in Nicaragua, Honduras, Kuba - und Haiti. Das Land konnte sich schon vor dem Beben von dieser Last nicht mehr selbst befreien. Die Frage, ob es nun eine Art Protektorat der USA, der UN oder von wem auch immer werden soll, ist obsolet. Es ist bereits eines und wird es bleiben.

© SZ vom 20.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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