Die Grünen haben ein sehr gutes Gespür dafür, Debatten zur Unzeit zu beginnen. Eine Woche vor der Wahl in Sachsen und drei Wochen vor den Wahlen in Brandenburg und Thüringen ist die Gelegenheit also wieder günstig. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt wärmt das Thema Ehegattensplitting wieder auf. Allerdings nicht im Sinne der grünen Programmlinie. Zum Entsetzen ihrer Parteifreunde verriet sie am Wochenende der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: Sie wolle das Ehegattensplitting zunächst beibehalten.
"Dass wir in der Steuerpolitik so viele Reformvorhaben aufeinandergetürmt haben, war ein Fehler", sagte sie da. Es sei falsch gewesen, dass die Grünen das Ehegattensplitting streichen wollten. Es "einfach abzuschaffen, würde am Ende viele treffen, die Kinder haben", sagte sie. "Dass man Familien mit Kindern etwas weggenommen hätte, war unbedacht. Erst einmal egal, in welchem Einkommensbereich."
Woran Göring-Eckardt da rüttelt, gehört zu den Grundfesten grüner Familien- und Steuerpolitik. Die Grünen sind spätestens seit 2006 dafür, das Splitting abzuschaffen. Im Wahlkampf 2013 war es eines ihrer zentralen steuerpolitischen Versprechen.
Das Steuerkonzept ging daneben
Die Wahl aber ging für die Grünen gründlich daneben. Statt 15 bis 18 Prozent zu holen und auf der Regierungsbank zu sitzen, wie es der Plan war, landeten sie mit 8,4 Prozent als kleinste Partei in der Opposition. Verantwortlich dafür sind nach Überzeugung einiger Grüner - neben der Pädophilie-Debatte und der Verbots-Partei-Kampagne von Union und FDP - die steuerpolitischen Vorschläge.
Steuern für Reiche rauf und für weniger Betuchte runter. Ehegattensplitting: abschaffen. Das waren die Kernforderungen. Diese gestalteten die Grünen aber derart komplex aus, dass selbst einige ihrer Spitzenpolitiker zuweilen ins Straucheln gerieten, wenn sie das Konzept erklären sollten. Und vor allem, wenn es darum ging, wer denn nun eigentlich wie von den Plänen betroffen sei. Das war zu komplex, jedenfalls zu komplex für einen Wahlkampf. Darin sind sich die meisten Grünen einig.
Den einen Teil der Analyse von Göring-Eckardt in der FAS würden viele Grüne also sicher unterschreiben: Dass die Partei nämlich ihre Wähler überfordert hat mit dem verworrenen Steuerkonzept.
Geballte Abneigung für Göring-Eckardt
Über den anderen Teil aber ist ein heftiger Streit entbrannt. Sven Lehmann, Landeschef der NRW-Grünen, erklärt, jedes dritte Kind wachse in einer Familie ohne Trauschein auf. "Diese Familien und Alleinerziehende werden durch das Splitting steuerlich schlechter behandelt, während Ehen ohne Kinder milliardenschwer subventioniert werden", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Das ist zutiefst ungerecht und entspricht nicht einer modernen Familienförderung."
Auf Twitter erlebt Göring-Eckardt gerade die geballte Ablehnung ihrer Parteifreunde. Der Chef der Grünen-Jugend, Felix Banaszak, findet, Göring-Eckardt vollziehe einen "Kniefall vor den Beharrungskräften des Patriarchats". Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sozialpolitiker der Grünen im Bundestag, hält fest: "Das Ehegattensplitting war und ist falsch."
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Ihre Amtsvorgängerin Renate Künast verlinkt süffisant einen Text des "Juristinnenbundes", in dem die "5 Irrtümer über das Ehegattensplittings" aufgelistet werden. Als wenn Göring-Eckardt Nachhilfe bräuchte.
