Grüne nach den Landtagswahlen:Mehr als ein One-Hit-Wonder

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Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl in Thüringen, Anja Siegesmund (Mitte) und die Grünen-Bundesvorsitzende Katrin Göring-Eckardt (rechts daneben) feiern in Erfurt die Ergebnisse für die Landtagswahl 2014 (Foto: dpa)

Die Grünen bejubeln Ergebnisse von sechs Prozent im Osten wie absolute Mehrheiten. Ja, spinnen die? Nein. Denn anders als die AfD haben die Grünen inzwischen etwas sehr Wichtiges erreicht: eine stabile Wählerbasis im Osten. Und in Thüringen wartet schon der nächste große Schritt.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Da holt eine Partei wie die AfD auf Anhieb jeweils um die zehn Prozent in drei Landtagswahlen nacheinander. Die Grünen feiern gleichzeitig mickrige Ergebnisse von unter und knapp über sechs Prozent - als hätten sie gerade die absolute Mehrheit geholt.

Ja, spinnen die jetzt?

Mitnichten. Manchmal können 5,7 Prozent nämlich wichtiger sein als zehn. Das eine scheint Ergebnis einer langfristigen Aufbauarbeit zu sein. Das andere ist bisher nur eine Momentaufnahme. Die Grünen haben sich - wenn auch auf niedrigem Niveau - im ostdeutschen Parteiensystem etabliert. Die AfD dagegen muss erst noch beweisen, dass sie mehr ist als ein One-Hit-Wonder.

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:Ignorieren oder akzeptieren - wie sollten die etablierten Parteien mit der AfD umgehen?

Mit mehr als 10 Prozent der Stimmen in den aktuellen Landtagswahlen bringt sich die AfD als neueste Dagegen-Partei ins Gespräch. Reden wollen die etablierten Parteien nicht unbedingt mit ihr.

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Beispiel Thüringen. 1990 erreichte ein Bündnis aus Grünen, "Neues Forum" und "Demokratie Jetzt" bei der ersten Landtagswahl nach der Wende 6,5 Prozent. Es folgte eine Enttäuschung nach der anderen. Auch wenn die Ergebnisse stetig besser wurden, an der Fünf-Prozent-Hürde war jedes Mal Schluss.

Erst 2009 zogen die Grünen wieder ins Parlament ein, mit 6,2 Prozent. Am vergangenen Sonntag schafften sie zum ersten Mal seit 1990, sich im Landesparlament zu halten. Und das, obwohl es im Wahlkampf fast ausschließlich wahlweise um die AfD oder das Duell Christine Lieberknecht (CDU) gegen Bodo Ramelow (Linke) ging.

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:Der Erfolg der AfD

Das Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg wird auf SZ.de kontrovers diskutiert.

Gereicht hat es dennoch. Offenbar haben die Grünen über die Jahre eine zwar kleine, aber durchaus treue Wählerschaft an sich binden können.

Ähnlich in Brandenburg: 1990 drin, bis 2009 draußen. Jetzt der zweite Einzug ins Parlament in Folge.

Genauso in Sachsen, nur dass der Durchbruch hier schon 2004 gelang.

Grüne Themen waren im Osten nicht gefragt

Der Osten ist für die Grünen ein schwieriges Terrain. Manchmal waren die Grünen mit deutlich unter zwei Prozent kaum noch wahrnehmbar.

Grüne Themen waren in den meisten Ostländern lange Zeit nicht gefragt. Die wirtschaftliche Not, die hohe Arbeitslosigkeit haben sie überdeckt. Niemand interessiert sich für die Belange des Laubfrosches, wenn er nicht weiß, ob er morgen noch seinen Job hat oder je wieder einen bekommt. Mit dem wirtschaftlichen Wachstum in diesen Ländern entstand auch eine neue Gruppe von gut verdienenden und gebildeten Wählern. Die Grünen haben einen Teil von ihnen offenbar erfolgreich und jetzt sogar wiederholt für sich gewinnen können.