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Die steuerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Lisa Paus, twitterte: "Das #Ehegattensplitting gehört abgeschafft. Familienförderung für alle Familien, nicht nur für Minderheit!"
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Die in Thüringen wahlkämpfende Landtagsvizepräsidentin Astrid Rothe-Beinlich widerspricht Göring-Eckardt ebenfalls auf Twitter: "Es ist nicht gerecht wenn der Staat den Trauschein steuerlich subventioniert statt das Leben mit Kindern zu unterstützen."
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Etwas moderater klingt die stellvertretende Fraktionschefin Katja Dörner: "Das Ehegatten-Splitting ist kein Modell für die Zukunft", sagt sie zu Süddeutsche.de. Die Abschaffung dürfe aber auch "nicht zu Lasten der Familien gehen." Und weiter: "Wir müssen weg von der Subventionierung des Trauscheins, die unverheirateten Eltern und Alleinerziehenden gar nichts bringt. Stattdessen müssen wir alle Kinder direkt und deutlich besser fördern".
Gründe gegen das Ehegattensplitting gibt es genug, zum Beispiel zementiert es das Modell der Hausfrauenehe. Am größten ist der Steuervorteil, wenn einer der Ehepartner viel und der andere gar nichts verdient, also zu Hause bleibt. In den meisten Fällen ist das die Frau.
Paare ohne Kinder genießen den Steuervorteil zudem allein, weil sie ein verheiratetes Paar sind. Dabei haben sie ohnehin in der Regel schon deshalb mehr Geld in der Tasche als Paare mit Kindern, weil ihre Wohnung kleiner ist und das Auto in der Regel auch. Ganz zu schweigen vom für Eltern teuren Familien-Kinobesuch, dem Essen im Restaurant, den vielen Klamotten, die die süßen Kleinen im Laufe ihres jungen Lebens verschleißen oder aus denen sie einfach herauswachsen. Das Kindergeld fängt die Mehrausgaben nur teilweise auf. Steuerberater müssten Paaren im Grunde dringend empfehlen, zwar zu heiraten, aber auf Kinder zu verzichten.
Ungerecht aber ist vor allem, dass Paare mit Kindern, die nicht heiraten wollen, erheblich schlechter gestellt sind. Denen bleiben nur das Kindergeld und der Kinderfreibetrag. An die dicken Trauben des Ehegattensplittings kommen sie nicht heran.
Eine überzeugende Alternative fehlt
Unterschätzt haben die Grünen im Wahlkampf allerdings, dass sie damit den großen Steuervorteil verheirateter Paar auf Dauer beerdigen wollten - ohne eine überzeugende und leicht verständliche Alternative zu präsentieren.
Sicher, im Wahlprogramm stand dazu schon etwas. Anstelle des Splittings sollte eine Kindergrundsicherung treten. Die sollte allen Familien zugute kommen, ob mit oder ohne Trauschein. Für diese Kindergrundsicherung sollten einige andere Leistungen abgeschafft werden. Neben dem Ehegattensplitting auch das Kindergeld und die Kinderfreibeträge. Die Grundsicherung sollte so hoch sein, dass kein Kind mehr auf Hartz IV angewiesen wäre.
Viele Ehepaare hatten dennoch einfach Angst, dass die Grünen ihnen den Splittingvorteil ersatzlos wegnehmen wollten, egal, ob sie Kinder haben oder nicht. Auch Katrin Göring-Eckardt sieht das, so kann man das Interview in der FAS deuten, heute als Hauptproblem.
Göring-Eckardt hat sich noch am Sonntag via Twitter an einer Erklärung versucht: "Noch mal zu #Ehegattensplitting. Ich will, dass es #Wahlfreiheit u #Ausgleich Förderung f Kinder gibt. Da waren wir noch nicht überzeugend", schrieb sie da.
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Diese etwas kryptische Einlassung dürfte allerdings ebenso überzeugend und verständlich sein, wie der Ehegattensplitting-Wahlkampf 2013.