Es ist das Ergebnis vieler Jahre der Aufbauarbeit. Allerdings mit anhaltend wenigen Mitgliedern. Unter den fünf neuen Bundesländern hat die Partei nur in Sachsen mehr als 1000 Mitglieder. Das macht es schwer, in der Fläche präsent zu sein. Die Grünen holen ihre besten Ergebnisse auch deshalb fast ausschließlich in den Städten. Umso erstaunlicher, dass die Partei immer noch in Landtagen vertreten ist.

Auch Neuland für die ostdeutschen Grünen: mitzuregieren. Bisher haben die Grünen im Osten nur dreimal an den Schalthebeln der Macht gesessen. Ab 1990 in Brandenburg in einer Ampelkoalition mit SPD und FDP. Ab 1994 in Sachsen-Anhalt in einer von den Linken tolerierten Minderheitsregierung mit der SPD. Und ab Mitte 2001 für knapp ein halbes Jahr in Berlin in einer von der Linken tolerierten Übergangsregierung.

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:Rot-rot-grün in Thüringen - trauen Sie der Linken Regierungsverantwortung zu?

Eigentlich wollte die Linke in Thüringen mit Bodo Ramelow den ersten eigenen Ministerpräsidenten stellen. Rein rechnerisch könnte sie das auch. Doch der Erfolg der AfD bremst die Linke. Muss sich die Partei nun neu orientieren, oder sollte sie weiter nach der Regierung streben?

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Gleich zwei Optionen in Thüringen

In Thüringen haben sie jetzt gleich zwei Optionen: Mit SPD und Linken erstmals die Vorherrschaft der CDU zu brechen. Oder für eine stabile Mehrheit der bisherigen Koalition von CDU und SPD zu sorgen.

Die Grünen setzen jetzt alles auf ein Linksbündnis mit Bodo Ramelow an der Spitze. Für die Sondierungsgespräche haben sie die erfahrene Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, mit ins Boot geholt. Der Haken: Ein Linksbündnis hätte nur eine Stimme Mehrheit.

Mit der CDU wollen sie zwar auch reden, aber nur um nicht den Eindruck zu erwecken, sie würden sich verweigern. Dabei könnte das für die Grünen eine spannende Konstellation sein. Lieberknecht hätte zwar mit der SPD eine Stimme Mehrheit. Aber eine Abgeordnete in ihren eigenen Reihen hat noch eine Rechnung mit Lieberknecht offen: die frühere Chefin der Staatskanzlei, Marion Walsmann. Lieberknecht hat Walsmann Ende 2013 rausgeschmissen. Illoyalität soll der Grund gewesen sein.

Walsmann hatte sich in der Affäre um die Versorgung des früheren Regierungssprechers Peter Zimmermann gegen Lieberknecht gestellt. Als es um die Listenaufstellung für die Landtagswahl ging, wurde dafür gesorgt, dass sich Walsmann auf dem aussichtslosen Listenplatz 21 wiederfand.

Womit Lieberknecht wohl nicht unbedingt gerechnet hat: Walsmann gewann ihren Wahlkreis knapp gegen Lieberknechts Herausforderer Bodo Ramelow. Und dass an Walsmanns Stimme jetzt alles hängt. Mit den Grünen im Boot würde Lieberknecht das Risiko vermeiden, wie Heide Simonis 2005 in Schleswig-Holstein an einer einzigen fehlenden Stimme zu scheitern.

Allerdings müsste Lieberknecht den Grünen schon erhebliche Zugeständnisse machen, um sie für so eine Afghanistan- oder Kenia-Koalition zu gewinnen. Wenn ihr Angebot besser ist als das, was die Grünen in einem Linksbündnis bekommen könnten, dann müssten die Grünen zumindest ins Grübeln kommen. Sie loben schließlich allenthalben ihre Strategie der Eigenständigkeit. Sie müssten nur das Dogma überwinden, keiner Koalition beizutreten, die für sich schon eine rechnerische Mehrheit hat.

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